Exilort von Otto Dix würdigt die Künstlerin Simone Haack

Ausgehend von Otto Dix’ (1891–1969) noch heute populären und radikalen Arbeiten der 1920er Jahre entstand ab 1933 in seiner Bildsprache ein weit weniger offensiv gesellschaftskritisch angelegtes Œuvre: Dadurch waren auch die Bilder in seinem Exil von 1933 bis 1936 auf Schloss Randegg durch subversive, teils subtile Formen der Zeitkritik geprägt. Anstelle von Kriegsszenarien und soziokritischen Milieus bestimmten politische Landschaftsdarstellungen, Auftrags-Porträts und später christlich-allegorische Motive seine Malerei. Das während der NS-Zeit entstandene Werk von Otto Dix war bis zuletzt noch wenig erforscht. Nicht jedoch durch die Malerin Simone Haack, die durch ihr Stipendium in der Dix-Stadt Gera sich in besonderer Weise seit 2008 dem Werk des Künstlers annäherte und zeitgenössische Antworten auf seine Bilder fand, die sich der deutsche Kunsthistoriker Sebastian C. Strenger im Rahmen der Ausstellung EXIL einmal aus der Nähe betrachtet hat, um hier seine Eindrücke wiederzugeben.

Blick in die Ausstellung EXIL mit dem zeichnerischen nahezu Gesamt-Œuvre der Künstlerin Simone Haack in den Räumen von Schloss Randegg. © SCS Bildarchiv, Berlin / Courtesy: Galerie Titus Koch
Blick in die Ausstellung EXIL mit dem zeichnerischen nahezu Gesamt-Œuvre der Künstlerin Simone Haack in den Räumen von Schloss Randegg. © SCS Bildarchiv, Berlin / Courtesy: Galerie Titus Koch

Die Landschaftbilder von Otto Dix sind fast immer menschenleer. Selten stößt man auf menschliche Figuren. Wie in dem Gemälde "Hegaulandschaft am Abend" von 1935. Dort im Hintergrund ein Kornfeld in einer stimmungsvollen Abenddämmerung. Beim genauen Betrachten sieht man aber dann im rechten Vordergrund des Bildes einen Bauern mit einer Sense, wie er durch das Bild zu gehen scheint. In der Ikonographie würde man vom sogenannten "Schnitter" sprechen, also einer Figur des Todes, die durch den Abend geht. Und es ist der Lebensabend, den Dix damals hier malte.

Otto Dix, Hegaulandschaft am Abend, 1935. Derzeit ausgestellt in „Dix und die Gegenwart“ in den Hamburger Deichtorhallen. © Otto Dix Stiftung Vaduz, Lichtenstein
Otto Dix, Hegaulandschaft am Abend, 1935. Derzeit ausgestellt in „Dix und die Gegenwart“ in den Hamburger Deichtorhallen. © Otto Dix Stiftung Vaduz, Lichtenstein

Der Bauer lässt das Bild in eine Allegorie des Todes kippen. Eine Vorahnung wie auch im Bild "Randegg im Schnee mit Raben" von 1935. Man sieht sich hier an das berühmte Gemälde von Pieter Bruegel erinnert, "Jäger im Schnee", aber anders als Bruegel, der neben den Jägern die Dorfbewohner bei winterlichem Vergnügungen zeigt, präsentiert uns Dix eine kalte menschenleere bedrohliche Szenerie. Alle Fensterläden sind geschlossen, alle sieben Raben, Vorboten des Todes, stürzen sich auf eine undefinierbare Stelle im Schnee. Aas vielleicht und einer klaffenden Wunde nicht unähnlich.

Otto Dix, Randegg im Schnee mit Raben, 1935. Derzeit ausgestellt in „Dix und die Gegenwart“ in den Hamburger Deichtorhallen © Kunstmuseum Stuttgart
Otto Dix, Randegg im Schnee mit Raben, 1935. Derzeit ausgestellt in „Dix und die Gegenwart“ in den Hamburger Deichtorhallen © Kunstmuseum Stuttgart

"Randegg mit Raben", ein Landschaftbild als Ausdruck der politischen Situation jener Tage, als der Künstler vor den Nazis ins Exil nach Schloss Randegg ging, einem Schloss auf den Grundmauern eines römischen Kastells gebaut und im Jahre 1214 erstmals als Burg urkundlich erwähnt.Aber nicht nur das, denn auf heute bezogen hat sich der historische Kontext verändert, da in unserer heutigen Zeit die Herausforderungen andere bis ähnliche geworden sind. Und so verwundert es nicht, dass der Baum, den Dix noch zu Lebzeiten vom Fenster seines Zimmers auf Randegg in Augenschein nehmen konnte und ihm die Vorlage für sein berühmtes Bild lieferte, vor wenigen Jahren gefällt werden musste, vielleicht sogar ein Opfer des Klimawandels wurde.

