Buchrezensionen

Gertsch, Franz: Zwischen tanzenden grünen und blauen Gräsern aus Malachit und Azurit ein rotes Zünglein chinesischen Bergzinnobers.

Der renommierte Schweizer Künstler Franz Gertsch gibt in dieser vorliegenden Publikation faszinierende Einblicke in seine Erfahrungen und seine überaus reiche Erlebniswelt.

Er schreibt über sein Leben und Schaffen in Form von kurzen Prosatexten, denen er abstrakte, farbige Holzdrucke gegenüberstellt. Bei letzteren wiederum handelt es sich um Vorarbeiten und Probedrucke der großformatigen Holzschnitte, die ihren Schöpfer neben seinen monumentalen, fotorealistischen Gemälden berühmt gemacht haben.

So wie die Bilder Ausschnitte aus größeren Zusammenhängen darstellen, sind auch die Texte, mit denen Gertsch hier erstmals an die Öffentlichkeit tritt, auf besondere Schlüsselmomente und Ereignisse im Leben des Künstlers konzentriert. Aus dieser Zusammenführung entsteht ein künstlerisch anspruchsvolles, vielschichtiges Werk, in dem sich Bilder und Texte gegenseitig subtil durchdringen, obwohl sie autonom für sich selbst stehen. In beiden zeigt sich Gertsch als Meister der formvollendeten Reduktion, die durch ihre Einfachheit und Präzision überzeugt.


Eingangs berichtet der Kunsthistoriker Jean-Christophe Ammann in einem kurzen Vorwort über den Entstehungsprozess des außergewöhnlichen Künstlerbuches. Seit 1986 beschäftigt sich Gertsch, der in den 1970er Jahren mit überlebensgroßen Portraits von Bohemiens und Künstlerkollegen aus der Hippieära für Furore sorgte, mit dem schwierigen Medium des Holzschnitts. Mit einer bislang unerreichten Präzision in der Ausführung und in Monumentalformaten, die schon bei der Papierherstellung an die Grenze des Machbaren stoßen, hat Gertsch auf diesem Terrain neue Dimensionen erschlossen.

Im Rahmen dieses Arbeitsprozesses entstanden zahlreiche Vordrucke, die der Künstler als Proben bezeichnet, denen deshalb freilich nichts Halbfertiges anhaftet. Zum einen benutzt er dafür Bruchstücke der großen, originalen Holzplatten, zum anderen aber auch kleinere Platten, in die er freie Strukturmotive schnitzt. Gertsch bedient sich in seinen Holzschnitten eines enorm aufwendigen Arbeitsverfahrens: mittels eines kleinen Hohleisens schöpft er das Holz aus der Oberfläche der Platte. Die Vertiefungen schaffen kleine Lichtpunkte, die unbearbeiteten Flächen ergeben Dunkel und Farbraum.

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Vermeintlich einfach, in Wahrheit jedoch höchst komplex, sind die Kompositionen monochrom oder zwei- bis dreifarbig in mehreren transparenten Schichten angelegt. Das Zusammenspiel von Farbauftrag und den rasterartigen Strukturen der ausgesparten weißen Punkte erzeugt mitreißende Bewegungen, die scheinbar in einer völligen Schwerelosigkeit tanzen. Wirbel und Strudel zerren den abstrakten Bildraum in einen erstaunlichen Sog der Tiefe, der an Mikro- wie Makrostrukturen gleichermaßen denken lässt. Diese »Proben« also, die der Künstler ebenso wie seine großformatigen Holzschnitte auf handgeschöpftem Papier drucken ließ, sind in der vorliegenden Publikation im Maßstab 1:1 reproduziert und vermitteln aufgrund des ausgezeichneten Nachdrucks viel von ihrer enormen technischen Brillanz.

Gertschs künstlerische Arbeit stellt sich in Verfahrensweise, Material und Zeitaufwand bewusst der Beschleunigung und Technisierung innerhalb der modernen Gesellschaft entgegen. Nicht anders verhält es sich mit seinen Texten: Gertsch erzählt auf eine ruhige und unprätentiöse Weise, klar und unbestechlich präzise in der Beobachtung, manchmal heiter, oft nachdenklich, aber frei von jeglicher Larmoyanz.

Der Dreh- und Angelpunkt der Reflexionen bleibt dabei die Auseinandersetzung des Künstlers mit seinem eigenen Schaffensprozess. Er spricht über seine Beziehung zur Natur, die für ihn die primäre und wichtigste Quelle der Inspiration darstellt. Die Veränderungen im Konstanten, der Wechsel der Erscheinungen im Jahreslauf sowie der Wandel im Großen über längere Zeiträume hinweg beschäftigen ihn sowohl auf der phänomenologischen Ebene als auch in ihren philosophischen und spirituellen Dimensionen. Aus der individuellen Beobachtung wird umfassende Erkenntnis: »Stets sind es Nähe und Ferne, die sich begegnen, das Allgemeine und das Besondere, der Teil und das Ganze, die eigene und die kollektive Biographie«, charakterisiert Jean-Christophe Ammann das Spannungsfeld, das sich dabei auftut.

In diesen Prozess des Beobachtens sieht Gertsch jedoch auch die Erinnerung miteinbezogen, und so blickt er zurück auf seinen persönlichen Werdegang. Er erzählt keine Anekdoten zum Selbstzweck, sondern berichtet über wichtige und charismatische Begegnungen mit Menschen, Orten und Landschaften, die direkt oder indirekt seinen künstlerischen Weg mitbestimmten. Er lässt uns dabei tief in seine Welt eindringen. Nicht zuletzt reflektiert er schließlich über seinen handwerklichen Arbeitsprozess und seinen respektvollen Umgang mit den sorgfältig ausgesuchten Arbeitsmaterialien – beispielsweise mit jenen Pigmenten, denen das Buch seinen ungewöhnlichen, dem Zeitgeist wundervoll verqueren Titel verdankt.

Franz Gertsch, der auf einen langen, erfolgreichen Malerweg zurücksieht, darf sich heute einer ungebrochenen Popularität erfreuen. Nach einer großangelegten Retrospektive in der Kunsthalle Tübingen wurde sein Werk im Rahmen zweier ebenfalls umfassenden Ausstellungen in Wien vorgestellt. Für das Publikum, das den Künstler schon längst ins Herz geschlossen hat, dürften die Texte Gertschs eine zusätzliche Bereicherung darstellen, die neue Perspektiven auf den künstlerischen Kosmos eines großen Meisters der Gegenwartskunst eröffnen.


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