Rezensionen

Wolfgang Brauneis/Raphael Gross (Hg.): Die Liste der »Gottbegnadeten« – Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik. Prestel

Die Auseinandersetzung mit der NS–Vergangenheit ist eine unendliche Geschichte. Fast täglich flimmern im Fernsehen Filme über den Bildschirm, die sich mit Hitler und seiner Clique beschäftigen, in Zeitungen und Zeitschriften erscheinen Artikel, die Bausteine zur längst nicht abgeschlossenen Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen liefern. Gelegentlich geht es auch um Fragen der Kunst und Kultur im sogenannten Dritten Reich, in den letzten Jahren durchzieht die Raubkunst– und Restitutionsdebatte die Feuilletons. Nun hat im Deutschen Historischen Museum in Berlin eine kürzlich zu Ende gegangene Ausstellung stattgefunden, die die Karriere prominenter NS–Künstler nach 1945 kritisch unter die Lupe nahm. Rainer K. Wick hat die Schau gesehen und das dazu erschienene Buch gelesen.

Cover © Prestel Verlag
Cover © Prestel Verlag

Dass die sogenannte Stunde Null als Bezeichnung eines radikalen Neuanfangs nach der deutschen Kriegsniederlage am 8. Mai 1945 ein Mythos ist, dürfte inzwischen allgemein bekannt sein. Denn neben tiefen Einschnitten von existenzieller Tragweite gab es in fast allen Lebensbereichen auch Kontinuitäten. Dazu gehörte, dass zahlreiche Künstler, die vom Nazi–Regime besonders protegiert worden waren, ja den Status als »Staatskünstler« innehatten, nach dem »Zusammenbruch« weitgehend unbehelligt als bildende Künstler weiterarbeiten konnten– freilich unter veränderten Randbedingungen.Dies bezieht sich vornehmlich auf jene Maler und Bildhauer, die auf der 1944 im Auftrag von Adolf Hitler und Joseph Goebbels zusammengestellten »Gottbegnadeten–Liste« verzeichnet waren. Ihre Kunst stand ganz im Dienst der Machthaber, wurde also – in heutigem Sprachgebrauch – als systemrelevant erachtet. Folglich galten sie im Dritten Reich als »unabkömmlich« und blieben vom Arbeits– und Fronteinsatz verschont. Zu den Perversionen der nationalsozialistischen Ideologie gehörte es, dass ein dezidiert atheistisches, ja gottloses Regime zahlreichen, oft eher mittelmäßigen Künstlern fast göttliche Ehren zuteil werden ließ bzw. ihnen zumindest attestierte, von Gottes Gnaden zu agieren.Kein Novum und auch nicht verwunderlich ist, dass sie nach 1945 nicht einfach von der Bildfläche verschwanden. Die Berliner Ausstellung »Die Liste der »Gottbegnadeten«und das aus diesem Anlass erschienene gleichnamige Begleitbuch boten und bieten aber Einblicke in das Ausmaß ihres Weiterwirkens vor allem in Westdeutschland, aber auch in Österreich, die doch überraschen.

Arno Breker: Pallas Athene (1956), Standort Wilhelm–Dörpfeld–Gymnasium, Wuppertal; hier in der Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin, Foto © Rainer K. Wick
Arno Breker: Pallas Athene (1956), Standort Wilhelm–Dörpfeld–Gymnasium, Wuppertal; hier in der Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin, Foto © Rainer K. Wick

Exemplarisch für diesen Prozess steht der Fall Arno Breker (1900–1991). Ihm, Lieblingsbildhauer Hitlers und Schöpfer kraftstrotzender »germanischer« Muskelmänner, gelang es nach 1945 mit Geschick, sich als unpolitischer Künstler zu stilisieren mit dem Ergebnis, im Zuge der Entnazifizierung als bloßer »Mitläufer« eingestuft zu werden. Gleichwohl hat er sich von seiner »braunen Gesinnung« zeitlebens nicht gelöst, wie Jürgen Trimborn in seiner 2011 erschienenen Breker–Biografie zeigen konnte. Obwohl höchst umstritten, konnte erin der Bundesrepublik als gefragter Porträtist der Industrie– und Finanzelite der Nachkriegszeit reüssieren. An dem in den 1950er Jahren im kriegszerstörten Köln entstandenen Neubau des Gerling–Konzerns war er als Architekt beteiligt – einem pompösen Baukomplex, dem wegen seiner Affinität zu Bauformen des Dritten Reichsschnell das Label »Kleine Reichskanzlei« angeheftet wurde. In dieselbe Zeit fiel auch eine gewisse Annäherung an die Formensprache einer gemäßigten Moderne, so etwa in der überlebensgroßen, formal gestrafften Bronzestatue »Pallas Athene« vor dem Wilhelm–Dörpfeld–Gymnasium in Wuppertal, dem Geburtsort des Künstlers.Insgesamt blieb er stilistisch aber seinem Formverständnis der NS–Zeit treu, wie die seinerzeit überaus kontrovers diskutierten Porträtbüsten des Industriellen– und Sammlerpaars Peter und Irene Ludwig aus dem Jahr 1986 zeigen.

