Meldungen zum Kunstgeschehen, Ausstellungsbesprechungen

Galerienotizen aus Stuttgart im Januar und Februar 2010

Die Stuttgarter Galerien melden sich aus der Winterpause zurück, sofern sie überhaupt eine gemacht haben. Eine kleine Auswahl zeigt, dass sich auch im neuen Jahr ein Spaziergang durch die Galerienlandschaft der baden-württembergischen Landeshauptstadt lohnt.

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Das Galerienhaus mit den Galerien Merkle, Naumann und 14.1 präsentiert ihre naturgemäß dreifach geballte Programmatik in außergewöhnlicher Vielfalt. Während Naumann und 14.1 auf eine Soloschau, einmal Kirsten Lampert, einmal Thomas Lehnerer, setzen, zeigt Merkle mit der titelführenden Formatgröße »Dreißig mal dreißig« eine Gruppenausstellung mit gleich mehreren Dutzend Künstlern. Kirsten Lampert, vor zehn Jahren noch Meisterschülerin von Markus Lüpertz, zitiert im großen Format und mit theatralischem Pathos sowohl die Kunstgeschichte als auch eigene Wahrnehmungsassoziationen, als auch Details aus der schönen neuen Waren- und Markenwelt, die sie auf der Grenzlinie zwischen Malerei und Zeichnung ausrichtet. Dabei vermag sie es mit einiger Ironie ganz neue, so phantasievolle wie ornamentfreudige Weltausschnitte entstehen zu lassen. Der früh verstorbene Thomas Lehnerer hat ein existenzialistisch anmutendes Panoptikum kleinformatiger Bronzefiguren hinterlassen, die in der Galerie auf einem massiv-spröden Tisch präsentiert noch düsterer wirken als sonst, wenn sie in loser Folge auf Sockeln stehen. »Meine Figuren«, so der Bildhauer und Philosoph, »sind Resultate eines Wunders, das darin besteht, dass aus dem Zusammenspiel verschiedener Kräfte etwas Lebendiges entsteht. « Horst Merkle hat Künstler seiner Galerie und ausgewählte Kollegen eingeladen, Bilder im Format 30 x 30 cm herauszugeben, mit Erfolg, denn so eng der vorgegebene Rahmen ist, so erfreulich ist die Liste der teilnehmenden Künstler. Darunter sind Ruth Baumann, Matthias Beckmann, Ulrike Kirbach, Ilona Lenk, Thomas Putze, Hannes Steinert, Rolf Urban, Gert Wiedmaier, Danielle Zimmermann u.a.m.

Reinhard Hauff zeigt nun schon zum fünften Mal Arbeiten von Thomas Locher, der sich in seinen aktuellen Werkgruppen mit dem Zeichenhaften in der Kunst befasst, ohne allzu sehr zu theoretisieren, im Gegenteil: Locher geht es um einen Wahrnehmungsraum, der entweder von der Logik aufgefüllt oder auch gefühlsmäßig ergänzt wird. Er betont allerdings, dass dies kein Zugeständnis an das Gegenständliche ist, das den Konzeptkünstler nur am Rande interessiert. So sieht sich der Betrachter einmal einem überdimensionierten Schriftzug gegenüber, dessen betonte Unschärfen beinahe schon die Schmerzgrenze überschreiten. Eine zweite Bildserie setzt Zitate von Karl Marx in einen konzeptionellen Kontext, der die Sinnebene des Materiellen in ein abstrahiertes Netz aus Schrift, Wirklichkeit und Grafik spannt. Wenn Locher nicht – wie meist – mit Text und Buchstaben experimentiert, spielt er zum Beispiel in einer Fensterserie mit der Funktion des Rahmens, der sich als farbig gefasstes Plexiglas ins fotografische Motiv drängt, um nicht nur eine räumliche Distanz zu schaffen, sondern auch um die Innen- und Außendarstellung in Frage zu stellen.

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In der Galerie Müller-Roth zeigt Dieter Villinger Farbe pur. Das ist nicht nur  lapidar gesagt – wenn der Künstler seine Pigmente anrührt, tut er das nicht, um einem Bild Farbe zu verleihen, sondern um Farbe zu zelebrieren. Das macht sich schon in den Titeln bemerkbar: zum Beispiel »Kobaltviolett hell«, »Helioechtgrün«, »Scheveningen Yellow Light«. Nicht jeder ist diesen leuchtenden Gemälden gewachsen, die je nach Farbe bis ins Mark treffen, wenn ihre Intensität nicht sogar psychedelische Wirkungen hervorrufen. Dabei ist es kein Widerspruch, wenn Villinger auch mit reflektierenden Materialien umgeht, wie man sie im Straßenbau für die Kennzeichnung der weißen Spurstreifen einsetzt. Hier schleicht sich also offensichtlich kein Esoteriker ins Gemüt, vielmehr macht ein technisch ausgefuchster Farbenthusiast sein Medium zum bühnenreifen Helden, während er als »Regisseur« zurücktritt. Denn seine Spuren verwischt er souverän: Weder ist seinen mit breiten Bürsten aufgebrachten Gemälden noch den leuchtstarken Aquarellen die persönliche Handschrift abzulesen. Umso mehr inszeniert Villinger sein Werk, das er als Installation durchkomponiert, was den Besuch der Galerien, in denen er ausstellt, zum ästhetischen Genuss macht. Ein Raum der Galerie Mueller-Roth ist zusätzlich dem Werk von Reiner Ruthenbeck gewidmet.

