Ausstellungsbesprechungen

Das Bauhaus und danach. Werner Graeff und die Nachkriegsmoderne, Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr, bis 18. September 2011

Die Ausstellung widmet sich Graeffs Werkentwicklung nach der Emigration. Er wandte sich 1951 wieder der Malerei zu und erarbeitete sich eine eigene, auf dem Verfahren der Variation gründende Bildsprache, in der sich eine konstruktive Gestaltungsweise zum Zeichenhaften erweitert.Mit seinem künstlerischen Credo „für Einfachheit, Klarheit, Proportion“ bezog Graeff eine eindeutige Gegenposition zur Zeitströmung der informellen Kunst. Rainer K. Wick hat sich mit dem Künstler für PKG befasst.

Sammeln, bewahren, erforschen, präsentieren und vermitteln sind die zentralen Aufgaben eines Museums. Das hat viel mit Erinnerungsarbeit zu tun, also damit, gegen das kurze Gedächtnis anzuarbeiten und kulturelle Phänomene und künstlerische Positionen erneut ins Bewusstsein zu heben, die drohen, in Vergessenheit zu geraten, oder die gar schon dem Vergessen anheim gefallen sind.

Nun wird man nicht behaupten können, dass den 1901 in Wuppertal-Sonnborn geborenen Werner Graeff dieses Schicksal bereits ereilt hätte. Denn als ein Künstler, der 1921/22 am frühen Bauhaus studiert hat, sich dann dem holländischen Konstruktivismus in Gestalt der Stijl-Gruppe angeschlossen hat, der 1927 Pressechef der legendären Werkbundausstellung »Die Wohnung« auf dem Stuttgarter Weißenhof war und anlässlich der Werkbundausstellung »Film und Foto« 1929 in Stuttgart das richtungsweisende Buch »Es kommt der neue Fotograf!« publiziert hat, ist in der Kunstgeschichte der Zwischenkriegszeit eine etablierte Größe. Doch was kam danach? Der Aufgabe, dies einer breiteren kunstinteressierten Öffentlichkeit vorzuführen, hat sich nun das Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr mit seiner engagierten Direktorin Beate Reese gestellt.

Es ist sicherlich nicht abwegig, Graeff als einen Künstler der „verschollenen Generation“ zu bezeichnen, um einen 1980 von Rainer Zimmermann geprägten Begriff aufzugreifen. Meinte Zimmermann damit vor allem jene um 1900 geborenen Expressionisten der zweiten Phase, die schon in der Weimarer Republik hervorgetreten waren, durch die Kunstbarbarei der Nationalsozialisten aber in ihrer Entfaltung behindert wurden und nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch schwer Fuß fassen konnten, so trifft diese Einordnung in gewisser Hinsicht auch für Werner Graeff zu. Obwohl kein Expressionist, sondern als Konstruktivist das genaue Gegenteil dessen, musste auch er erleben, welch tiefen Einschnitt die Machtübernahme durch die Nazis bedeutete. 1934 emigrierte er nach Spanien, 1936 mit Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges siedelte er in die Schweiz über. Dort gründete er 1940 die moderne „Fotoschule Locarno“, die bis 1945 bestand, 1949/50 leitete er Fotokurse in Zürich.

Diese Tätigkeiten und die Tatsache, dass er einige Fotobücher veröffentlicht hatte, prädestinierten ihn nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1951, an der Folkwang-Schule in Essen die Leitung der „Fachklasse für freie und angewandte Fotografie“ zu übernehmen. Obwohl als Fotodozent durchaus erfolgreich, profilierte sich Graeff in den Nachkriegsjahrzehnten nicht als Fotograf, sondern als Maler, der dort anzuknüpfen suchte, wo in den Dreißiger Jahren gleichsam der Faden gerissen war. Dies belegen in der Mülheimer Ausstellung etliche Arbeiten, die mit ihrer reduzierten Primärfarbigkeit Rot, Gelb und Blau, ihren „Nichtfarben“ Weiß, Schwarz und Grau und ihrer strengen Orthogonalität wie Remakes aus der heroischen Zeit des holländischen Konstruktivismus erscheinen und deren Titel dies auch unmissverständlich signalisieren, so etwa »Stijl 19 L« von 1959, eine Arbeit, die nach Entwürfen aus den Zwanziger Jahren entstand. Vorausgegangen waren Versuche, sich mit Spielarten der zeittypischen Gegenstandslosigkeit auseinanderzusetzen, ohne sich dem Diktat des von Graeff ungeliebten Informel zu beugen. So zeigt eine Arbeit wie „BUGRU“ von 1952 keineswegs ein Liebäugeln mit der Formlosigkeit abstrakt-expressionistischer Tendenzen, sondern eher die Nähe zu seinem Künstlerfreund und Kollegen an der Folkwang-Schule Max Burchartz, den er seit Weimarer Tagen, also seit den frühen Zwanziger Jahren, kannte. Immer ging es dem Künstler um die Klarheit der Formensprache, selbst dort, wo das Korsett des rein Geometrischen gesprengt wird. Graeff hat das so auf den Punkt gebracht: „Auch die gelockerte Form muss klar sein, die Farbe bestimmt und kräftig, der Aufbau einfach und überschaubar; denn Unbestimmtes, Nebulöses war mir ein Leben lang verhasst. Auch das zeichnerische Bild wünsche ich mir eindeutig und ausgewogen. Ja, in seiner Art immer noch: konstruktiv.“

