Ausstellungsbesprechungen

Chanel, Dior, Pucci… Modemythen der 50er bis 70er Jahre, Museumsquartier St. Annen Lübeck, bis 29. Juli 2018

Es scheint, dass jetzt endlich auch die Mode reif für das Museum ist. In Lübeck nämlich wird die Haute Couture im ehrwürdigen St. Annen-Museum präsentiert. Stefan Diebitz hat sich in das Dickicht der schön gewandeten Kleiderpuppen gewagt.

Das St. Annen-Kloster in Lübeck präsentiert in besonders eindrucksvoller Weise mittelalterliche Kunst. Höhepunkt in den gotischen Räumen ist selbstverständlich der Memling-Altar – neben vielen anderen, weniger bedeutenden Altären –, aber es gibt auch eine Paramentenkammer mit alten liturgischen Gewändern. Auf diese Kleider wird jetzt verwiesen, weil sich bis Ende Juli im Anbau Mode aus den ersten zwei, drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg findet. Tatsächlich aber stellen liturgische Gewänder wohl das genaue Gegenteil von Mode dar; ihr Wesen schließlich bestand darin, sich – wenn überhaupt – dann doch allenfalls in fast unendlichen Zeiträumen zu wandeln.

In diesem Frühsommer also Haute Couture, die »Hohe Schneiderkunst«, im Museumsquartier St. Annen. Es sind 55 prachtvolle Roben, dazu allerlei Accessoires, Taschen, Hüte und noch dazu glitzerndes Geschmeide, und zwar samt und sonders von der exklusiven Sorte aus der hohen Zeit der hohen Schneiderkunst, ausgestellt auf drei Etagen. Alles ist extrem aufwendig, also aus edelsten Materialien handgefertigt (allerdings scheint der Schmuck keinesfalls aus Gold zu sein), und natürlich handelt es sich grundsätzlich um Einzelstücke. Massenware ist das alles nicht.

Haute Couture, lerne ich aus dem Katalog, unterscheidet sich als geschützte Marke von Prêt-à-porter in gleich mehreren Punkten; die Häuser dürfen nicht weniger als zwanzig Angestellte haben und müssen alljährlich mindestens 35 maßgefertigte, von einem Schneidermeister eigens entworfene Kleider (besser: Kreationen) präsentieren – in Paris selbstverständlich, nicht in irgendeinem Nest wie Düsseldorf, Rom oder New York. Die Kleider aus Italien und den USA, die in Lübeck gezeigt werden, mögen also so elegant sein, wie sie wollen; Haute Couture ist das trotzdem nicht. Prêt-à-porter dagegen ist die tragbare Mode für die schnöde Masse, bloße Konfektion. Bei der Haute Couture sind sogar die Knopflöcher von der Hand genäht, aber bei der Mode von der Stange…

Wiederholt wurde in Lübeck die Mode als »Spiegel der Zeit« bezeichnet. Aber ist eine derartige Exklusivität, wenn man sie vor dem grauen Hintergrund der fünfziger Jahre betrachtet, nicht notwendig ein Zerrspiegel? Wer denn könnte sich darin wiedererkennen? Georg Simmel, als er über »Die Mode« nachdachte und schrieb, sah in ihr ein »ein Produkt klassenmäßiger Scheidung«, und er war ganz gewiss kein Kommunist. Nietenhosen und Lederjacken wären für die Fünfziger zweifellos ein besserer, wenn auch noch immer kein wirklich getreuer Spiegel. Interessant ist auch der Gegensatz der Haute Couture zur Bildenden Kunst, also zum Beispiel zum abstrakten Expressionismus dieser Jahre, der schroffer gar nicht hätte sein können. Mit Mondrian war ein Meister der klaren Linie 1944 verstorben, und so fanden sich in der Malerei kaum jemals Linien, die man mit den Schnitten der Hohen Schneiderkunst hätte vergleichen können, und elegante schon einmal überhaupt nicht; allenfalls hätte die Mode mit mehreren Jahrzehnten Verspätung sich den ersten abstrakten Bildern angeschlossen.

Stolze Besitzerin der im St. Annen-Museum ausgestellten Kostbarkeiten ist die Düsseldorferin Monika Gottlieb, über deren in ihrer Kindheit an und auf der Kö erwachte Modeleidenschaft ein sehr persönliches Interview informiert, das die Kuratorin Dagmar Täube mit ihr im schmalen Katalog führt. Kuratorin wie Sammlerin legen Wert darauf, dass die Haute Couture in den Fünfzigern etwas anderes bedeutete als die heutige Modeindustrie. Damals, also in den Goldenen Jahren der Mode, war Fotografieren, ja war sogar die bloße Mitnahme eines Bleistiftes strikt verboten, und begabte Zeichner, welche die Schau aus dem Gedächtnis hätten dokumentieren können, wurden selbstverständlich gar nicht erst hereingelassen. Und so vergingen ein, zwei Jahre, bis es die Mode aus den großen Salons in die Kaufhäuser geschafft hatte. Heute dagegen ist der Übergang fast nahtlos. Auch braucht man nicht mehr ungeheure Preise für den Eintritt zu zahlen, um sich die Haute Couture anzuschauen – es reicht, sich vor den Fernseher zu setzen. Und zehn Tage später hängt der schicke Fummel in den Schaufenstern der großen Modeketten.

Frau Gottlieb ist es wichtig, zwischen Mode und Stil zu unterscheiden. Es komme auf den Schnitt an: »In der Haute Couture spielten gute Schnitte und hochwertige Verarbeitung eine bedeutende Rolle. Einen guten Schnitt erkennt man daran, dass er sich der Trägerin anpasst, ohne im Vordergrund zu stehen. Damit einher ging ja auch das Anliegen, auf beste Qualität zu achten. Man wollte ja etwas für längere Zeit tragen können.«

Und wirklich, die Wertigkeit mancher Ausstellungsstücke ist gigantisch. Natürlich hat das mit der Kunst der Schneidermeister zu tun, die von Sammlerin wie Kuratorin noch als Modeschöpfer bezeichnet und außerdem als echte Gentlemen beschrieben werden, als Grandseigneure. Und dazu waren sie Fachleute, die jedes einzelne Stadium des Herstellungsprozesses im Detail kannten und beherrschten. Ein anderer Aspekt waren die teuren Materialien. Was sagt man zu 4000 Arbeitsstunden, die in einer einzigen glitzernden, in meinen Augen nicht einmal schönen Jacke (mit dicken Lippen anstelle eines Gürtels…) von Stéphane Rolland stecken sollen – in einer Jacke, die nur einen einzigen Abend lang getragen wurde, falls überhaupt? Ist das nicht zynisch? Schließlich bedeutet es, die Zeit und die Arbeit der vielen Namenlosen zugunsten eines einzigen Menschen ganz ungeheuer abzuwerten.

Noch einmal sei an Georg Simmels berühmten Essay über »Die Mode« erinnert, der das Gegen- und Widerspiel von Individualität und Allgemeinheit beschreibt. »So ist die Mode«, schreibt Simmel, »nichts anderes als eine besondere unter den vielen Lebensformen, durch die man die Tendenz nach sozialer Egalisierung mit der nach individueller Unterschiedenheit und Abwechslung in einem einheitlichen Tun zusammenführt.« Indem man sich einer Gruppe anschließt, grenzt man sich gleichzeitig ab; und je exklusiver die Gruppe ist, desto extremer muss ein solcher Vorgang sein. Im Falle der Haute Couture lässt er sich wohl kaum noch steigern.

Die Lübecker Ausstellung präsentiert die Roben und anderen Kostbarkeiten auf drei Etagen und nach Nationen getrennt; wo eine Vespa inmitten freundlich-bunter Farben steht, muss es sich um Italien handeln (aber wer aus diesen Kreisen fuhr Vespa?), und auch die USA und natürlich und vor allem Paris haben ihren eigenen großen Raum, in dem die teuren Kleider in einer ästhetisch sehr ansprechenden Weise zu farbenfrohen Gruppen zusammengestellt wurden. Dazu kommen die angesprochenen Accessoires, allerlei Schnickschnack, Titteltattel, kleinere Zeichnungen und ähnliches. Im untersten Stockwerk handelt es sich bei den roten und weißen Roben um eine Hommage an Lübeck, denn Rot und Weiß waren schließlich die Farben der Hanse. Allerdings lernt man in demselben Raum, dass Dior einen ganz eigenen Rot-Ton pflegte, den dieses Haus über Jahrzehnte durchhielt; aber das zu erkennen ist vielleicht schon etwas für Fortgeschrittene, zu denen der Rezensent sich keinesfalls zählen möchte.

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