Arno Breker: links: Der Wager (1939), Foto © Charlotte Rohrbach, aus: Die Kunst im Deutschen Reich 4/1940; rechts: Peter Ludwig, 1986, Foto © Rainer K. Wick
Arno Breker: links: Der Wager (1939), Foto © Charlotte Rohrbach, aus: Die Kunst im Deutschen Reich 4/1940; rechts: Peter Ludwig, 1986, Foto © Rainer K. Wick

Zu den prominentesten »Gottbegnadeten« hatte im NS–Staat auch der Maler Werner Peiner (1897–1984) gehört, der im kleinen Eifelort Kronenburg unweit der belgischen Grenze die Hermann Göring direkt unterstellte »Meisterschule für Malerei« leitete, wo unter anderem riesige Gobelins für die Neue Reichskanzlei in Berlin entworfen wurden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Karriere Peiners, der sich stets als unpolitischer Künstler inszeniert und doch nie von nationalsozialistischem Gedankengut gelöst hat,zunächst beendet. Doch schon 1950 fand im Rahmen des Katholikentages in Altötting in Bayern eine große Peiner–Ausstellung mit zwei umfangreichen Bildzyklen, »Die Geheime Offenbarung« und »Dämonen der Stunde«,statt. Neben positivenPressereaktionen gab es allerdings auch entschiedene Gegenstimmen, so von dem Kunsthistoriker Eduard Trier, der 1956 erklärte, die Kunstkritik sei für solch »malerische Unkultur« nicht zuständig. Denn stilistisch blieb Peiner, der sich in der BRD trotz guter Verkäufe gern als »Verfolgter und Emigrierter im eigenen Land« stilisierte, bis zum Schluss einem obsoleten Malstil – »etwas zu genau und pedantisch«, wie Goebbels schon 1939 vermerkt hatte – verpflichtet. Seine verkitschte »Allegorie des Friedens« von 1954 lässt zudem die Frage nach der moralischen Integrität eines unverbesserlichen ehemaligen »Gottbegnadeten« aufkommen, der als Günstling Görings u.a. Monumentalgemälde mit Schlachtenszenen für ein Regime entworfen hat, das Millionen Menschen Tod und Verderben gebracht hatte.

Werner Peiner: Allegorie des Friedens, 1954, bis 2007 Rathaus Hattingen, Foto © Rainer K. Wick
Werner Peiner: Allegorie des Friedens, 1954, bis 2007 Rathaus Hattingen, Foto © Rainer K. Wick

Um einen anderen Fall herauszugreifen: Willy Meller (1887–1974) gehörte im Dritten Reich zu den am meisten beschäftigten Bauplastikern. So schuf er beispielsweise Skulpturen für das »Kraft durch Freude«–Seebad Prora auf Rügen oder für die NS–Ordensburg Vogelsang bei Gemünd/Eifel, wo sich sein athletischer Fackelträger noch immer in situ befindet. Nach dem Zweiten Weltkrieg als »Mitläufer« eingestuft, konnte er in der jungen Bundesrepublik ausstellen und an Wettbewerben teilnehmen. Für das Palais Schaumburg in Bonn, damals Amtssitz des deutschen Bundeskanzlers, gestaltete er 1952 einen steinernen Adler, der sich von einem nationalsozialistischen Reichsadler bis auf das Fehlen des Hakenkreuzes nicht unterscheidet. Öffentliche Auftraggeber wie die Deutsche Bundespost verschufen ihm ein gutes Auskommen, und dass er als ehemaliger Staatskünstler des verbrecherischen NS–Regimes nun in Westdeutschland – formal »modern« auftretende – Denkmäler für die Opfer des Zweiten Weltkriegs und zur Erinnerung an die Kämpfer des Widerstands gegen die Nazidiktatur gestalten konnte, gehört zu den Ungereimtheiten, die das Diktum von der Stunde Null ad absurdum führen.

