Ausstellungsbesprechungen

Der Frühling der Renaissance/La Primavera del Rinascimento, Palazzo Strozzi, Florenz, bis 18. August 2013

Über die Ursprünge der Renaissance und die künstlerische Inspiration durch die Antike - vor allem in der Skulptur - informiert derzeit eine große Ausstellung in Florenz. Rainer K. Wick weiß mehr.

Die Besprechung der Ausstellung »Die Medici« im Mannheimer Museum Weltkulturen endete mit der Feststellung, dass bei allem Bemühen der Kuratoren, ein facettenreiches Bild dieser europäischen Herrscherdynastie zu vermitteln, eines nicht verzichtbar sei, nämlich die Originalschauplätze, an denen die Medici gewirkt haben, zu bereisen und vor Ort in Augenschein zu nehmen.

Dazu hat nun Gelegenheit, wer sich nach Florenz aufmacht, um dort die noch bis zum 18. August laufende Ausstellung »La Primavera del Rinascimento« zu besuchen. Um es sogleich auf den Punkt zu bringen: Die Ausstellung ist hochkarätig, versammelt sie in den Räumen des Palazzo Strozzi, einem der herausragenden Florentiner Stadtpaläste des späteren 15. Jahrhunderts, doch herausragende Meisterwerke vor allem der Bildhauerkunst, aber auch der Malerei, aus den ersten sechs Jahrzehnten der italienischen Frührenaissance. Hauptwerke aus Florentiner Museen sowie internationale Leihgaben veranschaulichen die Anfänge der Renaissance in Florenz, die zeitlich mit dem Aufstieg der Medici zur mächtigsten und einflussreichsten Familie der Stadt einherging. Genauer gesagt, wird der zeitliche Rahmen durch zwei Eckdaten markiert: 1401, dem Jahr des Wettbewerbs für die zweite Bronzetür des Florentiner Baptisteriums, und 1466, dem Todesjahr Donatellos, des bedeutendsten Florentiner Bildhauers der Frührenaissance.

Die von Beatrice Paolozzi Strozzi, der Direktorin des Florentiner Skulpturenmuseums Bargello, und Marc Bormand, dem Chefkonservator der Skulpturenabteilung des Louvre, kuratierte, angenehm klar und übersichtlich präsentierte Ausstellung ist in zehn thematische Abteilungen gegliedert. Sie beginnt mit einem Blick auf das »Erbe der Väter« mit Werken von Künstlern wie Nicola und Giovanni Pisano, Anolfo di Cambio und Giotto, die einerseits in der Formenwelt der Gotik zu Hause waren, andererseits aber maßgebliche Zukunftsimpulse in Richtung Renaissance gegeben haben. Im Mittelpunkt der zweiten Sektion stehen Ghibertis und Brunelleschis Probestücke, die sie im Jahr 1401 im Rahmen des Wettbewerbs zur Gestaltung der Bronzetür des Nordportals des Florentiner Baptisteriums einreichten. Unmittelbar nebeneinander platziert – spektakulärer könnte der Auftakt zu dieser zweiten Abteilung kaum sein –, erlauben sie einen direkten Vergleich zwischen den Werken der rivalisierenden Künstler.

Die Teilnehmer an dem Wettbewerb hatten alle dasselbe Thema, die Opferung Isaaks, zu bearbeiten und sich dabei an die durch Andrea Pisanos Bronzetür vorgegebene gotische Vierpassform zu halten. Die Entscheidung der Jury fiel auf Ghiberti, u.a. auch deshalb, weil sein Gussverfahren einen deutlich geringeren Materialverbrauch versprach als das seiner Konkurrenten.

Obwohl Brunelleschis Entwurf im Gesamtcharakter expressiver, jener Ghibertis „klassischer“ ausfiel, haben sich beide Künstler antiker Formanregungen bedient: Brunelleschi zitiert den berühmten hellenistischen Dornauszieher, Ghibertis fast klassisch durchmodellierter Oberkörper des auf dem Opferaltar knienden Isaak ist ohne entsprechende Antikenkenntnis nicht denkbar. So ist es nur folgerichtig, dass die Ausstellung zum Vergleich sowohl einen römischen Marmor des Dornausziehers wie auch den muskulösen Torso eines antiken Kentauren zeigt.