EXIL - Blick in die Schlosskapelle von Schloss Randegg. © SCS Bildarchiv, Berlin / Courtesy: Galerie Titus Koch
EXIL - Blick in die Schlosskapelle von Schloss Randegg. © SCS Bildarchiv, Berlin / Courtesy: Galerie Titus Koch

Konstatieren lässt sich sicherlich, auf Randegg ist seither eine Fehlstelle entstanden, die danach schrie, gefüllt zu werden. Oder sagen wir besser: Die Künstlerin Simone Haack hat sich ihrer angenommen, wie bereits zuletzt, als die bedeutende Dix-Sammlung der Städtischen Sammlungen in Freital auf Schloss Burgk bei Dresden, sie dazu einludt, die Fehlstelle des Dix-Bildnisses "Rosa Eberl" zu ersetzen, da dieses Werk in die derzeit laufende bedeutende Ausstellung "Dix und die Gegenwart" nach Hamburg in die Deichtorhallen ging - und wie sollte es anders sein, nun auch dort neben einem Portrait von Simone Haack hängt. Im übrigen eine wie Kunstforum International schrieb, eine der "sehenswertesten Ausstellungen des Jahres 2023/24", die jüngst noch bis zum 1. April kommenden Jahres verlängert wurde und in der nebnen Simone Haack weitere Größen der Gegenwartskunst zu sehen sind, wie etwa Anselm Kiefer, Georg Baselitz, Lucian Freud, Alice Neel, Catherine Opie, Paula Rego, Marlene Dumas, Cindy Sherman und Kara Walker.

Blick auf die Kapelle von Schloss Randegg, so wie sie bereits Otto Dix malte. © SCS Bildarchiv, Berlin / Courtesy: Galerie Titus Koch
Blick auf die Kapelle von Schloss Randegg, so wie sie bereits Otto Dix malte. © SCS Bildarchiv, Berlin / Courtesy: Galerie Titus Koch

Was sehen wir also hier? Die sensible Annäherung der Dix-Stipendiatin, die der Einladung von Titus Koch auf Schloss Randegg gefolgt ist, um auch hier eine Fehlstelle zu besetzen. Wo anders sollte ihr Gemälde "Winternachtsbaum" von 2021 besser installativ in Erscheinung treten können, als in der Schlosskapelle von Randegg, als ein Ort der Besinnlichkeit und Kontemplation. Über dem Altar schafft sie mit ihrem Bild eine Analogie zur christlichen Ikonographie. Der Baum als Symbol der Trinität oder Dreifaltigkeit. Installativ umgeben von sieben Raben, die den Gedanken Dix´ raumgreifend für die heutige Zeit wieder aufnehmen.

Blick in die Ausstellung EXIL mit dem zeichnerischen nahezu Gesamt-Œuvre der Künstlerin Simone Haack in den Räumen von Schloss Randegg. © SCS Bildarchiv, Berlin / Courtesy: Galerie Titus Koch
Blick in die Ausstellung EXIL mit dem zeichnerischen nahezu Gesamt-Œuvre der Künstlerin Simone Haack in den Räumen von Schloss Randegg. © SCS Bildarchiv, Berlin / Courtesy: Galerie Titus Koch

