Buchrezensionen

Fabienne Loodts / Saskia Petermann: Karl der Große. Die ganze Wahrheit, Wesentlich Verlag 2014

Im Karlsjahr 2014 ist der Frankenherrscher als Sachsenschlächter, als Pater Europae, großer Politiker, Eroberer und natürlich auch als Mensch in aller (Historiker) Munde. Zahlreiche Ausstellungen und Publikationen rücken Leben und Wirken Karls des Großen in den Focus. Doch die ganze Wahrheit – die beansprucht nur dieses Buch für sich. Stefanie Handke hat es mit Begeisterung gelesen.

Was ich erwartet hatte, kann ich gar nicht sagen – doch sicher kein Werk wie dieses hier. Der Katalog und einige Impressionen aus dem Buch ließen auf eine recht humorvolle Faktensammlung zu Karl dem Großen schließen. Doch das hier ist mehr: Klug, kenntnisreich, sachorientiert und selbst für den Historiker, dem der Inhalt bekannt sein sollte, eine einzige Überraschung! Dieser Karl der Große kommt nämlich nicht mit zahlreichen Quellenbelegen, Expertisen zu Kunst und Wissenschaft der Karolingerzeit und Grabungsberichten daher, sondern im Gewand einer Graphic Novel. Er präsentiert das, was wir über die Person des Frankenherrschers wissen und manchmal auch nur ahnen, in kleinen Bildergeschichten und eindrücklichen Zeichnungen.

Doch fangen wir bei A wie Anfang an – oder eher bei R wie Rätsel: Dem Leser begegnen bereits im ersten Kapitel verschiedene Karls: Karl im Lichte seiner Zeitgenossen, im Fazit mittelalterlicher und moderner Geschichtsschreibung, in den Versuchen verschiedenster Staatsmänner, ihn zu instrumentalisieren. Das reicht vom fröhlich lachenden, recht bierselig aussehenden Herrn über den grimmig dreinblickenden Möchtegern-Hitler bis zu einer Angela Merkel mit Bart und Krone. Ich lerne, dass ich sogar meinen eigenen Karl haben kann – ihn einzuzeichnen habe ich mich dann aber doch nicht getraut.

In dreizehn weiteren Kapiteln zu allgemeinen Themen wie der Religion und den sogenannten »karolingischen Reformen« oder zum Leben im riesigen Reich des großen Karl, aber auch zu »privaten« Angelegenheiten wie seinen Hobbys, seinen Frauen und sogar zum Elefanten Abul Abbas liefern die Autorinnen ansprechend illustriert Fakten und Vermutungen. Das geschieht, ohne beides zu vermischen und lässt den Leser immer mit dem Gefühl zurück, dass hier sauber gearbeitet und sehr viel Liebe reingesteckt wurde. Dabei gehen die Autorinnen sowohl humor- als auch respektvoll vor: Karls des Großen Hobbys kommen zum Beispiel als Fotoalbum daher, während die Geschichte der Hungersnot von 793 auch die Härte des frühmittelalterliche Lebens darstellt und in atmosphärisch dichten Bildern die dramatische Geschichte einer Bauernfamilie erzählt. Komplexe Zusammenhänge wie der zwischen Kirche und Herrscher werden mit Schaubildern verständlich dargestellt.

Man könnte jedes Kapitel detailliert vorstellen – genug zu sagen gäbe es allemal. Doch hier seien nur zwei herausgegriffen: »Die Normen« behandelt die vom großen Frankenherrscher umgesetzten Reformen und seine Normierungsbestrebungen. Ein Lesezeichen verweist auf die Verbreitung mittels Königsboten hin, ihm folgen dann auf kleinen »Pergamenten« die wichtigsten Inhalte der eigentlichen Regelungen zu Religion, Landwirtschaft und Rechtsprechung, unter denen dann auch ebenjene Königsboten dem Volk oben erläutertes verkünden. Eine eigene Seite erhält die Währung: Zwei Tafeln informieren und im Hintergrund sieht man buntes Markttreiben des Mittelalters und der Gegenwart, denn: die Aufteilung des (Karls-) Pfunds in 20 Schillingen wurde noch im 20. Jahrhundert verwendet und erst 1971 stellte auch Großbritannien auf das Dezimalsystem um. Die Doppelseite zum Kalender schließlich zeigt einen Jahreskreis mit typischen Arbeiten des jeweiligen Monats und erzählt von Karls Wunsch, auch hier genaue Daten zugrunde zu legen und selbst die Geistlichen entlegener Regionen zur Berechnung der wichtigsten Termine zu befähigen.

