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Die Wiedergeburt des akademischen Zeichnens - Studenten der Archäologie und der Kunst üben das Sehen -- Ein Bericht über ein außergewöhnliches Seminar an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Die Jenaer Archäologen haben eine besondere Form der Schulung des Sehens wiederentdeckt. Gemeinsam mit Professor Achim Preiß von der Bauhaus-Universität Weimar und seinen Studenten der Kunstpädagogik, Freien Kunst und visuellen Kommunikation veranstalten sie seit Beginn dieses Wintersemesters ein Seminar, das sich auf eine vergessene Fertigkeit im Studium der Klassischen Altertumswissenschaften besinnt – das Zeichnen nach antiken Vorbildern.

Venus@Foto Dennis Graen Hauptgebäude Abguss-Saal©FSU Jena Gipsabguss©FSU Jena Athena©Dennis Graen
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Die Voraussetzungen in Jena sind dafür denkbar günstig, verfügt doch das Institut (derzeit ca. 130 Studenten) über eine wieder anwachsende Sammlung von Gipsabgüssen antiker Statuen. An Gipsabgüssen üben Studenten der Archäologie seit jeher das Beobachten und Beschreiben von Objekten. Über 600 Abgüsse nannte das Jenaer Institut bis in die 60er Jahre hinein noch sein eigen, bis aus Platzmangel die Räume des Archäologischen Museums im Hauptgebäude der Universität umgebaut und umgenutzt wurden. 

Die Abgüsse kamen letztendlich nach Berlin und befinden sich nun in einem gut bewachten Depot in Hohenschönhausen. Mittlerweile nutzen auch andere Institutionen diese „verlorenen“ Jenaer Schätze, denn eine derart große Sammlung ist rar geworden in Deutschlands Universitäten. Jena selbst hat vor einigen Jahren 30 Abgüsse als Dauerleihgabe zurückbekommen und stellt sie über den Campus verteilt aus, weitere Abgüsse sollen folgen. 

Doch warum üben sich Archäologen im Zeichnen, wo sie doch fotografieren können? „Ein Foto ist schnell gemacht“, sagt Dr. Dennis Graen, Kustos des Instituts, „aber das Objekt schaue ich damit nicht richtig an.“ Erst das eigene Zeichnen zwingt zur genauen Betrachtung des Objektes, zum genauen Hinsehen und Verstehen. Es geht sogar noch weiter, denn die zeichnerische Beschreibung eines Objektes steht noch vor seiner sprachlichen Beschreibung, so erklärt Julia Langer, Studentin der Kunstpädagogik aus Weimar, mit großer Begeisterung. Sie begreift Zeichnen als die perfekte Schulung des Sehens.

In den Räumen der Jenaer Rosensäle werden geschäftige Vorbereitungen getroffen, Mappen werden ausgebreitet, Stühle gerückt, das Podest bereitgestellt, Requisiten liegen aus. Ungefähr 20 Studenten aus Jena und Weimar legen ihre Arbeitsmaterialien zurecht.
Die Venus von Milo, Aphrodite und eine verwundete Amazone – das sind an diesem Abend die Studienobjekte. Besondere Herausforderung soll hierbei der Faltenwurf in der Kleidung sein. Nach einem Semester intensiven Übens sind die Studenten der Archäologie und der Kunst bei der Darstellung des menschlichen Körpers in seiner Gesamtheit angelangt, doch bis dahin war es ein weiter Weg. Angefangen haben die Studenten mit geometrischen Formen (als Objekte dienten dabei sogar Originale aus der Institutssammlung), schließlich waren vor allem die Studenten der Archäologie im Zeichnen gänzlich ungeübt. Doch: „Man kann Zeichnen lernen, die Fortschritte sind messbar“, resümiert Dennis Graen.

Das anschließende Studium einzelner Körperteile und Muskeln bis hin zur Körperhaltung erfolgte jedoch nicht nur an Statuen. Ein Modell stellt die antiken Plastiken nach, an jenem Abend zum ersten Mal im Kostüm. Was ist denn so anders daran, das gleiche Motiv nur mit lebendem Modell zu malen? Für Julia Langer ist gerade der Vergleich des natürlichen Körpers mit dem idealisierten antiken Vorbild interessant, denn so lassen sich die Absichten des antiken Künstlers nachspüren, lässt sich die griechische Kunst besser begreifen und – nicht zuletzt – wird die eigene Aufmerksamkeit gesteigert.

Dennis Graen ist zuversichtlich, dass die teilnehmenden Studenten in Zukunft anders auf die Objekte schauen werden. Ihre unmittelbar erworbene neue Fertigkeit und ihre Zeichnungen stellen sie bald schon der Öffentlichkeit vor, sogar im Rahmen einer Verkaufsausstellung, die voraussichtlich in der Jenaer Goethe-Galerie (einem gut besuchten Einkaufszentrum in der Innenstadt) stattfinden wird – ein außergewöhnlicher Abschluss für ein außergewöhnliches Seminar.

Und die Gipsabgüsse? Eine Plastik wird natürlich die kleine Ausstellung begleiten. Auf neue Räume für die Sammlung, die vielleicht sogar noch um 300 Exemplare aus Berlin bereichert wird, hofft Dennis Graen mit dem geplanten Umzug des Instituts in ein eigenes Haus, das dann auch wieder ein Archäologisches Museum beherbergen wird.

Gute Aussichten für die Jenaer Archäologen und ihre Studenten!

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