Ausstellungsbesprechungen

das prinzip coop – Hannes Meyer und die Idee einer kollektiven Gestaltung, Stiftung Bauhaus Dessau, bis 4. Oktober 2015

Hannes Meyer, ab 1927 Leiter der Abteilung für Architektur am Bauhaus in Dessau und nach »Godfather« Gropius von 1928 bis 1930 zweiter Direktor dieser ersten »Hochschule für Gestaltung«, haftet bis heute das Odium an, wegen seiner sozialistischen bzw. marxistischen Überzeugungen Totengräber des Bauhauses gewesen zu sein. Eine Ausstellung der Stiftung Bauhaus Dessau trägt dazu bei, dieses Zerrbild zu korrigieren und die Leistungen des Schweizers ins rechte Licht zu rücken. Rainer K. Wick berichtet.

Hannes Meyer, Laubenganghaus, Dessau-Törten, 1930 © Foto: Rainer K. Wick
Hannes Meyer, Laubenganghaus, Dessau-Törten, 1930 © Foto: Rainer K. Wick

Im Unterschied zu »Lichtgestalten« wie Walter Gropius oder Ludwig Mies van der Rohe, dem ersten und dem dritten Bauhaus-Direktor, fristete Hannes Meyer in der Rezeptionsgeschichte des Bauhauses lange Zeit ein Schattendasein. Bereits belastet durch den Skandal um seinen »Hinauswurf aus dem Bauhaus« 1930, war es Gropius, der maßgeblich dazu beigetragen hat, Meyer ins Schattenreich der Bauhaus-Rezeption abzudrängen. Denn mit der großen Ausstellung »Bauhaus 1919–1928« in New York im Jahr 1938 hat er durch die zeitliche Begrenzung bis 1928, das Jahr seines Ausscheidens aus dem Institut, gewollt oder ungewollt den Eindruck erweckt, als seien sein Name und das Bauhaus gleichsam synonym und als habe es ein Bauhaus danach nie gegeben. Und Hans Maria Wingler hat in seinem grundlegenden, 1962 in erster Auflage erschienenen Quellenwerk zum Bauhaus kaum etwas unternommen, die über Meyer kursierenden Klischeevorstellungen zu korrigieren und das gängige Bild als eines angeblich linken Dogmatikers und eines »irrationalen Rationalisten« zu revidieren. Erst mit den Publikationen von Claude Schnaidt (1965 in der Schweiz), Klaus-Jürgen Winkler (1989 in der Spätphase der Deutschen Demokratischen Republik) und der Ausstellung des Bauhaus-Archivs (mit umfangreichem Katalogbuch, ebenfalls 1989) erfuhr Hannes Meyer jene Würdigung, die ihm vor allem im Westen hartnäckig versagt geblieben war, während er in der DDR aus ideologischen Gründen längst als vorbildlicher Sozialist gefeiert wurde. Eine Ausstellung in den Räumen des Dessauer Bauhaus-Gebäudes zeichnet nun eine differenziertes Bild des Beitrags des Schweizer Architekten zur Geschichte dieser progressivsten Gestaltungsschule der Zwischenkriegszeit und stellt dabei den Gedanken der kollektiven Gestaltung oder, im Sprachgebrauch Meyers und in bauhaus-typischer Kleinschreibung, das »prinzip coop« in den Mittelpunkt.

Nach einer Ausbildung als Architekt in Basel in den Jahren 1905 bis 1909 arbeitete Hannes Meyer von 1909 bis 1912 in Berliner Baubüros und war Hörer an der Kunstgewerbeschule und der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin. Damals schloss er sich der von Damaschke geführten Bodenreform- und Freilandbewegung an, deren Ziel u.a. in einer sozial gerechteren Verteilung von Grund und Boden und der Verhinderung der Bodenspekulation bestand. Es folgten 1912/13 Reisen durch England, wo Meyer den englischen Städtebau und besonders die damals neuen Gartenstädte studierte, in denen er eine Chance zur Bewältigung der durch die Industrialisierung heraufbeschworenen Existenzprobleme der unteren Sozialschichten sah. 1916 bis 1918 war er als Ressortchef bei der Kruppschen Bauverwaltung in Essen tätig und dort an der Planung der Siedlung Margarethenhöhe beteiligt. 1919 und in den Folgejahren kam es zum Entwurf und zur Realisation des ersten großen eigenen Bauprojektes, der Siedlung Freidorf bei Basel, einer genossenschaftlichen Mustersiedlung, die als gebauter Ausdruck seiner sozialen Überzeugungen gelten kann. Zwei Reformkonzepte flossen in diesem Projekt zusammen – die Gartenstadtidee einerseits und der Gedanke einer genossenschaftlich egalitären Sozialordnung andererseits.