Das Kapitel über Märchen rund um den Frankenherrscher enthält zwei unterhaltsame Geschichten, die sich die Nachwelt über den legendären Herrscher ausgedacht hat: Die erste erzählt von Karls Erziehungsversuchen gegenüber prahlerischen und verschwendungssüchtigen Bischöfen (er selbst natürlich tugendhaft). Die Protagonistin der zweiten ist seine seine kluge Tochter, die ihre Liebschaft mit einem seiner Gelehrten trotz allem doch noch offiziell machen und diesen heimlich heiraten darf – auch wenn der historische Karl seine Töchter viel lieber um sich scharte und keinem Mann zum Weibe geben wollte. Hier legt das Buch den Graphic-Novel-Stil ab, die Geschichten werden in einfachen Comics erzählt, versehen mit detaillierten Rahmen, die sich durchaus an der Kunst der Zeit orientieren. Die schwarzen Seiten heben das Kapitel zusätzlich ab.

Karl der Große gilt auch heute noch als Pater Europae und das spiegelt sich auch grafisch im Buch wider: Seiten voller französischer Lilien und Reichsadler trennen die Kapitel voneinander und verweisen subtil auf die Bedeutung, die der Karolinger für das Selbstverständnis sowohl der Franzosen als der Deutschen hat. Im Buch soll daher nicht nur an die historische Person des Herrschers erinnert werden, es will auch die europäische Dimension seines Wirkens in den Blick rücken. Daher schließt ein Nachwort von Martin Schulz, dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, das Werk ab. Dies geschieht leider in einem Ton, den man nur allzu gut aus Pressemitteilungen und Beschwörungen der Europäischen Einheit kennt. Vielleicht wäre ein etwas persönlicherer Zugang des Politikers schöner gewesen. Aber nichtsdestotrotz stellt er noch einmal den Bezug des Frankenherrschers zu unserer heutigen Welt her und lässt den Leser nicht ohne Denkanstöße zurück.

Loben muss man nicht zuletzt das hervorragende Layout: Der in schwarz, weiß und gold gehaltene Schutzumschlag kommt edel und doch zurückhaltend daher und auch im Innern sorgen diese drei Farben für Vergnügen beim Betrachten der Bilder. Selbstverständlich sind die Überschriften in Minuskeln gesetzt – nichts anderes kann man erwarten. Die Kapitel werden jeweils mit kleinen Symbolen zu ihrem Inhalt versehen: Ein Wappen mit Reichsadler, ein Herz, sich kreuzende Schwerter oder ein stilisierter Elefant führen auch optisch zu den Themen hin. Außerdem ist jedem ein einleitender Satz vorangestellt, der noch vor dem eigentlichen Inhalt steht. Manchmal erzählen kleine Comics, etwa im Kapitel »Das Volk« Geschichten aus Karls Reich, aber auch aus seinem Leben. Die Kapitel zur Kriegsführung und zu den Märchen rund um den Frankenherrscher werden zudem durch schwarze Seiten noch einmal besonders hervorgehoben. Skizzen und Karten illustrieren Fakten, Personenkarten stellen die illustre Gelehrtenschar rund um Karl den Großen vor, in einem Fotoalbum präsentiert er seine Hobbys. Die Zeichnungen selbst sind mit Liebe zum Detail ausgeführt und vermitteln ein eindrucksvolles Bild des frühmittelalterlichen Europa, machen den Band damit umso glaubwürdiger.

Alles in Allem bleibt mir nicht viel weiter, dieses Buch jedem wärmstens ans Herz zu legen. Es versammelt auf unterhaltsame Art und Weise Fakten und Geschichten und weist Spekulationen und belegte Informationen klar aus. Dem ironischen Untertitel wird man damit vollkommen gerecht. Laien bietet es griffig zahlreiche Fakten zu Karl dem Großen und seinem Umfeld, Fachleute erfreut es sicherlich mit deren kreativer Darstellung. Das wirklich schöne Layout macht es zu einer Zierde für jedes Bücherregal und zum idealen Geschenk.

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