Buchrezensionen

Blunck, Lars: Between Object & Event. Partizipationskunst zwischen Mythos und Teilhabe, VDG Weimar 2003.

Der Kunsthistoriker Lars Blunck (geb. 1970), wissenschaftlicher Assistent an der TU-Berlin mit seinen Forschungsschwerpunkten in der Moderne, insbesondere der Nachkriegsavantgarde sowie der Objekt- und Installationskunst des 20. Jahrhunderts, beschäftigt sich zur Zeit mit der Fotografie und seinem Habilitationsprojekt zu Marcel Duchamps Präzisionsoptik.

In seiner Dissertation Between Object & Event behandelt er die performative Assemblage der 50er und 60er Jahre in den USA. Es geht ihm um die Einbeziehung des Betrachters in der amerikanischen Kunst seit den 20er Jahren. Ausgelöst durch die Entdeckung des Prozessualen und Situationalen im Action- und Colourfield Painting Jackson Pollocks und Barnett Newmans, über die Experimente und Exponate Joseph Cornells und Marcel Duchamps (philosophical toys), bis hin zu Tom Wesselmann und Jim Dine, die sich schon wieder von dem Partizipationsgedanken entfernen (Pop-Art).

Vorerst gibt Blunck eine einleitende Definition der Assemblage und des Environments, in Anlehnung an Wiliam C. Seitz, der die Assemblage als eine Gattungsbezeichnung, gleichzeitig aber auch als eine Bezeichnung für ein technisches Vorgehen in der Kunst bezeichnet. Auch erläutert er uns den Begriff der Partizipation. Seitz wies schon 1961 in seinem Aufsatz „The Art of Assemblage“ auf die Betrachterbeteiligung hin. Frank Popper stellte 1975 Kontemplation und Partizipation gegenüber. Für Blunck ist die taktil-kinästhetische Wahrnehmung eine wesentliche Voraussetzung für die Partizipation, da die Wirksamkeit der Kunst so gesteigert wird.

In den folgenden Kapiteln gibt er uns einen Überblick über die Intentionen der Künstler dieser Zeit mit den entsprechenden Werkbeispielen: Duchamps Werke, in denen der Betrachter der notwendige Mitschöpfer ist, die Miniaturmuseen Joseph Cornells und Robert Rauschenbergs White Paintings und Black Market - sie alle und auch Jasper Johns mit seinem Toy Piano haben eins gemeinsam: das ludische Prinzip. Die Kunsterfahrung wird analog zur Spielerfahrung gesehen. Der Betrachter wird zum homo ludens und ist so ein Bestandteil des Werkes. Sie lösen sich vom hermetisch geschlossenen Objekt und zielen auf die Erfahrung einer ästhetischen Situation. Auch Allan Kaprow und George Brecht betrachten den Prozess als das eigentliche Werk, das Werk ist der Katalysator eines unvorhersehbaren, kontingenten und unwiederholbaren Ereignisses. Auch Edward Kienholz´ Tableaus und Environments behandeln die Idee der Betrachterpartizipation (Spiegel zeigen Betrachter im Werk). Doch die Situationsgebundenheit der Kunstwerke (Schockmotiv) verändern oder schwächen den Partizipationsgedanken ab. Dennoch rücken Robert Rauschenberg, Jasper Johns und Edward Kienholz niemals ganz von der Objekthaftigkeit und der materiellen Ästhetik ab, sie fügen nur den situativen Aspekt hinzu. Auch bei Jean Tinguely Maschinen und Niki de Saint Phalles Reliefs und Performances spielt die Prozesshaftigkeit, Situationalität und Zufälligkeit eine große Rolle.

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Tom Wesselmann und Jim Dine wenden sich dann jedoch in der Pop-Art vom Partizipationsgedanken ab und kommen wieder auf den klassischen Werkbegriff zurück - auf die Trias von Künstler, Werk und Rezipienten - den zuvor alle Künstler mit ihrer neuen Ästhetik zu sprengen versuchten. Jetzt, da der Rezipient jedoch einmal Bestandteil vieler Werke geworden ist, versucht er auch in diesen Werken Fuß zu fassen - jedoch ohne Erfolg, denn „art is not a game“!

Ein wichtiger Aspekt, den es für Blunck zu prüfen gilt ist, wie die jeweilige Konzeption im realen Ausstellungsraum Wirksamkeit erlangt. Der Grad der strukturell möglichen Involvierung divergiert in den behandelten Assemblagen erheblich. Es gab von Anfang an Grenzen, da auf die Möglichkeit der Partizipation zwar verwiesen wird, dennoch gibt es kaum Belege für eine praktische Ausführung.

Ist der Betrachter wirklich ein „real part of the whole“, ein wirklicher „homo ludens“?

Im Museum werden die Werke zu theoretischen Objekten und starren Artefakten, die eigentliche Idee des Künstlers geht verloren (Musealisierungsfalle). Der Wandel des Kontextes, vom Atelier ins Museum bedeutet einen schwerwiegenden Verlust für das Werk. Das Schützen vor dauerhaften Verfall tritt an die Stelle der künstlerischen Intention. So verlieren viele Werke an Werkhaftigkeit, da sie ihre Ereignishaftigkeit verlieren.

Lars Blunck gelingt es sehr gut, die Unterschiede zwischen den Intentionen der Künstler und den Ergebnissen ihrer Werke hinsichtlich der Betrachterteilhabe präzise heraus zu arbeiten. Für den Rezipienten ist es sowohl eine nützliche theoretische Grundlage im Erfahren der Kunst als auch eine fundierte Einführung in die Kunst des 20. Jahrhunderts.

 

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