Das European Media Art Festival (emaf) in Osnabrück ist mittlerweile eines der wichtigsten Medienkunstfestivals in Deutschland. Es eröffnet einmal im Jahr einen kritischen Blick auf die aktuelle gesellschaftliche Lage. War das emaf zu Beginn Anfang der 1980er Jahre noch ein Experimentalfilm-Festival, bietet es mittlerweile außerdem Performances, Talks, dem Media-Campus INIT für NachwuchskünsterInnen sowie einer regelmäßigen Ausstellung in der Kunsthalle Osnabrück eine Plattform. Susanne Braun hat ein paar Eindrücke aus der Ausstellung »Wild wild Grammar« mitgebracht, die sich mit der Kommunikation in einer global vernetzten Welt auseinandersetzt.
Schon 1956 weist der Sprachwissenschaftler Roman Jakobson darauf hin, dass alle Kommunikationsteilnehmer im optimalen Fall über einen gemeinsamen Wortschatz und einen möglichst ähnlichen »Karteischrank mit vorgefertigten Vorstellungen«1 verfügen sollten. Denn nur unter Verwendung von gemeinsamen Kodes sei eine Verständigung möglich. Rund zwanzig Jahre später zeigt sich Roland Barthes darum bemüht, die vielen Geschichten, die Gegenstand der alltäglichen Kommunikation sind, in Strukturen einzuteilen. Er hofft sie auf diesem Weg der Analyse und dem Verstehen zugänglich zu machen. Laut Barthes zeigte sich schon der Begründer der Sprachwissenschaft, Ferdinand de Saussure, besorgt über die »Willkür des Zeichens«2. Heute scheint es den meisten selbstverständlich, dass Künstler sich gezielt der Mehrdeutigkeit der Sprache bedienen. Doch dass sich die Komplexität der Sprache auch im Alltag bemerkbar macht und Missverständnissen produzieren kann, scheint vielen nicht bewusst. Was passiert, wenn darüber hinaus grundlegende Referenzpunkte innerhalb eines Sprach- beziehungsweise Kulturraums verschwinden? Etwa weil zu viele Menschen sich nur noch unter ihres Gleichen in Echokammern bewegen, so dass von so etwas wie einem »Allgemeinwissen« nicht mehr ausgegangen werden kann?
Im Zentrum der Ausstellung »Wild wild Grammar« befindet sich ein schmaler heller Lichtkegel. Eine dröhnende männliche Stimme artikuliert dazu immer wieder »nothing« und dann »no thing«. Doch eine Person ist nicht auszumachen, der Spot erhellt nur die Leere im Zentrum des Lichtkegels. Auf der Suche nach einer Erklärung für die Sound und Lichtinstallation von Jens Pecho entdecke ich in der Nähe einige grell erleuchtete Texte, die kritisch ein bestimmtes Kunstverständnis ansprechen. Doch ich kann keine Referenz entdecken und sie laufen für mich ins Nichts.
In unmittelbarer Nähe befindet sich die Video-Installation »4. Halbzeit« von Wermke/Leinkauf. Hier wechseln Aufnahmen singender Fußballfans mit Szenen eskalierender Gewalt. Offenbar sind die Bilder während des arabischen Frühlings oder den Ausschreitungen in Chemnitz entstanden. Doch leider lassen sich die Szenen oft nich einordnen und wirken schlicht irritierend. Die Video-Installation ist mit Hilfe des DFB-Kulturfonds möglich geworden, der in diesem Jahr erstmals auch offiziell Sponsor des emaf ist.
Christina Szonn inszeniert in ihrer Installation »Flexible Erwartungsauffälligkeit« nicht mehr benötigte Gebrauchsgegenstände. Darunter: Folien, Plastikhandschuhe, ausrangierte Koffer, Prothesen. An einem sich im Kreis drehenden Förderband schleifen sie klappernd über den Boden. Manchmal machen sie sich dabei unfreiwillig als Reinigungsgeräte nützlich, in anderen Momenten türmen sie sich immer weiter auf und verstopfen den Fluss.
Ausrangierte und auf dem Müll gelandete Gegenstände spielen auch in Thomas Keisers Performance »Zunkstujects-Tterings = The Materialist Cult« die zentrale Rolle. Er lässt die Objekte in einer Live-Performance mit Sounds und Bildern interagieren. Inspirationsquelle war unter Anderem die TV-Serie »Gossip Girl« (2007-2012), die das Kommunikationsverhalten von Jugendlichen kritisch hinterfragt. Die Internetplattform »Gossip Girl« veröffentlicht regelmäßig Klatsch und Tratsch über High School-Schüler aus New York - zutreffend oder auch nicht. Selbst wenn die Schadenfreude zum Teil groß ist, wenn die vermeintlich »Richtigen« denunziert werden, macht die Plattform den Schülern zunehmend Angst. In der Serie wird letztlich allen denkbaren Verschwörungstheorien eine klare Absage erteilt und die Schüler selbst als diejenigen enttarnt, welche die Plattform mit dem »Müll« füttern, der viele an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringt. Ein Videomitschnitt der Live-Performance, collageartig mit unterschiedlichen weiteren Bildern kombiniert, ist in der Ausstellung »Wild wild Grammar« zu sehen.
Darüber hinaus macht die Video-Installation »Predictive Art Bot« von Nicolas Maigret und Maria Roszkowska die Funktionsweisen von Algorithmen sichtbar. Hautnah lässt sich mitverfolgen, wie Soziale Netzwerke nach bestimmten Suchbegriffen durchforstet werden. Außerdem liegen in der Ausstellung mehrere Bücher aus dem Verlag »Possible Books« aus, die zum Teil auch von den Besuchern mitgenommen werden können. Ständiger Bestandteil der Ausstellung ist das Buch »Die Jule mit den Pizzabrötchen«. Darin ist der Chat eines anonymen Pärchens abgedruckt. So kann sich jeder selbst ein Bild davon machen, wie ein solcher Text wirkt - ganz ohne die einordnenden Passagen, die für traditionellere Literaturformen charakteristisch sind.
1 Aus: Jakobson, Roman: »Der Doppelcharakter der Sprache und die Polarität zwischen Metaphorik und Metonymik«. In: »Theorie der Metapher« Hg.: Haverkamp, Anselm, Darmstadt 1996.
2 Aus: Barthes, Roland: »Saussure, das Zeichen und die Demokratie«. In: Ders.: »Das semiologische Abenteuer«, Frankfurt am Main 1988.