Vor genau 25 Jahren wurde die Washingtoner Erklärung aufgesetzt. Damit verpflichteten sich die Unterzeichnenden, Kunstwerke, die während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmt wurden, ausfindig zu machen, die rechtmäßigen Eigentümer oder deren Erben zu finden und rasch die notwendigen Schritte zu unternehmen, um zu fairen und gerechten Lösungen zu gelangen. Was ist seitdem geschehen? Der vorliegende Band gibt einen soliden Überblick zum Thema. Rowena Schubert-Fuß hat sich eingelesen.
Es kann nur vermutet werden, wie viele Kunstwerke während des Dritten Reichs ihren Besitzern gestohlen, verfolgungsbedingt entzogen oder veräußert werden mussten, um die eigene Flucht zu organisieren. Die breite Öffentlichkeit schaut erst seit 2013 mit großer Aufmerksamkeit auf dieses Thema. Damals wurde der Sohn von »Hitlers Chef-Kunsthändler« Hildebrand Gurlitt beschuldigt Raubkunst zu besitzen, insgesamt rund 1600 Gemälde und Zeichnungen (PKG berichtete). 2021 zog das Kunstmuseum Bern, welches die Sammlung zwischenzeitlich geerbt hatte, Bilanz zur Erforschung der Kollektion. Insgesamt wurden von den Fachleuten 14 Kunstwerke aus der Sammlung als definitive »NS-Raubkunst« eingestuft. Es gibt aber weiterhin Grenzfälle, wo unter Umständen die Kategorie »fluchtbedingter Verkauf« noch zum Tragen kommen könnte.
Dennoch gab es bereits die ersten Restitutionen. Dazu hatte sich das Museum bei Antritt des Gurlittschen Erbes verpflichtet. So wurden etwa »Dompteuse« und »Dame in der Loge« von Otto Dix an die Erben der ursprünglichen Besitzer zurückgegeben, da die Werke klar als Raubkunst eingeordnet worden waren.
Doch nicht immer ist die Beweislage eindeutig. Die Realität ist: Restitutionsprozesse sind komplex und jede Rückgabe einzeln zu untersuchen. Zudem steht die Provenienzforschung erst seit dem Fall Gurlitt verstärkt im Fokus der Museen.
An diesem Punkt setzt der Sammelband an. 14 Aufsätze in Deutsch und Französisch werfen schlaglichtartig einen Blick auf die Rolle deutscher und französischer Museen, den diversen Akteur:innen und Netzwerken sowie der Frage nach dem Umgang mit dem schwierigen Erbe der Besatzungszeit (1940 bis 1944). Er ist daher gut geeignet, um sich einen Überblick zum Thema und den aktuellen Forschungsstand zu verschaffen.
Am Anfang steht die Beantwortung der Frage nach dem Motiv hinter den Transaktionen. Am Beispiel des Leiters des Martin von Wagner Museums Würzburg, Hans Möbius, wird offenbar, dass manche An- und Verkäufe dazu dienten, sich bei der NS-Hautevolee einzuschmeicheln. So tätigte Möbius in seiner Zeit als Oberleutnant beim Kunstschutz 1941 bis 1944 diverse Ankäufe für das neu geschaffene Landgrafenmuseum in Kassel, ein Prestigeprojekt von Prinz Philipp von Hessen-Kassel. Nach Ende des 2. Weltkriegs wurden die Erwerbungen jedoch als illegal eingestuft. Hans Möbius selbst wurde dementsprechend des Amtes enthoben und 1948 im Spruchkammerverfahren als Mitläufer eingestuft. Später wurde er allerdings entlastet und als Museumsleiter in Würzburg wiedereingesetzt.
Die Autor:innen der vorliegenden Publikation weisen indes darauf hin, dass es noch Forschungsbedarf gibt. So konnten bislang nicht alle Umstände seiner Erwerbstätigkeit auf dem Pariser Kunstmarkt geklärt werden. Man muss zudem annehmen, dass Kunsthändler, die teilweise zu den von Nationalsozialisten verfolgten Personen gehörten, wahrscheinlich nicht gänzlich freiwillig mit Mitgliedern des deutschen Kunstschutzes handelten.
Museen spielen in den Handelsbeziehungen überhaupt eine tragende Rolle. Öffentliche Einrichtungen konnten mit einem vorteilhaften Wechselkurs von 1:20 auf dem Kunstmarkt im besetzten Frankreich einkaufen und ihre Waren zollfrei ausführen. Für den deutschen Kunsthandel waren dieser Umstand doppelt interessant, da durch die Auflösung von Sammlungen politisch oder rassistisch Verfolgter exquisite Ware auf den Markt kam. So entspann sich eine rege Zusammenarbeit zwischen Kunsthändlern, Museumsdirektoren und ihren Agenten.
