Ausstellungsbesprechungen

Barock – Nur schöner Schein?, Reiss-Engelhorn-Museen, Museum Zeughaus Mannheim, bis 19. Februar 2017

Üppige Kleider, Frisuren und natürlich auch Architekturen, das verbinden wir mit dem Barock: absolutistische Kunst at it's best. Die Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim widmen sich in diesen Tagen dieser Epoche und schauen dabei über das Künstlerische hinaus auf das historische Umfeld. Ob das gelingt, das hat Bianca Straube unter die Lupe genommen.

Barock – Nur schöner Schein? Das Fragezeichen verrät es. Schon vor dem Betreten der Sonderausstellung im Zeughaus soll der Besucher zweifeln, auf der Hut sein – ist Barock mehr als nur »Pomp, Puder und Dekadenz«? Ein Imageproblem hat der Barock nicht, lockt er doch gerade durch seine Pracht zahlreiche Besucher in die Museen und Sehenswürdigkeiten. Dass er allerdings facettenreicher und vielschichtiger ist als man glaubt, möchte der Mannheimer Museumverbund beweisen. Mit einer schon mundgerecht servierten Skepsis taucht der Ausstellungsbesucher in die Jahre zwischen 1580 und 1770 ein. Eine immense Zeitspanne, die das Museum zu bewältigen wagt. Aus diesem Grund sollen die sechs Themengebiete »Raum«, »Körper«, »Wissen«, »Ordnung«, »Glauben« und »Zeit« die Barockepoche gliedern und den versprochenen Perspektivwechsel bieten. Diesen neuen Blickwinkel unterstützt stellenweise zeitgenössische Kunst, die Bezug auf Phänomene der Barockzeit nimmt und eine Brücke zur Gegenwart schlagen soll.

Bereits die erste Etappe präsentiert außerordentliche Exponate. Der Themenkomplex »Raum« handelt von den Entdeckungen europäischer Reisender, Kulturaustausch und dem Welthandel. Gattungsübergreifend stehen Globen, Karten und Gegenstände des Reisealltags für die Aufbruchsstimmung der Zeit. Doch die Ausstellung zeigt auch die Kehrseite der Medaille: Innerhalb der konkurrierenden Seemächte entsteht ein neues Konfliktpotential, wie Jan Abrahamszoon Beerstraten »Seeschlacht bei Ter-Heide« von 1655 veranschaulicht. Auch die verhärteten Fronten zwischen den europäischen Mächten und dem Osmanischen Reich werden künstlerisch umgesetzt. So stehen sich auf einem barocken Schachspiel nicht Bauer und Springer, sondern Osmane und Europäer gegenüber.

Die Rubrik »Körper« widmet sich der Hygiene, der Ernährung und dem Schönheitsideal des »Barockmenschen«. Hier erfährt man nicht nur, dass die wohlhabenden Menschen Parfum und Puder dem Wasser vorzogen, sondern auch warum. Die Infektionsgefahr durch Wasser war bekannt und gefürchtet. Während Hof und Adel die antike Tradition des Badehausbesuches auch weiterhin pflegten, blieb dem Rest der Bevölkerung nur das fließende Gewässer übrig. Die Tafelkultur der Barockzeit präsentiert sich kreativ: Die Suppe genoss man beispielsweise aus einer Fayence-Terrine in Form eines Wildeberkopfes (1748-1750). Kulinarische Extravaganz in Form von Tafelgeschirr und Rezeptsammlungen werden der Esskultur des armen Volkes gegenübergestellt. Die »barocke Üppigkeit« ist weder auf allen Tischen vorhanden noch ist sie das allumfassende Schönheitsideal der Zeit. Neben einer Vorliebe für das, was wir heute »Rubensfigur« nennen, eifert man ebenfalls nach dem schlanken Körper, wie ein weißes Seidenkorsett von 1755 veranschaulicht.

