Rezensionen

Andrea Dippel (Hg.): Grauzonen – Nürnberger Künstler:innen im Nationalsozialismus. Verlag für moderne Kunst

Die Ausstellung „Grauzonen. Nürnberger Künstler:innen im Nationalsozialismus“ (25.06.2022 – 06.11.2022) in der Nürnberger Kunstvilla setzte sich mit den Handlungsoptionen und Überlebensstrategien von Künstler:innen während des Nationalsozialismus auseinander. Hierbei wurden einerseits die Kunstpolitik, andererseits ausgewählte Künstlerschicksale in den Fokus genommen. Die Ausstellung selbst wurde dabei zum Forschungsraum und den Besucher:innen dieselben Fragen gestellt, die sich einem Museum stellen: Wie soll mit dem historischen Erbe umgegangen werden? Soll NS-Kunst ausgestellt werden und wenn ja, wie? Nun ist dazu der begleitende Katalog erschienen. Eine Rezension von Melanie Obraz.

Cover © Kunstvilla
Cover © Kunstvilla

Der Titel des Buches „Künstler:innen im Nationalsozialismus“ erregt sogleich eine Aufmerksamkeit, die sowohl eine Brisanz wie ebenso eine Unsicherheit transportiert, da das Thema eine immer noch unbewältigte Aufgabe darstellt. Weder schwarz noch weiß, sondern nur grau und somit indifferent, unentschieden und als ein misslicher Übergang zeigt sich diese Konstellation jener Künstler:innengeneration. Weit entfernt von einer lebendigen und damit künstlerisch pulsierenden Tätigkeit.
In gleicher Weise visualisiert es auch das Cover, ein Selbstbildnis des Nürnberger Malers Heinrich Göttler von 1929. Ernst, beklemmend und zum Nachdenken aufrüttelnd. „Völkisch mit der Kraft des Glaubens“ ist daher auch ein Abschnitt betitelt, der die religiöse Ebene und die damit jene unheilvolle Verbindung herausstellt. Die sinnlosen Schlachten des ersten Weltkrieges klingen hier anklagend mit hinein und weisen sogleich auf eine der katastrophalen Grundlagen und Nährböden des Nationalsozialismus. Doch ist nicht etwa durchgehend von NS–Kunst die Rede, denn es geht darum, in welcher Weise sich Künstler:innen infolge der Zeit, dazu genötigt fühlen konnten, mussten oder doch eine Möglichkeit nutzten, um sich dem bevormundenden Diktat zu entziehen. War es möglich und wenn wie wurde es umgesetzt?

Einleitend heißt es dann auch: „Nicht alle Kunstwerke, die in der Zeit des Nationalsozialismus entstanden sind, können mit NS–Kunst treffend charakterisiert werden“. (S. 11) Es sind stets die Grauzonen, womit sogleich gesagt ist, dass es keine bloße Einteilung in ein dem System konformes und ein als entartet bezeichnetes Schaffen geben darf. Die Kunst wird allgemein schon für kompromittiert erklärt und aus diesem Grunde wirft das Buch einen differenzierten Blick auf jene Zeit in Nürnberg. Wie wurden nun die Stilbegriffe des Klassizismus verarbeitet und kann man darin eine Selbstbehauptung oder gar Selbstbestimmung einzelner Künstler:innen sehen oder zeigt sich hier eher ein der allgemeinen Unsicherheit und Angst geschuldetes Verbergen der eigenen Meinung?

Gerade darin liegt auch die Bandbreite der Untersuchung. So kristallisiert sich im Zuge der Bearbeitung heraus, dass das sogenannte nationalsozialistische Männer– und vor allem auch das Frauenbild mit einer der Kunst dienlichen und ernsthaften Auseinandersetzung nur schwerlich, wenn nicht sogar ganz und gar unmöglich schien. Die nationalsozialistischen Erwartungen, die an die Kunst gestellt wurden, zeigen sich hauptsächlich in einer fordernden Aggression. Künstler:innen gerieten zunehmend unter Druck, eben auch jene Nürnberger Kunstszene konnte davon nicht verschont bleiben.
Die Gefahr zeigt sich allgegenwärtig, zumal ab 1933 Künstler:innen, die dem nationalsozialistischen Diktat nicht entsprachen, aus den gleichgeschalteten Künstlervereinigungen ausgeschlossen und mit einem Ausstellungsverbot belegt wurden. Jenes nationalsozialistische Diktat wird im Buch eingehend behandelt und verdeutlicht so die stets schwelende Gefahr jener Zeit, die sich in den Schreckenskammerausstellungen schon vor der Einführung des Begriffs der entarteten Kunst manifestierten.