Kunstwerke wurden zur Währung in ganz verschiedenen Devisengeschäften. Illustriert sei dies am Beispiel des Gemäldes»Landschaft mit See« von Claude Lorrain, welches 1943 Teil eines komplexen Tauschhandels zwischen der Kunsthandlung Julius Böhler in München und der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe wurde. Wie Nachforschungen ergaben, gingen dabei insgesamt drei Bilder vom Museum an die Kunsthandlung. Neben dem Lorrain bekam Böhler eine Ruinenlandschaft von Guardi sowie ein Frauenporträt aus der Hand eines Meisters in der Nachfolge von Paris Bordone. Im Gegenzug bekam das Museum ein heute als »Beschneidung Christi« bekanntes Gemälde.
Bemerkenswert sind dabei zwei Dinge: erstens, dass das Karlsruher Museum die besagten drei Objekte nie im Inventar hatte, zweitens ging der Betrag für die »Beschneidung« nicht direkt an Böhler, sondern der Karlsruher Museumsdirektor Kurt Martin, gleichzeitig Generalbevollmächtigter für Kunstsammlungen im Elsass, stellte den Gesamterlös als Devisen in Höhe von 1.600.000 Francs in Paris zur Verfügung. Für beide Parteien eine Win-Win-Situation. Denn das Museum konnte durch das religiöse Gemälde die an Frankreich ausgerichtete »unerwünschte« Sammlungsstrategie wettmachen und Böhler bekam durch den öffentlichen Auftrag die Mittel und den Zugang zum französischen Kunstmarkt.
Man muss sich klar machen, dass es allen Akteuren lediglich darum ging, die günstigen wirtschaftlichen Konditionen zu nutzen, die sich durch die Zusammenarbeit mit einem Museum ergaben. Interessant ist zudem, wie dies verschleiert wurde. Im vorliegenden Fall bediente man sich eines ganzen Netzwerks von Vermittlern, um an den Lorrain und die anderen Werke für den Tausch zu kommen. Dazu gehörte auch ein prominenter Name: Karl Haberstock, von 1939 bis 43 für den »Sonderauftrag Linz« tätig und seit 1936 Geschäftspartner von Böhler. Er fand u.a. das Frauenporträt im Geschäft des jüdischstämmigen Händlers Hugo Engel in Paris. Keineswegs einfach war auch der Erwerb des »Beschneidungsbildes«, welches über den Händler Matthias Göhringer von einem Arzt aus Süddeutschland vom Museum für die Straßburger Sammlung angekauft wurde. Dies war problemlos möglich, da der Generalbevollmächtigte Martin durch die zusammengelegte Administration ohne weiteres zwischen Karlsruhe und Straßburg wechseln konnte.
Spätestens hier stellt man sich als Leser die Frage, wie unter diesen mehr als schwierigen Voraussetzungen labyrinthischer Netzwerke eine Grundlage für Strafverfolgung und Opferentschädigung geschaffen werden soll. Tatsächlich haben die Autoren des letzten Buchabschnitts, der sich mit den Folgen der Besatzungszeit beschäftigt, darauf keine klare Antwort parat. Stattdessen wird ein weiteres Problemfeld eröffnet.
Zitiert sei dafür der Fall Modigliani. Sein »Porträt einer unbekannten Frau« wurde in Paris 1941 auf Befehl von Hermann Göhring durch den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg in Zusammenhang mit Devisengeschäften enteignet. 1942 wurde es an den Berliner Kunsthändler Gustav Rochlitz verkauft, der eine Dependance in Paris unterhielt. Später behauptete er, dass das Gemälde auf dem Transportweg von Frankreich nach Deutschland verloren gegangen sei. 1949 tauchte es jedoch in einem Konvolut an Gemälden wieder auf, die die Stadt Hannover vom Berliner Immobilienmakler Conrad Doebbeke kaufte, um Sammlungslücken zu füllen. In Zweifel gezogen werden bei diesem Bildnis seit den 1960ern nicht nur die Urheberschaft Modiglianis, sondern ebenso die Erwerbsumstände, da es Lücken in der Provenienz gibt. Sollten diese Umstände je geklärt werden, müsste das Werk gemäß Washingtoner Prinzipien restituiert werden.
Aufschlussreich ist ebenso die Rolle öffentlicher Institutionen bei der Aufklärung von Raubkunst-Fällen, veranschaulicht am Beispiel der Commission nationale interprofessionelle d'éputation (CNIE). Diese war von 1944 bis 1951 aktiv und damit beauftragt, die Verstrickungen bekannter Pariser Kunsthändler bezüglich der Plünderungen, Raubüberfälle und fluchtbedingt getätigter Veräußerungen während der Besatzungszeit zu untersuchen sowie Beschuldigte an die Justiz zu überführen. Dafür stand man in regelmäßigem Austausch mit der Commission de Récupération Artistique (CRA), aktiv 1944 bis 1949, die sich im Wesentlichen um Raubkunstdelikte kümmerte. Pikant an der Sache ist allerdings: die CRA beschäftigte hauptsächlich Museumskuratoren, Bibliothekare, Akademiker, Kunstkenner und Sammler, sodass die Beweissicherung für eine spätere Strafverfolgung oft in den Händen derer lag, die sich eventuell eines Verbrechens schuldig gemacht hatten.