Die Ausstellung am Folkwang Museum zeigt Werke Lyonel Feiningers aus einer besonderen Zeit. Im Mittelpunkt stehen Gemälde und Holzschnitte, die Feininger in der Zeit um die Gründung der Kunstschule „Staatl. Bauhaus“ geschaffen hat. Feininger hat die Umgebung von Weimar bereits einige Jahre zuvor bereist und sich oft von Architektur und Leben in den thüringischen Dörfern inspirieren lassen. Die Feininger-Ausstellung bildet den Auftakt zu einer Serie, mit der auch die enge Verbindung zwischen dem Bauhaus und der Geschichte des Folkwang Museums nacherzählt wird. Susanne Braun hat eine sehenswerte Ausstellung erlebt.
Erst bei genauer Betrachtung lässt sich der Kirchturm als Grundelement wiedererkennen, so unterschiedlich hat Feininger die Kirche von Gelmeroda auf vier nebeneinanderhängenden Bildern gestaltet. Insgesamt ist die Anmutung der Bilder ganz unterschiedlich. Zeigen die Holzschnitte die Kirche kontrastreich in schwarz-weiß mit mal eher grobem, dann mit filigranerem Strich, durchdringen sich auf dem Ölgemälde alle Flächen. „Gelmeroda IX“ aus dem Jahr 1926 zeigt die Kirche mit an manchen Stellen regelrecht transparent wirkenden Mauern und Dach. Oben und Unten, Rechts und Links sowie Außen und Innen verschmelzen miteinander. Darüber hinaus durchdringen mehrere Perspektiven die Architektur und lassen durchschimmern, was nach der Zentralperspektive gestaltete Wände und Dächer eigentlich verdecken müssten. Das verleiht dem Ölgemälde eine transzendentale Anmutung, gepaart mit einem leichten 3D-Effekt.
Nach Weimar ist der Sohn eines Musiker-Ehepaars aus New York bereits kurz nach der Jahrhundertwende gekommen. 1906 heiratet er seine zweite Frau, Julia Berg, die ihr Studium an der Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule in Weimar absolviert. Feininger reist regelmäßig nach Weimar und macht Ausflüge in das Umland. Weimar, die Stadt von Wieland, Goethe, Herder und Schiller, könnte so etwas wie ein idealer Ausgangspunkt für die „Wanderjahre“ Feiningers gewesen sein.
Wenn Schiller in „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ etwa bemängelt, dass der „Nutzen das große Idol der Zeit“ ist, scheint er wesentliche Ideale der Spätromantik in groben Zügen vorweg zu nehmen. Auch Feiningers Werke sind von diesen Ideen beeinflusst. Das Ölgemälde „Die Leuchtbake I“, das in der Essener Ausstellung ebenfalls zu sehen ist, weist eindeutig Ähnlichkeiten mit Bildern Caspar David Friedrichs auf und ist doch zugleich ganz im kubistischen Stil gehalten. Ohnehin weisen viele Bilder Feiningers wie auch dieses Ölgemälde, das einen einsamen Menschen auf felsigem Gelände vor einem Leuchtturm zeigt, Bezüge auf die von Menschen nach Nützlichkeitsprinzipien gestaltete und die unberührte Natur gleichermaßen auf.
Aber Schiller scheint in „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ auch bereits die Bauhaus-Idee zu formulieren. Wenn er bemängelt, dass ein Mensch, der „nur an ein einzelnes kleines Bruchstück des Ganzen gefesselt“ bleibt, nie „die Harmonie seines Wesens“ ausbilden können wird und dazu verurteilt bleibt, „bloß zu einem Abdruck seines Geschäfts, seiner Wissenschaft“ zu werden, klingt der Ruf nach einem ganzheitlichen Welt- und Kunstverständnis an. Ein Kunstverständnis, das sich um die Durchdringung der Künste untereinander genauso wie um die von Kunst und Leben bemüht, wie es sich erst an der Kunstschule Staatl. Bauhaus in Weimar in die Tat umsetzen lassen wird.
Ein weiterer Schwerpunkt der Ausstellung ist die Arbeit Feiningers in der Druckerei an der Kunstschule Staatl. Bauhaus in Weimar. Von Walter Gropius als erster Meister an die Kunsthochschule berufen, zog er sich kurze Zeit später fast vollkommen aus der Lehre zurück und arbeitete als Leiter der Druckerei. „Feininger hat den Schülern als freundschaftlicher Berater auf Augenhöhe zur Verfügung gestanden“, erklärt Kuratorin Nadine Engel seine Rolle an der Kunstschule. In der Ausstellung sind eine Fotografie der Druckwerkstatt sowie einige dort hergestellte Holzschnitte zu sehen.
Auf die enge Beziehung zwischen der Bauhaus-Idee und der Gründung des Folkwang Museums verweist auch der Einführungstext zur Ausstellung. Museumsgründer Karl Ernst Osthaus stand bereits seit 1908 mit dem Architekturstudenten Walter Gropius in engem Austausch und setzt sich genauso wie er für eine ganzheitliche Kunstausbildung ein. In der früheren Dependance des Museums in Hagen zeigt Osthaus bereits 1919 Werke Feiningers, kurz bevor dieser nach Weimar berufen wird. Bis heute hat das Museum Folkwang mehrere Werke Feiningers in seinem Besitz. Der Ausstellungszyklus „Bauhaus am Folkwang“, der mit der Ausstellung der Werke Feiningers beginnt, zeichnet folglich nicht nur die Geschichte der für das 20. Jahrhundert so prägenden Kunstschule nach, sondern liefert auch einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Museums Folkwang selbst.