Carla Heussler: Kunst ist weiblich! wbg Theiss

Das hier vorgestellte Buch ist nicht nur ein weiterer Versuch, an die herausragende Wirkweise der Frau in der Kunst zu erinnern. Eindrucksvoll zeigt sich bereits das Cover mit einem Ausschnitt eines Gemäldes von Lotte Laserstein (1898–1993). Das Besondere der von Carla Heussler vorgestellten Arbeit, verdeutlicht sogleich der Titel. Die Feststellung, die „Kunst ist weiblich“, spricht provokant aus, wie sehr den Künstlerinnen die Anerkennung verwehrt wurde. Damit erhebt die Autorin einen nicht zu überhörenden Anspruch und verdeutlicht zugleich „eine andere Kunstgeschichte von Artemisia Gentileschi bis Yoko Ono.“ Folglich ist klar, dass sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart reich durch bedeutende Künstlerinnen vertreten wurde/wird. Und vor allem: Auch in Zukunft ist mit der Frau als Schöpferin der Kunst zu rechnen. Zielstrebig verfolgt Heussler ihr Anliegen, die Frau als geniale Macherin darzustellen. Mit Akribie setzt sie den Akzent auf die Genialität der Frau in der Kunst. Die Autorin bietet keine Chronik an, sondern hebt voluminös die entscheidenden Aspekte einer femininen künstlerischen Sichtweise in den Fokus. Melanie Obraz nahm sich dieser prägnanten Studie an.

Cover © wbg Theiss Darmstadt
Cover © wbg Theiss Darmstadt

Zahlreiche Namen werden genannt, ohne dass es sich hier um eine Ansammlung im Sinne eines name dropping handelt. Die malende Nonne Pulisena Nelli, Sofonisba Anguisola, Artemisia Gentileschi, Hanna Nagel, Anita Rée, Malva Schalek, Jeanne Mammen und viele mehr erfahren eine detailreiche Würdigung. So wird der künstlerische Weg wie auch die persönliche Entwicklung in den Fokus gestellt. Die Autorin hebt im Fall der als malende Nonne bekannten Pulisena Nelli hervor, dass sich die Künstlerin an einem Werk des Fra Bartolomeo – Grablegung Christi (1516) – orientierte, doch wichtige Ergänzungen vornahm, da sie trauernde Frauen der Szene hinzufügte. Damit erreichte sie eine andere Ebene hin zum Wirklichkeitsbezug und bewies damit, das selbstbewusste Verständnis der biblischen Szenerie in künstlerischer Aufarbeitung als Frau.

Pulisena Nelli: Beweining Christi mit Heiligen © Wiki Commons / Museo Nazionale di San Marco / Florenz
Pulisena Nelli: Beweining Christi mit Heiligen © Wiki Commons / Museo Nazionale di San Marco / Florenz

Im Besonderen erwähnt die Autorin die Ausnahmeerscheinungen der adeligen Sofonisba Anguissola (1531/32-1625) wie auch der herausragenden Künstlerin Artemisia Gentileschi (1593–1653). Vor allem stellt sie die einzelnen Schöpferinnen als Persönlichkeiten vehement heraus und macht klar, dass es hier nicht ausschließlich um die Schwierigkeiten der Künstlerinnen in ihrer Rolle als weibliche Kunstschaffende geht. Sicher steht diese Thematik auch im Fokus, aber eben nicht allein. So konnte Sofonisba Anguissola aufgrund ihrer fundierten Ausbildung als Kunstmalerin, einen sagenhaften Überstieg in eine neue Art, der von ihr interpretierten Kunst vollbringen. Vor dem Hintergrund, dass Bildhauer wie auch Maler lediglich als Handwerker Geltung erlangten, konnte Sofonisba doch ihre genialen Fähigkeiten als Malerin beweisen und wurde von König Philipp II. von Spanien (1578–1621) als Portraitmalerin auserkoren. Wie hochgeschätzt sie in der Kunstwelt war, beweist die Tatsache, dass Peter Paul Rubens (1577–1640) ihre Werke kopierte.