Ein Gedenkort möchte man meinen. Einer, der dem Andenken in der Tradition des Künstlers Rechnung trägt und doch etwas Neues ist. Mit der Ausstellung ihres erstmals umfangreich gezeigten zeichnerischen Œuvres spannt Simone Haack zudem den Bogen zu dem Thema, um das es titelgebend auch geht. Das Exil als eine Einkehr in das Innerste und Verkriechen in die Seele. Es sind Werke die von einem inneren Exil sprechen und dabei an diesem historischen Ort ihre Bildwelten wie Zufluchtsorte erscheinen lassen. Die schwarzen Graphitzeichnungen auf Papier erscheinen dabei als Abstraktionen der Ängste eines jeden Betrachters und zeugen von dem unabdingbaren Verlangen der Künstlerin, zu einer Ebene der Klarheit zu gelangen, die größer ist als unsere eigenen Wahrnehmungssysteme. Es sind Bilder von bekannten Unbekannten, die im Entstehen durch Schraffur, gefüllter schwarzer Fläche und dann wieder ausradiert zeigen, dass Die menschliche Wahrnehmung begrenzt ist, und daber wissen wir, dass es viel zu erschließen gibt, was wir mit unseren Sinnen nicht unmittelbar zu erfassen vermögen.

Simone Haack: Mädchen (2011), Bleistift auf Papier, 80 x 60 cm, Foto: Lea Gryze
Simone Haack: Mädchen (2011), Bleistift auf Papier, 80 x 60 cm, Foto: Lea Gryze

Jenseits rationaler Kategorien bewegen sich eben diese Zeichnungen von Haack, deren Bildaussagen sich Schicht um Schicht entschlüsseln lassen. Etwa so, wie beim Dix Gemälde "Judenfriedhof von Randegg", dass er ebenfalls 1935 malte. Der jüdische Friedhof liegt im Landschaftbild weit abgeschnitten vom Dorf im Hintergrund, in einer Winterlandschaft fast so wie heute, über der ein grauer Himmel lastet. Auch bei diesem Bild ist einmal mehr das Gemälde als Kommentar auf das Zeitgeschehen zu werten, denn 1935 war auch das Jahr der Nürnberger Rassengesetze, was auch in Randegg anschliessend zu einer allgegenwärtigen Realität werden sollte.

Otto Dix, Judenfriedhof von Randegg, 1935. © Saarlandmuseum Saarbrücken - Stiftung saarländischer Kulturbesitz
Otto Dix, Judenfriedhof von Randegg, 1935. © Saarlandmuseum Saarbrücken - Stiftung saarländischer Kulturbesitz

Simone Haacks Bildsprache hingegen weist sie als Wegbereiterin eines aufkommenden Neuen Magischen Realismus aus. In ihrer Malerei legt sie symbolhaft die Fragilität des menschlichen Wesens offen. Dabei erzählen ihre Werke immer auch von den Spannungen physischer und psychischer Existenz, die bei ihr die malerische Psychoanalyse durchlaufen. Und immer auch nach ihrem Credo: Mit den Mitteln des Realismus zu arbeiten, aber keine Realität abzubilden.

Die Künstlerin Simone Haack vor dem Schloss Randegg. © SCS Bildarchiv, Berlin / Courtesy: Galerie Titus Koch
Die Künstlerin Simone Haack vor dem Schloss Randegg. © SCS Bildarchiv, Berlin / Courtesy: Galerie Titus Koch

Die in Rothenburg/Wümme geborene Haack lebt und arbeitet heute in Berlin. Sie studierte Freie Kunst an der Hochschule für Künste in Bremen bei Katharina Grosse und bei Karin Kneffel, an der Unitec School of Design in Auckland/Neuseeland sowie an der Pariser Ècole Nationale Superieure des Beaux-Arts in der Klasse von Pat Andrea. Die Meisterschülerin von Karin Kneffel wurde kürzlich mit dem Willi-Ottmanns-Preis für Malerei ausgezeichnet. Zudem war die 45-Jährige Haack zuletzt in "From the Edge" in der New Yorker "Berry Campbell Gallery" ausgestellt. Vom 22. Februar bis zum 26. Mai 2024 wird sie mit "Untangling The Strands" in der Abgusssammlung Antiker Plastik der Staatlichen Sammlungen zu sehen sein.


Schloss Randegg | Otto Dix Straße 52 | D-78244 Gottmadingen-Randegg
Ausstellung Simone Haack: EXIL noch bis zum 15. Februar 2024
Öffnungszeiten: Nach Vereinbarung unter +49 175 5658 568 sowie Samstag/Sonntag 13 - 18 Uhr
www.simone-haack.de

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns