Interviews

Coronas Ahnen – Masken und Seuchen am Wiener Hof 1500–1918. Kaiserliche Wagenburg Wien. Interview mit Direktorin Monica Kurzel–Runtscheiner

Die Corona-Pandemie ist für die Menschen Europas ein ebenso unfassbares wie unerwartetes Phänomen. Das liegt vor allem daran, dass wir längst vergessen haben, dass unsere Vorfahren jahrhundertelang mit der Angst vor Seuchen leben mussten. In der Kaiserlichen Wagenburg in Wien leistet eine aktuelle Ausstellung einen Beitrag dazu, diese einschneidenden Erfahrungen durch den Blick auf die Vergangenheit umfassender zu begreifen. Aufgrund von mehreren Lockdowns war die Schau bis heute jedoch nur 8 Tage geöffnet. Andreas Maurer hat mit Monica Kurzel–Runtscheiner, der Direktorin des Museums, ein Interview geführt.

Leopold Bucher: Allegorie - Austria und die Cholera, 1835 Belvedere, Wien © Johannes Stoll (Das Bild ist in der Ausstellung nicht im Original, sondern in virtueller Form zu sehen, als Teil einer eigens für die Ausstellung konzipierten multimedialen Installation)
Leopold Bucher: Allegorie - Austria und die Cholera, 1835 Belvedere, Wien © Johannes Stoll (Das Bild ist in der Ausstellung nicht im Original, sondern in virtueller Form zu sehen, als Teil einer eigens für die Ausstellung konzipierten multimedialen Installation)

Andreas Maurer (AM): Viele von uns haben das Gefühl, dass die Welt so eine Pandemie noch nie erlebt hat. Die aktuelle Ausstellung »Coronas Ahnen« zeigt aber, dass das nicht stimmt. »Der Eintritt steht nur denjenigen offen, welche mit einer Maske versehen sind«, lautet etwa ein Zitat auf dem Boden der Räumlichkeiten. Es stammt aus einer Ballordnung des Theaters an der Wien von 1818. Warum herrschte damals eigentlich Maskenpflicht?

Monica Kurzel–Runtscheiner (MKR): Natürlich herrschte 1818 keine allgemeine »Maskenpflicht«, aber schon seit dem Mittelalter war es den Menschen einmal im Jahr, im Fasching, gestattet Masken zu tragen und so für kurze Zeit in eine andere Identität zu schlüpfen. Im Schutz der Maske konnte man dann ausgelassen feiern und ungestraft Kritik üben. Wer an einem Maskenball teilnehmen wollte, durfte den Veranstaltungsort natürlich nur maskiert betreten – die »Pflicht« war hier aber etwas durchaus Erfreuliches.

AM: Das Tragen von Masken war demnacht nicht immer mit einer medizinischen Funktion verbunden...

MKR: Für unsere Vorfahren war die Maske, anders als für uns, kein Symbol des Zwangs, sondern ein Element das größere Freiheit verlieh. Im Fasching, im Theater und beim höfischen Turnier bot die Maske die Möglichkeit zum Rollen– und Perspektivenwechsel. In der Medizin hatte sie hingegen keine Bedeutung. Jüngere Forschungen haben nachgewiesen, dass die berühmten Schnabelmasken von Pest–Ärzten zumindest im deutschsprachigen Raum nie verwendet wurden. Die Darstellungen, die sie überliefern, sind Elemente der politischen Propaganda: Der Blick auf vermeintlich hilflose Pest–Ärzte im Ausland sollte die Überlegenheit des eigenen Gesundheitswesens glaubhaft machen. Auch die Masken, die wir auf Karikaturen der Cholera–Zeit sehen, dürften nie verwendet worden sein: Mit dem grotesken maskentragenden »Cholera–Präservativ–Mann« wurde vielmehr die Panik ins Lächerliche gezogen, die viele Menschen angesichts der neuen Seuche ergriffen hatte.

»Porträt eines Cholera-Präservativ-Mannes«, Bildbeilage zu Saphir’s Zeitschrift Der deutsche Horizont, 1831 © Wien Museum
»Porträt eines Cholera-Präservativ-Mannes«, Bildbeilage zu Saphir’s Zeitschrift Der deutsche Horizont, 1831 © Wien Museum

AM: Von Turniermasken bis hin zu einer Grafik eines Cholera–Ganzkörperanzuges – einzigartige Objekte erzählen in der Ausstellung die Geschichte von Masken und Seuchen am Wiener Hof von 1500 bis 1918. Welche Exponate sind Ihre persönlichen künstlerischen Highlights der Schau?