Sein Misserfolg bei diesem Wettbewerb veranlasste Brunelleschi, der von seiner Ausbildung her Goldschmied war, sich gewissermaßen kompensatorisch nahezu ausschließlich auf die Architektur zu konzentrieren. Mit der Konstruktion der gigantischen Kuppel des Florentiner Doms, die in der Ausstellung als Original-Holzmodell zu sehen ist, dem Bau des Findelhauses, der Kirchen S. Lorenzo (mit der sogenannten alten Sakristei) und S. Spirito sowie der Pazzi-Kapelle bei S. Croce wurde er zum Gründungsvater der Baukunst der italienschen Frührenaissance.

Hat man nach dem Besuch der Schau im Palazzo Strozzi noch genügend Kraftreserven, kann das alles bei einem Rundgang durch die Stadt in fußläufiger Entfernung an Ort und Stelle besichtigt werden.

Dreh- und Angelpunkt der Ausstellung ist die Leitthese, dass in der ersten Phase der Florentiner Frührenaissance der Skulptur die maßgebliche Führungsrolle zugekommen sei. Insofern ist es auch kein Zufall, dass die Kuratoren den Untertitel »La scultura e le arti a Firenze 1400-1460« gewählt haben. Sieht man von Brunelleschi als Architekt ab, so waren drei der vier bahnbrechenden Meister der ersten Hälfte des Quattrocento Bildhauer: Ghiberti, Donatello und Lucca della Robbia, nur Masaccio war Maler. Ghiberti und Donatello stehen folglich im Mittelpunkt der nächsten Sektionen, in denen es u.a. um Bauplastiken für den Dom, den Campanile und für das Oratorium Orsanmichele geht. Glanzstücke sind zwei der zahlreichen Nischenfiguren für Orsanmichele, nämlich Ghibertis Heiliger Matthäus von 1419-22 und Donatellos eigens für die Ausstellung aufwendig restaurierter, 2,85 Meter hoher Heiliger Ludwig von Toulouse (1422-25).

Wenn der Begriff „Renaissance“ nicht nur ganz allgemein die Wiedergeburt der Kunst nach den Jahrhunderten des „dunklen Mittelalters“ meint, so wie Ghiberti es Mitte des 15. Jahrhunderts in seinen »Denkwürdigkeiten« (Commentarii) sah, sondern speziell eine Wiederbelebung der Antike, wie Giorgio Vasari in seinen berühmten Künstlerviten (1550 und 1568) betonte, dann gelingt es der Ausstellung geschickt, durch sparsam ausgewählte antike Belegstücke zu zeigen, wie die Kunst eines paganen Zeitalters subtil in die noch stark christlich bestimmte und gestimmte Kultur des Quattrocento eindringen und eine allmähliche Transformation in Richtung einer humanistisch geprägten Frühmoderne bewirken konnte.

Als eine spezifische Form der Antikenrezeption erscheint in der Frührenaissance das Reiterstandbild, das erfolgreichen Söldnerführern, den Condottiere, gewidmet wurde. Donatello schuf ab 1447 für den Vorplatz der Kirche S. Antonio in Padua das Denkmal des Condottiere Erasmo de’Narni, genannt Gattamelata, das erste überlebensgroße, als Freiplastik gearbeitete Reiterstandbild seit römischer Zeit, das durch die antike Bronzeskulptur des Kaisers Marc Aurel inspiriert wurde. Der Palazzo Strozzi zeigt eine diesem römischen Vorbild nachempfundene Kleinbronze aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, ferner Donatellos nur selten ausgestelltes, eindrucksvolles Gipsmodell des Kopfes von Gattamelata, dessen Gestaltung ganz offensichtlich durch römische Herrscherporträts beeinflusst wurde, und einen bronzenen Pferdekopf aus der griechischen Klassik sowie zum Vergleich dazu einen solchen von Donatello. Dass es auch gemalte Reiterstandbilder gab, ist jedem Besucher des Florentiner Doms bekannt, wo sich Paolo Uccellos Fresko des Condottiere John Hawkwood befindet. Wie sehr in der Frührenaissance Maler – von Masaccio bis Piero della Francesca – von der Plastik jener Zeit profitiert haben, illustriert u.a. Andrea del Castagnos statuarisch konzipiertes Ganzfigurenbildnis eines anderen Söldnerführers, des Condottiere Filippo Scolari, genannt Pippo Spano.