Blieb die äußere Erscheinung dieser Bauten noch traditionell, so schloss sich Meyer nach Kontakten mit Le Corbusier und der holländischen De Stijl-Gruppe Mitte der 1920er Jahre der Bewegung des Neuen Bauens an. Hervorgehoben seien seine unrealisiert gebliebenen, überaus progressiven und hoch gelobten Entwürfe für die Petersschule in Basel und den Völkerbundpalast in Genf (1926 und 1927, beide in Zusammenarbeit mit Hans Wittwer) sowie Bauten wie die Bundesgewerkschaftsschule in Bernau bei Berlin und die Laubenganghäuser in Dessau-Törten (beide 1928–1930), die als exemplarische Beiträge zum Funktionalismus gelten können.

Im Frühjahr 1927 übernahm Hannes Meyer die Leitung der am Bauhaus in Dessau neu geschaffenen Abteilung für Architektur, die gemäß der Bauhaus-Programmatik von Anbeginn Ziel und Zentrum der Schule hätte gewesen sein sollen, aber erst jetzt, acht Jahre nach ihrer Gründung, eingerichtet werden konnte. Als einem ausgesprochenem »Kollektivisten« reizte ihn nach eigener Aussage sowohl die »Auseinandersetzung mit der beruflichen Erziehung von Baubeflissenen« als auch die »Mitarbeit innerhalb einer Arbeitsgemeinschaft« – letzteres zweifellos ein durchaus »bauhäuslerischer« Gedanke, der ihm als bekennendem Kollektivisten besonders entgegenkam.

Mit Gropius stimmte Hannes Meyer darin überein, dass ein »richtiger Unterricht über bauliche Gestaltung nur im direkten Zusammenhang mit der Praxis am Baue selbst« durchführbar sei. »Sonst würde sich die neue Architekturabteilung in nichts von derjenigen irgendeiner technischen Hochschule unterscheiden, d.h. überflüssig sein«. Der dezidierte Praxisbezug der Baulehre unter Meyer bedeutete nun allerdings keineswegs Enthaltsamkeit in theoretischen Belangen, sondern im Gegenteil eine dezidierte Einbeziehung diverser Theoriefächer. Nicht ästhetische Erwägungen und auch nicht Gropius’ etwas ominöse »Wesensforschung« bildeten für Meyer die Grundlage des Planungs- und Entwurfsprozesses, sondern möglichst exakte wissenschaftliche Analysen. Folglich gewannen Disziplinen wie Psychologie, Soziologie, Ingenieurwissenschaft und Nationalökonomie im Lehrplan der Schule einen breiten Raum: »Architektur ist keine Baukunst mehr. Das Bauen ist eine Wissenschaft geworden. Architektur ist Bauwissenschaft. Bauen ist keine Angelegenheit des Gefühls, sondern des Wissens. Bauen ist daher keine Handlung gefühlsbedingter Komposition. Bauen ist eine Handlung überlegter Organisation.« Und mit Blick auf die soziale Dimension architektonischen Gestaltens: »Bauen und Gestalten sind eins, und sie sind ein gesellschaftliches Geschehnis. Als eine ‚Hohe Schule der Gestaltung’ ist das Bauhaus Dessau kein künstlerisches, wohl aber ein soziales Phänomen. Als Gestalter ist unsere Tätigkeit gesellschaftsbedingt, und den Kreis unserer Aufgaben schlägt die Gesellschaft. Fordert nicht heute in Deutschland unsere Gesellschaft tausende von Volksschulen, Volksgärten, Volkshäusern? Hunderttausende von Volkswohnungen? Millionen von Volksmöbeln? [...] Als Gestalter sind wir Diener dieser Volksgemeinschaft. [...] Wir suchen keinen Bauhausstil und keine Bauhausmode. Keine modisch-flache Flächenornamentik horizontal-vertikalgeteilt und neoplastisch aufgepäppelt. [...] Wir verachten jegliche Form, die zur Formel sich prostituiert.«

Meyers Leitgedanke »Volksbedarf statt Luxusbedarf« bezog sich also nicht auf eine Reform der bürgerlichen Formkultur, wie dies letztlich für den in der Werkbund-Tradition operierenden Walter Gropius zutraf, sondern zielte auf die breite Masse der lohnabhängigen Arbeiter und kleinen Angestellten, deren Bedürfnisse »zum Ausgangspunkt und Ziel jeglicher gestalterischer Tätigkeit« werden sollten. Vor allem in der Arbeiterbewegung sah Hannes Meyer angesichts zunehmender Klassenauseinandersetzungen eine politische und kulturelle Alternative zum rechtsgerichteten Kleinbürgertum, galt ihm doch die Arbeiterschaft – in Anlehnung an die, freilich idealisierte, Entwicklung der sowjetischen Gesellschaft – als Hoffnungsträger einer neuen, zukünftigen demokratischen Breitenkultur.