MKR: Die Bandbreite reicht von Turnier–Masken und –Aquarellen des 16. Jahrhunderts über Burnacinis Zeichnungen des Pest–Elends oder das Arzneibuch der Philippine Welser bis hin zu Dokumenten zur Impfgeschichte und Wigands Darstellung der Rückkehr von Kaiser Franz ins Cholera–verseuchte Wien. Nicht weniger eindrucksvoll sind die Porträts von habsburgischen Masken–Trägerinnen und Seuchenopfern, Medaillen zur Pockenimpfung und Kaiserin Elisabeths einzigartige Trauer–Maske. Aber auch die wenigen Leihgaben, die wir aus Wien Museum und Nationalbibliothek bekommen haben, sind wirklich spannend: Dazu gehören die schon erwähnte Darstellung des »Cholera–Präservativ–Mannes« oder eine Karikatur von 1918, die die Schließung von Vergnügungsstätten während der Spanischen Grippe aufs Korn nimmt. Für mich sind eigentlich alle »Lieblingsobjekte«.

Trauermaske und Trauerschleier der Kaiserin Elisabeth, Fanny Scheiner, Wien, um 1880 Kaiserliche Wagenburg Wien © KHM–Museumsverband
Trauermaske und Trauerschleier der Kaiserin Elisabeth, Fanny Scheiner, Wien, um 1880 Kaiserliche Wagenburg Wien © KHM–Museumsverband

AM: Das Titelbild der Ausstellung stammt von dem österreichischen Porträt– und Historienmaler Leopold Bucher (1797–1877), es zeigt »Austria und die Cholera« (1835, Original im Belvedere Wien). Fast scheint es darauf so, als würde die Personifikation der Austria die geflügelte Cholera allein durch ihre Anwesenheit vertreiben...

MKR: Das Gemälde ist 1835 entstanden, als die erste Cholera–Epidemie bereits Geschichte war, die Europa 1831/32 ähnlich heftig überrollt hatte wie Corona 2020/21. Es zeigt die Personifikation der »Austria« auf dem Kahlenberg sitzend; im Hintergrund erkennt man die Stadt Wien und den Leopoldsberg. Über Austria schwebt bedrohlich die düstere Cholera, die giftigen Atem ausstößt und aus einem Krug verseuchtes Wasser schüttet. Doch mit erhobener Hand und himmelwärts gewandtem Blick kann Austria sich erfolgreich von ihr abgrenzen.
Wir hätten das Bild, das sich bis 1927 im Kunsthistorischen Museum befunden hat, gerne im Original gezeigt, was so kurzfristig aber leider nicht möglich war. So haben wir uns entschlossen, es zum Zentrum einer Installation zu machen, wodurch es im wahrsten Sinne des Wortes zum Leben erweckt wird: Austria und Cholera bewegen sich zur Musik des Walzers »Heiter auch in ernsten Zeiten«, den Johann Strauß Vater 1831 in Wien komponiert und uraufgeführt hat. So wird es zum Symbol für die Widerstandskraft der Österreicher, die – wie wir aus den Quellen wissen – selbst in den dunkelsten Zeiten der Cholera–Epidemie Trost und Ablenkung in der Musik gefunden haben.

AM: Generell: welchen Einfluss hatten Pandemien und Seuchen auf die Kunst/Künste ihrer Zeit? Kaiserin Sisi hat sich ja zum Beispiel extra eine spezielle Begräbnismaske anfertigen lassen?

MKR: Alle großen Pandemien waren traumatische Ereignisse, die ihren Niederschlag in der Kunst gefunden haben. Besonders augenscheinlich ist das bei der Pest, die jahrhundertelang die schlimmste aller Seuchen war. Man verherrlichte die Pestheiligen wie Aloysius von Gonzaga, dem ein Gemälde in unserer Ausstellung gewidmet ist, oder Karl Borromäus, dem die Karlskirche in Wien geweiht wurde. Ab dem späten 18. Jahrhundert war es dann vor allem die Karikatur, die als Ventil für die Angst vor Pockenimpfung, Cholera oder Spanischer Grippe diente. Sisis Trauermaske hat keinen direkten Seuchenbezug. Sie ist ein Ausdruck der exzentrischen Persönlichkeit der Kaiserin, die in reifem Alter in der Öffentlichkeit stets ihr Gesicht versteckte. Die kunstvolle Samtmaske mit Spitzenbehang und Jetperlen ermöglichte ihr bei Begräbnissen einen eindrucksvollen Auftritt, ohne ihre Falten zeigen zu müssen. Sie ist ein absolutes Einzelstück, für das es in der Mode des 19. Jahrhunderts kein Vergleichsbeispiel gibt.