Sofonisba Anguissola: Selbstportrait vor Staffelei, 1556 © Schlossmuseum Łańcut / Wikimedia Commons
Sofonisba Anguissola: Selbstportrait vor Staffelei, 1556 © Schlossmuseum Łańcut / Wikimedia Commons

In ähnlicher Weise sticht auch das Talent der Artemisia Gentileschi hervor, deren Werke wie ihr Selbstbildnis als „la Pittura“ (1638/39) auch ihr Wissen um das eigene Können verdeutlichen. Obwohl ihr Lebensweg oft durch Gewalt und Anfeindung überschattet war, zeigte sie ihre Genialität ungebrochen und brachte es zeitweilig zu ansehnlichem Wohlstand. Dennoch verliert sich ihre Spur im Jahr 1633. In gleicher Weise zollt die Autorin Maria Ellenrieder (1791–1863) ihre Aufmerksamkeit die als begeisterte Verehrerin des Raffael de Santi bezeichnet werden darf. Sie zelebrierte geradezu seine Werke in ihrer Interpretation. Heussler zeichnet die Künstlerin auch in ihrem sozialen Umfeld und gibt wertvolle Einblicke in das Leben der Frau zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Fast schon bezeichnend und sicher nicht jedem Kunstinteressierten bekannt ist die hier erwähnte Tatsache, dass Max Beckmann ( 1884–1950) oder Lovis Corinth (1858–1925) von ihren Ehefrauen verlangten, mit der Heirat ihre Malerei aufzugeben, obwohl sie als Künstlerinnen hochkarätig ausgebildet waren. Ganz anders zeigt es sich bei Paula Becker und Otto Modersohn. Das Malerpaar zeigte sich in dem Bestreben, das Ideal einer Künstlerehe zu leben. Die Autorin schildert sogar den Tagesablauf von Paula Modersohn-Becker (1876–1907). Unter der Überschrift „gemeinsam statt einsam“, macht sie nuancenreich auf die Situation der Frau als Künstlerin aufmerksam.

Paula Modersohn-Becker: Dornröschen, 1901 © Germanisches Nationalmuseum Nürnberg / Wikimedia Commons
Paula Modersohn-Becker: Dornröschen, 1901 © Germanisches Nationalmuseum Nürnberg / Wikimedia Commons

Ebenso zeigt sich dann auch die neue Frau in einer ersehnten neuen Freiheit wie es die Frauen der Neuen Sachlichkeit suggerieren. Hanna Nagel (1907–1975) wird genannt, die als Künstlerin erst ab 2007, mit einer Unterbrechung von knapp 60 Jahren, wieder umfassend ausgestellt wurde…“. Die Autorin erinnert daran, dass im Jahr 2022 die Kunsthalle Mannheim von einer „Wiederentdeckung“ der Künstlerin sprach. Erstaunlich auch ein Werk von Hanna Nagel von 1930, betitelt als die „Mühevolle Ehe“ –womit sie deutlich auf die Schattenseiten eines Frauenlebens hinwies. Ungewöhnlich erscheint der Hinweis auf Jeanne Mammen (1890–1976), die als ein „weiblicher Toulouse-Lautrec“ erwähnt wird. Selbst die Autorin zieht hier den Vergleich zu einem bekannten männlichen Kollegen, womit sich zugleich die Tragik der Wirkung einer Künstlerin zeigt.
Im Besonderen hebt Carla Heussler das Schicksal der Künstlerin Anita Rée (1885-1933) hervor, „die 1933 sogar den Auftrag für ein Triptychon für die Kirche St. Ansgar in Hamburg-Langenhorn mit dem Thema der Passion“ erhielt. Vielleicht als Jüdin denunziert wurde der Auftrag aber von der Gemeinde zurückgezogen. Ihr tragisches Ende erfüllte sich am 12. Dezember 1933 auf Sylt. An jenem Tag nahm sich die Künstlerin das Leben. Ihre Gefühlswelt spiegelt sich in dem Selbstportrait aus dem Jahr 1930 – schutzlos, verzweifelt und ausweglos.