Zunächst aber kam es darauf an, jenseits aller sozialen Utopien ganz konkret zur Verbesserung der realen Lebensverhältnisse dieser Menschen beizutragen, wozu Meyer am Bauhaus ein Programm auflegte, das auf die Entwicklung von preiswerten und zweckmäßigen »Volkswohnungen« zielte. Damit befanden sich der Bauhaus-Direktor und sein Institut zweifellos auf der Höhe der Zeit, wie Parallelaktivitäten an anderen Orten zeigen. So ist es gewiss kein Zufall, dass angesichts der heraufziehenden Weltwirtschaftskrise das Problem der allgemeinen Wohnungsnot zum Gegenstand des II. Internationalen Kongresses für Neues Bauen (CIAM II) wurde, der 1929 in Frankfurt am Main unter der Parole »Die Wohnung für das Existenzminimum« abgehalten wurde. Und ebenso wenig zufällig ist, dass schon seit Mitte der zwanziger Jahre etwa in Berlin von Bruno Taut und in Frankfurt unter der Führung von Ernst May (»Das Neue Frankfurt«) neue Großsiedlungen entstanden, mit denen dem sozialen Massenelend begegnet werden sollte. Vor diesem Horizont ging es auch Hannes Meyer im Bauhaus-Unterricht nicht mehr um das ästhetische Experiment, das lange im Mittelpunkt gestanden hatte, sondern um ein Verständnis von Gestaltung als soziale Mission. Das »individuell hergestellte Möbel für irgendeinen ‚modernen’ begeisterten Snob« galt nun als obsolet. Hoch im Kurs stand dagegen »das Typenmöbel für den Volksgebrauch, Produkt moderner Serienherstellung, Produkt des Studiums von Volksgewohnheiten, sozialer Standardisierung, physiologischer und psychologischer Funktionen, der Typisierung des Produktionsvorgangs [...].«

Dies alles zeigt, dass unter Meyer die schon im Gründungsmanifest von 1919 angeklungenen, jedoch kaum eingelösten sozialen Zielbestimmungen des Bauhauses die Oberhand gewannen. Das bedeutete zugleich, dass vor allem die von den freien Künstlern kultivierten Individualismusideologien mehr und mehr an Autorität einbüßten und dass der Gedanke, das Kreativpotential der Künste sei für die Bereiche Design und Architektur unverzichtbar, einer gründlichen Revision unterzogen wurde. Legt man Effizienzmaßstäbe an, so erreichte das Bauhaus unter Hannes Meyer, von dem der Satz stammt, dass er nie allein projektiere, sondern immer im Kollektiv unter arbeitsteiliger Mitwirkung von Spezialisten, seinen Höhepunkt. Trotz seiner erfolgreichen Arbeit als Architekt und Pädagoge wurde Meyer im Sommer 1930 mit dem Argument, die Politisierung des Bauhauses nach »links« geduldet oder gar aktiv unterstützt zu haben und als Marxist ohnehin untragbar zu sein, von Dessaus sozialdemokratischem Oberbürgermeister Fritz Hesse fristlos aus seinem Direktorenamt entlassen. Er ging daraufhin die Sowjetunion, um dort als Architekt und Stadtplaner am Aufbau der kommunistischen Gesellschaft teilzuhaben, kehrte 1936 in die Schweiz zurück, arbeitete 1939 bis 1949 in Mexiko und starb 1954 in Basel.

Obwohl die thematisch klar aufgebaute Dessauer Ausstellung nur in geringer Zahl Originale bietet, gelingt es ihr, mit Hilfe von erläuternden Texten, dokumentarischem Bildmaterial, sehr schön ausgeführten Architekturmodellen und Nachbauten nach Möbelentwürfen der späten 1920er Jahre, die den »Volksbedarf« befriedigen bzw. für die Ausstattung der »Volkswohnung« dienen sollten, die Gedankenwelt und Gestaltungspraxis Hannes Meyers anschaulich darzustellen. Der ergänzende kleine Katalog tut dabei gute Dienste. Ob sich aus der historischen Rückschau Impulse in Richtung gegenwärtiger bzw. zukünftiger Strategien kooperativen Gestaltens herleiten lassen, wie es die Kuratoren offenbar zu erwarten scheinen, mag allerdings dahingestellt bleiben.

Im Anschluss an die Präsentation in der Stiftung Bauhaus Dessau wird die Ausstellung vom 16. März bis 12. Juni 2016 im Architekturmuseum der Technischen Universität München, Pinakothek der Moderne, gezeigt.

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