Bemerkenswert ist, dass Werner Graeff in der Mülheimer Ausstellung nicht mit einer der üblichen Personality-Shows geehrt wird (am 24. August würde er 110 Jahr alt), sondern dass Beate Reese sein Œuvre im künstlerischen Umfeld – insbesondere des kriegszerstörten und erneut aufstrebenden Ruhrgebietes – der Fünfziger und Sechziger Jahre verortet hat. Das ist überaus verdienstvoll, weil Graeff auf diese Weise nicht einer isolierten Betrachtung ausgeliefert wird, sondern zu anderen, sowohl affinen als auch konträren Positionen in Beziehung gesetzt werden kann. Flankiert werden seine Werke von Arbeiten zahlreicher Künstler, denen er kollegial oder freundschaftlich verbunden war oder die zum Schülerkreis an der Folkwang-Schule gehörten. Erwähnt seien namentlich nur Willi Baumeister (über den er schon 1927 publiziert hatte), Max Burchartz, Ursula Hirsch (ab 1964 die zweite Frau des Künstlers), Gustav Deppe, Rolf Jörres, Margarete Kruegel, Helmut Wolfgang Lankhorst, Fernand Léger, Kurt Rehm, Dieter Reick, Karl Peter Röhl, Emil Schumacher, Michel Seuphor, Heinrich Siepmann, Ferdinand Spindel, Friedrich Vordemberge-Gildewart, Fritz Winter und Elsy Wiskemann.

Nicht ganz unproblematisch erscheint allerdings der Titel der Ausstellung „Das Bauhaus und danach“. Denn Graeffs Anwesenheit am Weimarer Bauhaus beschränkte sich auf das Wintersemester 1921/22 und kann allenfalls als eine Episode bezeichnet werden, die es kaum rechtfertigt, ihn im eigentlichen Sinne als „Bauhäusler“ zu bezeichnen. Schon nach dem halbjährigen, von Johannes Itten geleiteten Vorkurs verließ er diese progressivste aller Kunstschulen der Weimarer Republik, ohne mit der dreijährigen Ausbildung in einer der Werkstätten der Schule überhaupt begonnen zu haben, und schloß sich dem holländischen Stijl-Künster Theo van Doesburg an, der in Weimar Privatseminare zur Theorie und Praxis der „elementaren Gestaltung“ abhielt. Diese Hinwendung zum Stijl-Konstruktivismus war für Graeffs weitere Entwicklung zweifellos wesentlich maßgeblicher als der Einfluss des frühen, noch expressionistischen Bauhauses. Wenn aber in Mülheim, wo der Künstler von 1970 bis zu seinem Tod 1978 lebte, schon mit dem Zauberwort „Bauhaus“ kokettiert wird, kann man nur bedauern, dass die kurze Bauhaus-Zeit Graeffs nicht mit einer einzigen seiner interessanten Vorkurs-Arbeiten belegt wird, wie auch der bauhaus-typische, gattungsübergreifende Universalismus des „Künstler-Ingenieurs“ Graeff – von der Malerei über den Film und die Fotografie bis hin zum Umweltdesign – in der Ausstellung nur ansatzweise deutlich wird.
Gleichwohl ist die Mülheimer Schau gerade wegen des breitgefächerten Nachkriegskontextes, in dem man Graeff hier erleben kann, unbedingt sehenswert.

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