Größten Einfluss auf die Kunst der Renaissance und der folgenden Jahrhunderte hatte Brunelleschis Erfindung der Zentralperspektive, die im frühen 15. Jahrhundert nicht nur in die Malerei Eingang fand, sondern auch in die Reliefkunst, wie einige fein gearbeitete Beispiele in der entsprechenden Sektion der Schau im Palazzo Strozzi belegen.

Breit wird die rasche Ausbreitung des „neuen Stils“, der die Gotik natürlich nicht sofort vollständig verdrängen konnte, dokumentiert, und zwar interessanterweise an einem Motiv, das nicht dem antiken Erbe verpflichtet ist, sondern ganz im Christlichen verankert ist, nämlich an Darstellungen der Maria mit dem Kind. Hier versammeln die Kuratoren betörend schöne Exemplare aus dem Umkreis von Ghiberti, von Donatello und vor allem von dem überaus produktiven Luca della Robbia, ferner eine hinreißend gemalte Madonna mit dem Christuskind von Filippo Lippi aus der Zeit um 1460.

Die letzte Sektion ist der Porträtplastik der Frührenaissance gewidmet und konzentriert sich dabei auf Büsten von Angehörigen der Florentiner Aristokratie, die seit Mitte des Quattrocento zunehmend als Förderer der Künste und als Mäzene in Erscheinung traten und dabei sehr bewusst die Kunst nicht nur als Instrument der Selbstvergewisserung, sondern auch der Selbstdarstellung einsetzten.

Hatte die großartige Ausstellung »Gesichter der Renaissance« 2001 im Bode-Museum Berlin die Entdeckung und Emanzipation des Individuums im 15. Jahrhundert, den Prozess der Bewusstwerdung des Selbst des „modernen Menschen“, schwerpunktmäßig an Beispielen aus der Malerei vorgeführt, so sind es nun in Florenz bedeutende skulpturale Arbeiten etwa von Desiderio da Settignano, Mina da Fiesole, Antonio Rosselino oder Andrea del Verrocchio, die in ihrem teilweise schonungslosen Realismus ein lebensnahes Bild der Florentiner Elite jener Jahrzehnte vermitteln und dabei auch vor der Darstellung des Hässlichen nicht haltmachen. Das schloss selbstverständlich die einfühlsame Schilderung jugendlicher Schönheit nicht aus, wie Desiderio da Settignanos Marmorbüste der jungen Marietta Strozzi aus der reichen, mit den Medici rivalisierenden Banker-Familie eindrucksvoll bestätigt. Sie bildet zusammen mit dem originalen Holzmodell des ab 1489 errichteten Palazzo Strozzi den Schlusspunkt einer Ausstellung, die man als Freund der Kunst Italiens und speziell der italienischen Renaissance auf jeden Fall gesehen haben sollte.

Weitere Informationen

Wer es nicht schafft, nach Florenz zu kommen, hat eine zweite Chance: Die Ausstellung wird vom 26.09.2013 bis 06.01.2014 im Louvre in Paris zu sehen sein. Und noch eine Empfehlung: Die 39,- € für das 552 Seiten starke, reich bebilderte Katalogbuch sind eine Ausgabe, die sich auf jeden Fall lohnt.

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