Willy Meller: oben: Entwurfsmodell zum »Fackelträger« für die NS–Ordensburg Vogelsang, 1930er Jahre, Foto © Rainer K. Wick; unten: Die Opfer, 1950/60er Jahre, heute Friedhof St. Audomar, Frechen © Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Deutsches Kunstarchiv
Willy Meller: oben: Entwurfsmodell zum »Fackelträger« für die NS–Ordensburg Vogelsang, 1930er Jahre, Foto © Rainer K. Wick; unten: Die Opfer, 1950/60er Jahre, heute Friedhof St. Audomar, Frechen © Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Deutsches Kunstarchiv

Obwohl die Kunstszene in den ersten Nachkriegsjahrzehnten durch die Bildsprache der Abstraktion dominiert und damit eine dezidierte Antiposition zur NS–Ästhetik demonstriert wurde, war der »braune Sumpf« noch lange nicht trockengelegt. Wie die Ausstellung »Die Liste der »Gottbegnadeten. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik« eindrücklich zeigte, konnten einstige Regimekünstler, neben den genannten etwa Adolf Wamper (1901–1977),Hermann Kaspar (1904–1986),Rudolf Hermann Eisenmenger (1902–1994) oder »Blut–und Boden«–Maler Paul Mathias Padua (1903–1981), der, stilistisch leicht an die Moderne angepasst, prominente Zeitgenossen der Nachkriegsära wie den bayerischen CSU–Politiker Franz Josef Strauß porträtierte, in den Jahren des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders von restaurativen Tendenzen und antimodernen Unterströmungen im Kulturbetrieb profitieren.Sie agierten zum Teil in gut organisierten Netzwerken oder konnten auf alte Seilschaften setzen, sie hatten Ausstellungen und produzierten Bildwerke für den öffentlichen Raum, sie erhielten Aufträge vom Staat, von Ländern und Kommunen, von der Wirtschaft und der Kirche und nahmen, manchmal erfolgreich,an Wettbewerben teil.Ihre in erster Linie figurativen Hervorbringungen befleißigten sich einer konservativen bis regressiven Formensprache, blieben oftmals rein dekorativ und zeugen inhaltlich nicht selten von erschreckender Banalität.

Hermann Kaspar: Die Frau Musica, 1969, Meistersingerhalle Nürnberg, Foto © Rainer K. Wick
Hermann Kaspar: Die Frau Musica, 1969, Meistersingerhalle Nürnberg, Foto © Rainer K. Wick

Das alles und die Tatsache, dass uns bis auf den heutigen Tag – kaum bemerkt oder bewusst registriert, in der Berliner Schau und im Katalog aber gut dokumentiert– hunderte von Werken ehemals »Gottbegnadeter« auf Grünflächen und Spielplätzen, auf den Wänden öffentlicher Gebäude, in Schulen, Theatern und Behörden, umgeben, konterkariert das liebgewonnene Bild eines radikalen kulturellen und kunstpolitischen Neubeginns nach 1945. Es ist das Verdienst von Raphael Gross, dem Präsidenten der Stiftung Deutsches Historisches Museum Berlin, und des Kunsthistorikers Wolfgang Brauneis, dafür mit der von ihnen kuratierten Ausstellung und der begleitenden Buchpublikation sensibilisiert zu haben. Freilich hätte man den Textbeiträgen im Buch zur Ausstellung etwas mehr analytische Schärfe gewünscht. Immerhin: Die Aufarbeitung einer bisher kaum beachteten Facette der deutschen Nachkriegsgeschichte hat begonnen. Vertiefende Studien auf diesem Gebiet erscheinen unabdingbar.

Titel: Die Liste der »Gottbegnadeten« – Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik. Prestel
Autoren: Wolfgang Brauneis/Raphael Gross (Hg.)
Verlag: Prestel für das Deutsche Historische Museum Berlin
Paperback, Klappenbroschur, 216 Seiten, 17,0 x 24,0 cm
mit vier großen Überblickskarten auf Klapptafeln
Preis: 34,– EUR

Paul Mathias Padua: Franz Josef Strauß, 1970; Foto © Rainer K. Wick
Paul Mathias Padua: Franz Josef Strauß, 1970; Foto © Rainer K. Wick

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