Vom »Körper« zum »Wissen« ist es nicht weit. Dass William Harvey (1578 – 1657) den Blutkreislauf entdeckte, wird sehr viel seltener erwähnt als die schaurige Praxis des Aderlasses. Der wissenschaftliche Fortschritt des 17. und 18. Jahrhunderts ist bahnbrechend. Die Erforschung der Himmelskörper, aber auch der Natur mittels Mikroskopie sind beeindruckende Entwicklungen jener Zeit. Ein kurioses Exponat, das man nicht oft betrachten kann: »Christus anatomicus«, dessen Anatomie man unter einer aufklappbaren Bauchdecke studieren kann.

Die Welt wird wissenschaftlich erklärbar, Christus wird zum anatomischen Untersuchungsgegenstand. Was sagt eigentlich die Kirche dazu? Diese ist in einer der größten Krisen ihrer Zeit. Reformation, Gegenreformation und politische Konflikte kulminieren unter anderem im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) und haben verheerende Auswirkungen auf Europa. Kunst und Glaube werden instrumentalisiert und finden neue Ausdrucksformen wie beispielweise den gegenreformatorischen Marienkult und eine stärkere Heiligenverehrung.

Kriegerische Auseinandersetzungen bleiben auch Schwerpunkt der letzten Etappe »Zeit«. Der Tod ist durch Kriege und Krankheiten allgegenwärtig und schlägt sich im bekannten Vanitas-Stillleben nieder. Mit dem Bewusstsein über die eigene Vergänglichkeit wandelt sich die Einstellung zur Zeitlichkeit: Die exakte Zeitmessung in Form der Uhr strukturiert immer mehr den Tagesablauf und ermöglicht eine genaue Planung. Kunstvoll gearbeitete Zeitmesser sind sowohl funktional als auch Prestigeobjekt, das sich nur die wohlhabende Gesellschaft leisten kann. Zuletzt ist auch die Zeitmessung selbst eine Frage der religiösen Zugehörigkeit; so gilt für die Protestanten der Julianische, bei den Katholiken der Gregorianische Kalender. Ein Beweis, dass die Grenzen zwischen den Themengebieten fließend sind.

Die Ausstellung »Barock – nur schöner Schein?« überzeugt vor allem durch ihre Exponate. Beeindruckend sind sowohl die Leihgaben aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien als auch die hauseigenen Ausstellungsobjekte. Zu kritisieren sind allerdings die Objekttafeln, die häufig Rechtschreibfehler oder Dopplungen aufweisen. Die Einteilung in die vorgestellten Themenkomplexe prägt ein kulturwissenschaftlicher Ansatz, der sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringt. Er ermöglicht einen sehr anschaulichen und gesellschaftsübergreifenden Einblick, der allerdings in den Kategorien verhaftet bleibt. Abstraktere Zusammenhänge erweisen sich als sekundär. Das ist unter anderem der gewaltigen Zeitspanne geschuldet, aber auch der geografischen Weite. So bleibt die Ausstellung weitestgehend eurozentrisch, jedoch auch ohne Blick auf England oder Spanien.

Problematischer erschien mir die präsentierte Vielschichtigkeit kombiniert mit dem Begriff des »Barock«. Sind der Dreißigjährige Krieg, die Entwicklung des Mikroskops, die Glaubensspaltung wirklich »barock«? Der Barockbegriff ist umstritten, auch unter Kunsthistorikern. Allgemein versteht man darunter einen europäischen Kunst- und Architekturstil der Hof- und Adelsgesellschaft sowie der Kirche. Die Kunst- und Musikgeschichte verwenden ihn selbstverständlich, doch Historiker oder Philosophen sprechen unter anderem von Absolutismus, Rationalismus oder Empirismus. Die Kontextualisierung einer Stilepoche ist wichtig für ihr Verständnis, doch ist Vorsicht geboten, wenn Stilformen zum Kern einer geschichtlichen Entwicklung erhoben werden. Für eine Hinterfragung der Barockklischees hätte in der Konsequenz auch eine Hinterfragung des Barockbegriffs erfolgen können.

Eine Besonderheit ist das von den Reiss-Engelhorn-Museen ins Leben gerufene kulturtouristische Netzwerk Barockregion, das mit 41 Orten aus fünf Bundesländern kooperiert und deren barockes Erbe thematisiert. Mehr als 250 Veranstaltungen in der gesamten Barockregion ermöglichen es den Besuchern auch außerhalb des Museums den »barocken Schein« zu hinterfragen.

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