 Blick in den Katalog © Kunstvilla
Blick in den Katalog © Kunstvilla

In diesem Sinne bringt es der Abschnitt der „Schreckenskammer Ausstellungen“ zu Tage, dass eine Moderne wie sie beispielsweise von Otto Dix oder Renée Sintenis ausging, im totalitären Staat eben doch keinen Platz – auch keinen Nischenplatz – erobern konnte, da die restriktiv–reaktionäre Ästhetik des Nationalsozialismus in einem auffälligen Kontrast dazu stand. So geht auch die Darstellungsweise der nationalsozialistischen Frauenakte in die Richtung zur Pornografie der heutigen Zeit. Hierin zeigt sich eine banal zur Schau gestellte Laszivität unter dem Deckmantel der Klassik wie der Romantik.
Herausgestellt wird auch, dass sich in den Familienbildern jener Zeit das kleinbürgerliche wie bäuerliche Leben zeigen sollte und eben ganz im Gegensatz zu einer großbürgerlichen Erlebniswelt stand, wie sie noch im 19. Jahrhundert sichtbar war. Vor allem die Mutterdarstellung beschränkt sich auf die Wiedergabe von Typen und so tritt an die Stelle der Mutter lediglich eine konstruierte Mütterlichkeit. Aus diesem Grunde wirken die Frauenbildnisse nationalsozialistischer Provenienz starr und passiv oder gar hilflos. Andererseits steht die Pose ebenso im Vordergrund, doch wirkt die heraufbeschworene griechische Mythologie nur als bloße Vorgabe zur Überhöhung des Bildgehalts. Frauen sind das bildliche Symbol schlechthin für die erwünschte Tugendhaftigkeit, die mit Zopffrisuren zur Geltung gebracht werden, obwohl jene in der Städtischen Mode von geringer Bedeutung waren. Womit sich einmal mehr die verschrobene Blickrichtung des Regimes verrät. Explizit hervorgehoben wird, dass die weiblichen Akte in der Malerei, eine rassische Leitbildmalerei repräsentieren, die obwohl idealisierend ausgerichtet, dennoch die pornografische Absicht erkennen lassen.

Vor allem verdeutlicht sich hier, wie sehr eine Aufklärung weiterhin nötig ist. Das Buch weist mit den Aufsätzen eindringlich darauf hin, dass eine Auseinandersetzung mit dem Heroismus und der vom Nationalsozialismus geförderten Kunst unausweichlich ist. So gelingt den Autorinnen mit diesem Werk nicht nur die Forschung zur Kunst des Nationalsozialismus zu erweitern, sondern vor allem auch die Hinterfragung der Kunst „im“ Nationalsozialismus und wie jene von den Nürnberger Künstler:innen erfahren, angepasst und schließlich umgesetzt wurde.
Hätten hier die Künstler:innen mutiger sein können? Stets gilt es, sich die Gegebenheiten der damaligen Zeit zu vergegenwärtigen und zwar vor dem Hintergrund, dass es eine freie Meinungsäußerung nicht gab. Damit wird auch das Problem des unrealistischen Versuchs eines ästhetischen Widerstands gesondert hinterfragt.
Stellvertretend wird der Künstler Willy Bloß – Porträtist der Nürnberger Gesellschaft – vorgestellt, um darüber hinaus die Problematik der Selbstzensur und Zerstörung der Werke anzusprechen, die Künstler:innen vornahmen, um beispielsweise die Einflüsse der Moderne zu verheimlichen. In ähnlicher Weise befanden sich die Nürnberger Künstler:innen unter einem steten Anpassungsdruck, zumal sie auch in Kontakt mit der Künstlergruppe „Blauer Reiter“ kamen wie das Beispiel des Malers und Grafikers Eitel Klein zeigt. Obwohl einige seiner Werke den Einfluss des „Bauen Reiters“ bekundeten, wurde Klein dennoch nicht als entartet eingestuft.

Blick in den Katalog © Kunstvilla
Blick in den Katalog © Kunstvilla

Im Besonderen gelingt es den Autor:innen die Inkongruenz des NS–Regimes hervorzuheben. Als Beispiel wird der Umgang mit dem Künstler Johann Jakob Dietz diskutiert. Obwohl Dietz expressionistisch arbeitete, war er bis 1936 an öffentlichen Ausstellungen beteiligt. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass in diesem Zeitraum die Frage, welcher Kunststil als „deutsch“ gelten sollte, noch nicht geklärt war. Joseph Goebbels setzte sich für den, nach seiner Ansicht, „nordischen“ Expressionismus ein. Erst 1937 und infolge Hitlers „Kulturrede“ wurde jegliche moderne Kunst als „entartet“ gebrandmarkt.

Ebenso erfährt die Tapisseriekünstlerin Irma Goecke besondere Erwähnung, da sie eine der Künstlerinnen ist, die antikisierend und dennoch unbedingt regimekonform arbeitete und sich vormals gegen Anfeindungen, sie sei nicht deutscher Herkunft und habe eine antideutsche Haltung, erfolgreich zur Wehr setzen konnte. Hier offenbart sich eine Ambivalenz, die klar macht, dass Widerspruch möglich war und auch erfolgreich sein konnte – sogar wenn es sich in diesem Falle um eine dem Regime dienliche Künstlerin handelte.
Als Fazit stellt sich den Leser:innen ein Vielfaches an Problemen: Die Aufarbeitung jener „systemkonformen“ Kunst fand nicht statt, zumal die Kulturpolitik der Nachkriegszeit daran wenig interessiert war. Erst im Zuge der documenta–Ausstellungen ab 1955 und den Ausstellungen des Künstlerbundes, kam es zu einer Fragestellung hinsichtlich der Kontinuität wie auch der moralischen Verantwortung und persönlichem Empfinden einer Schuld oder Mitschuld.
Womit dem/der Leser:in die nie endende Frage nach einer Übereinkunft von Ethik und Ästhetik in den Grauzonen facettenreich angezeigt wird, um so eine Auseinandersetzung mit der Kunst im Dritten Reich und der Nähe einiger Nürnberger Künstler:innen zu Macht, Kunst und Eigenverantwortung in den Fokus zu rücken. Ein lesenswertes und zum Denken anregendes Werk.


Titel: Grauzonen – Nürnberger Künstler:innen im Nationalsozialismus
Herausgeberin: Andrea Dippel
Autoren:innen: Eckart Dietzfelbinger, Andrea Dippel, Alexander Steinmüller
Verlag: Verlag für moderne Kunst Wien
352 Seiten
2022 Verlag für moderne Kunst
978–3–903439–59–7 (ISBN)

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