Der Heilige Aloysius von Gonzaga (1568–1591) bei den Pestkranken, Rom, 1. Viertel 18. Jahrhundert, Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie © KHM-Museumsverband
Der Heilige Aloysius von Gonzaga (1568–1591) bei den Pestkranken, Rom, 1. Viertel 18. Jahrhundert, Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie © KHM-Museumsverband

AM: In der Ausstellung habe ich auch gelesen, dass etwa der allseits bekannte »Leichenwagen« ursprünglich ein Produkt der Seuchenprävention ist?!

MKR: Es ist tatsächlich so, dass bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts alle Habsburger von Mitgliedern ihres Hofstaats auf einer Bahre zu Grabe getragen wurden. Das war allerdings keine angenehme Pflicht: beim Begräbnis des 1654 an den Pocken verstorbenen Ferdinand IV. hatten sich die betroffenen Kämmerer über den unerträglichen Gestank beschwert, den sie dabei einatmen mussten. Als man schließlich erkannte, dass mit dem Geruch auch Ansteckungsgefahr verbunden war, wich man von dieser Praxis ab: 1762 verfügte Kaiserin Maria Theresia, dass für die Bestattung ihrer ebenfalls an den Pocken verstorbenen Tochter Johanna Gabriele aus Sicherheitsgründen ein Wagen verwendet werden soll. Zu diesem Zweck wurde in aller Eile ein bis dahin für Botschafteraudienzen verwendetes Fahrzeug umgebaut, das in der Folge standardmäßig bei Hofbegräbnissen zum Einsatz kam. Im 19. Jahrhundert wurden dann jene beiden Leichenwägen gebaut, die sich bis heute in der Wagenburg erhalten haben.

AM: Die Corona–Pandemie wird die Welt noch einige Zeit in Atem halten, gibt es in der Ausstellung aber vielleicht auch humorvolles zu sehen, das uns Hoffnung auf die Zukunft geben kann?

MKR: Ein Hauptanliegen der Ausstellung ist es, die unfassbare Situation, in der wir alle uns nun schon seit einem Jahr befinden, durch den Blick auf die Vergangenheit zu relativieren und dadurch vielleicht auch etwas erträglicher zu machen. Denn alles, was uns heute zu schaffen macht, von den Schließungen von Grenzen, Schulen, Geschäften, Kirchen und Vergnügungsstätten bis hin zu Reisebeschränkungen und Quarantäne wird schon seit Jahrhunderten erfolgreich zur Seuchenbekämpfung eingesetzt. Wir zeigen das auch durch historische Zitate, die am Boden als Wegweiser durch die Ausstellung dienen. Sie sind erstaunlich aktuell und laden immer wieder zum Schmunzeln ein: »Zur Zeit der Pest solle niemand in die Wein– oder Brandwein–Häuser eingelassen werden, sondern es solle ein jedweder dergleichen Getränk in seinem Haus vorrätig haben« hieß es beispielsweise (verkürzt) in der Pestordnung von 1692. Hoffnung machen sollte uns auch, dass alle Seuchen, selbst wenn sie so wie Corona in mehreren heftigen Wellen kamen und die Ärzte ihrer Zeit vor unlösbare Probleme stellten, nach längstens eineinhalb Jahren wieder verschwunden sind.

Dr. Monica Kurzel–Runtscheiner
Direktorin der Kaiserlichen Wagenburg Wien

Öffnungszeiten der Ausstellung:
Bis 14.3. 2021: täglich 10–16 Uhr
Ab 15. 3. 2021: täglich 9–17 Uhr

Kaiserlicher Galawagen für die Hoftrauer (Ausstellungsansicht) Österreich, Gestell um 1690, Kasten um 1730/35, umgebaut im 19. Jh., Kaiserliche Wagenburg Wien © KHM-Museumsverband
Kaiserlicher Galawagen für die Hoftrauer (Ausstellungsansicht) Österreich, Gestell um 1690, Kasten um 1730/35, umgebaut im 19. Jh., Kaiserliche Wagenburg Wien © KHM-Museumsverband

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