Das Favoriten-Festival ist ein Treffpunkt der Freien Szene und findet alle zwei Jahre in Dortmund statt. In diesem Jahr wurden 18 Produktionen aus Tanz, Theater, Performance und Musik zum Teil in Kooperation mit der Ruhrtriennale gezeigt. Traditionell ohne festes Haus, findet das Festival an Orten statt, an denen die Beschäftigung mit Kunst nicht unbedingt selbstverständlich ist. In diesem Jahr waren die Zuschauer bei vielen Produktionen nicht nur passive Zuschauer, sondern konnten selbst Akteur werden. Susanne Braun war dort.
In der Mitte des Raumes befindet sich ein großes rotes Kissen, aus dem mehrere Schläuche ragen. An den Enden der Schläuche befinden sich Holzkästen, durch die die Luft wie bei einer Orgelpfeife geblasen wird. Wird das rote Kissen mit Luft voll gepumpt, erklingt eine Art mehrstimmiges Konzert. Beinflussen lassen sich Ton und Rhythmus über Regler an den Kästen oder auch indem jemand auf das Kissen klettert und etwa durch seine Bewegungen einen Rhythmus vorgibt.
Der Musiker und Soundkünstler Tarek Atoui hat gemeinsam mit dem Dortmunder Zentrum für Gehörlosenkultur dieses Instrument entwickelt. „Eigentlich wollte ich eine Orgel bauen“, sagt er vor dem Konzert, „und das ist jetzt dabei heraus gekommen“. Für „WITHIN“ hat Tarek Atoui in einem Workshop gemeinsam mit tauben und hörenden Teilnehmern ein Konzert entwickelt, das nicht nur hör-, sondern auch spürbar ist. Am Ende ist die Anzahl der in Gehörlosen-Sprache klatschenden Zuschauer tatsächlich ungefähr genauso groß wie die derer, die tatsächlich hörbar in die Hände klatschen.
Mitmach-Potential bietet auch die Installation „Ingolf wohnt“, die während des gesamten Festivals in der ehemaligen Dortmunder Straßenbahnhauptwerkstatt „Depot“ zu sehen ist. Gezeigt wird zunächst ein Film von Daniel Kötter und Hannes Seidl, der das ganz alltägliche Leben von Ingolf Haedicke zeigt. Der ehemalige Mitarbeiter des DDR-Rundfunks und leidenschaftliche Hobbybastler sitzt die meiste Zeit über an seinem Schreibtisch und lötet Platinen, während hinter ihm zahlreiche selbst gebastelte Perpetuum Mobile hin- und her schwingen. Während der Arbeit in seiner kleinen und bescheidenen Wohnung denkt Ingolf immer wieder laut darüber nach, was eine gute Oper ausmachen könnte. Dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch den Film, sogar bis in die Kneipe zum Feierabend-Bier.
Später kann der Zuschauer selbst in die Rolle von Ingolf schlüpfen und in dessen nachgebaute Wohnung einziehen. Denn tatsächlich steht in Dortmund eine fast identische Kopie von der Wohnung, die auch im Film zu sehen ist. Man bekommt einen eigenen Schlüssel und kann in der Kopie von Ingolfs Wohnung im Kühlschrank nach Essen stöbern, es sich auf dem Sofa bequem machen oder seine Musik einschalten.
Die Stimme des Besuchers steht im Mittelpunkt der „Voicing Pieces“ von Bergüm Erciyas. Als Besucher liest man vorgegebene Text, die dann über Kopfhörer hörbar werden. „Voicing Pieces“ bietet eine Begegnung mit der eigenen Stimme - laut, leise, als Echo und verzerrt. Manchmal klingt die eigene Stimme sogar so fremd, dass vorstellbar wird, dass jemand anderes spricht. Ein weiteres Stück, bei dem der Zuschauer selbst aktiv werden kann — eine spannende Erfahrung, die viel Raum für Spaß und Experimentieren lässt.
Das Favoriten-Festival endet mit einer ausverkauften Vorstellung von „Die Ausgrabung“. Kristofer Gudmundsson, Gesund Hohmann und Stephan Stock von „vorschlag:hammer“ beschäftigen sich in dem Stück mit der Rekonstruktion von Geschichte. Wie viel Zufall steckt in dem, was wir für unsere Geschichte halten? Was ist unwiederbringlich verloren gegangen oder falsch interpretiert worden? Welche Ereignisse wollen wir vielleicht sogar nicht verstehen und ordnen sie bewusst falsch ein? Auf der Bühne zu sehen sind zwei Archäologen, bei denen das Verwahren und Wiederentdecken von Relikten aus archäologischen Funden zu einem absurden Stück wird. Am Ende scheint die Geschichte wie ein nicht mehr korrigierbares Zusammenspiel vieler Irrtümer, Missverständnissen und Korrumpiertheiten.
Weitere Informationen über das Festival finden Sie auf der Homepage: www.favoriten-festival.de.