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Ganz bewusste Spuren hinterlässt Christine Gläser, die in der Galerie Anja Rumig ausstellt. Zwar hat auch sie die Malerei an sich zum Thema, doch will die Malerin gerade das Prozesshafte und die Möglichkeiten des Farbauftrags darstellen. »Das Prozesshafte während des Malaktes«, so Anja Rumig bei der Eröffnung, »könnte man auch als Dialog bezeichnen, der zwischen der Künstlerin und dem besteht, was sie als Farbqualität in Form, Ton und materialer Beschaffenheit auf der Leinwand jeweils vor sich hat, und zwar so lange, bis die Komposition vollendet ist.« Die regelrechte Spurensuche geht soweit, dass Gläser den Gestus des Malens und Zeichnens auch in das Medium der Plastik überführt, indem sie »raumgreifende Lineaturen« beifügt.

Bei Wolfram Ullrich, der in der Galerie Sturm gezeigt wird, ist demgegenüber gar nicht ausgemacht, ob es sich um Malerei oder Plastik handelt. Auf jeden Fall der abstrakt-geometrischen Kunst verpflichtet, bedient sich Ullrich der Zentralperspektive aus der klassischen Malerei, so dass man sich durchaus einen Renaissancemeister neben diesem feinsinnigen Künstler vorstellen könnte. Doch bei näherer Betrachtung fügt er reliefartig erhabene Raumkörper aneinander, dass die Plastik sich zwar flächig zurücknimmt, aber zugleich ihre Überlegenheit über die malerische Konstruktion demonstriert, indem sie die Perspektive greifbar macht. Das Ineinanderwirken von kraftvoller Farbe und reduzierter Form verstärkt den Nuancenreichtum, sowohl des Farbvaleurs als auch der Räumlichkeit.

Rainer Wehr präsentiert »Vier«, nämlich vier Künstler, als da sind: Peter Dreher, Ben Hübsch, Irene von Neuendorff und Achim Sakic. Zwar legt der Galerist sonst selbst seine künstlerische Hand an die Einladungskarten, doch hat er diesmal Achim Sakic beauftragt, eine Karte mit Bezug auf die »Vier« zu zeichnen. Sakic integriert in seinen Zeichnungen Werke anderer Künstler, hier z.B. Flad, oder zeichnet Bilder anderer Kollegen nach (nicht ab!), wie im Fall des Japaners Akira Gomi. Zeichnerisch brilliert auch Peter Dreher, der neben Beispielen aus seiner fortlaufenden Serie »Tag um Tag guter Tag« auch Papierarbeiten mit abstrahierten und doch hochgradig filigranen Landschaften präsentiert, die zum Schönsten gehören, was dieses Genre heute zu bieten hat. Ganz barock gibt sich Irene von Neuendorff, die das lieblich anmutende Porzellan (aus Meißen, zweite Wahl) mit drastischen Inhalten konfrontiert. Zarte Gemüter werden die Nase rümpfen über »Harry«, einen ausgestopften Hund, der hirschmäßig nach Waidmannslust von der Wand herabschaut, als sei er neulich erst erlegt worden. Vanitas, vanitatum vanitas! Davon kann bei den lebensfroh-ornamentalen, ultrakoloristischen Bildern von Ben Hübsch kaum die Rede sein, der, wie übrigens auch Sakic und von Neuendorff, bei Dreher studiert hat – die außerordentliche Bandbreite im Werk dieser drei Künstler unterstreicht die Bedeutung des Lehrers auch als Pädagoge.

Weitere Informationen

Termine:
Galerie 14.1 – Thomas Lehnerer, bis 23. Januar 2010
Galerie Reinhard Hauff – Thomas Locher: Supplements Signs Signifiers, bis 16. Januar 2010
Galerie Merkle – Dreißig mal dreißig, bis 30. Januar 2010
Galerie Mueller-Roth – Dieter Villinger, bis 30. Januar 2010
Galerie Naumann – Kirsten Lampert, bis 29. Januar 2010
Galerie Anja Rumig – Christine Gläser: Neue Malerei und raumgreifende Lineaturen, bis 16. Januar 2010
Galerie Michael Sturm – Wolfram Ullrich, bis 6. Februar 2010
Galerie Rainer Wehr – Vier, bis 12. Februar 2010

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