Anita Rée: Weisse Bäume, 1922-25 © Privatsammlung, Belgien / Wikimedia Commons
Anita Rée: Weisse Bäume, 1922-25 © Privatsammlung, Belgien / Wikimedia Commons

Den Künstlerinnen und ihrem entsetzlichen Leid im Konzentrationslager, widmet die Autorin ein spezielles Kapitel, womit zum Ausdruck kommt, wie sehr z.B. Malva Schalek (1882–1944) die brutale Brisanz ertrug und mit ihren „Portraits, Landschaften und Blumen“, die man ihr auftrug, ihr Überleben ermöglichte. Aber sie malte auch die Bilder des Grauens, die sie versteckte. Ihre fast schon übermenschliche Charakterstärke zeigte sich, als sie einen „mit den Nationalsozialisten kollaborierenden Arzt“, der ein Portrait wünschte, nicht malte. Ihre Entscheidung war zugleich ihr Todesurteil. Sie wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Doch oft scheint es nur das Vergessen der begabten Künstlerinnen zu geben. So wie das Schicksal einiger Malerinnen, die die Hölle überlebten. Elli Liebermann-Shiber ( 1923 – 1998) und Else Argutinsky-Dolgorukow (1873–1953) gelten als vergessen.

Malva Schalek: Ankunft in Theresienstadt 1942-44 © Wikimedia Commons
Malva Schalek: Ankunft in Theresienstadt 1942-44 © Wikimedia Commons

Die Ausweglosigkeit jener Zeit wird von der Autorin klar benannt, um dennoch in ihrer Darstellung den Weg in die Zeit nach 1945 zu ebnen. Der Hinweis auf die völlig neue Interpretation des Portraits einer Künstlerin aus den USA wird am Beispiel von Alice Neel (1900–1984) demonstriert. Auch hier zeigen die Bilder oft eine Desillusionierung, da die Frau nicht unbedingt stets als glückliche Mutter in Erscheinung tritt. Ebenso weist Neel in ihren Portraits den Weg zur neuen Darstellung des Mannes als Aktmodell. Ein Entwurf von Künstlerinnen des abstrakten Expressionismus der 50er Jahre in den USA macht ebenso überdeutlich, wie sehr es ein steter Kampf der Frau war, als Schöpferin anerkannt zu werden, um sich immer wieder ein neues Terrain zu erobern. Sophie Taeuber-Arp (1889-1943) und Elaine de Kooning (1918-1989) werden genannt, denen es gelang, teilweise aus dem Schatten der männlich dominierten Kunstszene hervorzutreten.
Schließlich widmet sich die Autorin einer Kunst ohne Malerei und zeichnet ein Profil von Yoko Ono, die vielen hauptsächlich als Ehefrau von John Lennon bekannt war. Teilweise ist sie als Mitbegründerin der Fluxusbewegung ein Magnet der Kunstszene und inszeniert ihre Performances in spektakulärer Weise. Wie aber steht es heute um die Gleichberechtigung der Frau in der Kunst und kulminiert alles in der Malerei hin zu einer „Suche nach dem eigenen Ich“? Zeigt die Malerei hier das noch nie ausgestellte Neue? Die Suche nach dem neuen Ausdruck ist entscheidend und schon im vollen Gange.
Heute ist es z.B. Alessia Schuth, die sich den Themen der Gewalt in ihren Installationen widmet, aber sich auch dem Biblischen zuwendet und erneut einen Brückenschlag vollzieht. Die Autorin zeichnet viele Wege der Künstlerinnen nach und kommt zu dem Ergebnis, dass wir uns auch heute bestenfalls auf dem Weg in die Richtung einer Gleichberechtigung befinden. Der provokante Titel „Kunst ist weiblich“ sagt darüber hinaus: obwohl die Kunst weiblich ist, wurde und/oder wird auch heute das Weibliche als Grundfaktor in der Kunst vergessen!?

Sophie Taeuber-Arp: Drei Reliefs 1937/38 © MyriamThyes / Wikimedia Commons
Sophie Taeuber-Arp: Drei Reliefs 1937/38 © MyriamThyes / Wikimedia Commons

Das Buch von Clara Heussler ist damit nicht nur ein weiterer Beitrag zur Thematik der Frau in der Kunst. Gewiss gibt es seit geraumer Zeit die Tendenz, sich dieser Problematik zu widmen, doch die Autorin findet den Ton des Narrativen, welcher das Interesse an der Kunst im Sinne einer weiblichen Sichtweise der Interpretation und Umsetzung in einer Art der „nonchalance“ bekundet. Ganz so wie das Mädchen im Gemälde von Lotte Laserstein, welches sich selbst betrachtet und dabei – vom Publikum – in den Blick genommen wird.


Titel: Kunst ist weiblich!
Autorin: Carla Heussler
Verlag: wbg Theiss Darmstadt
Abbildungen 50 Illustrationen, farbig
304 Seiten
ISBN 978-3-8062-4616-2

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