Ist es waghalsig oder mutig, zwei Künstler von dieser Tragweite und Größenordnung in einer Ausstellung zusammenzuführen, wenn es keine gemeinsame Sprache im übertragenen Sinn gibt – konkret bietet sich freilich das Italienische als Bindeglied an?
Im Fall von Alberto Giacometti (1901-1966) und Giorgio Morandi (1890-1964) kann man die Frage zum Glück getrost schon vorab verneinen, denn zum einen ist das Werk von beiden thematisch wie quantitativ überschaubar, zum anderen ragen sie gerade wegen ihrer Qualität souverän wie zwei Monolithe in die Höhe, dass sie in Blickkontakt treten würden, wenn man sie aufeinander zugehen ließen.
Genau das machten die Ausstellungsmacher der Morandi-Giacometti-Schau in Schwäbisch-Gmünd. Und da es hier gar nie zur Debatte stand, irgendwelche Schul- bzw. Gruppengemeinsamkeiten (man denke an BRÜCKE-Künstler) oder generations- bzw. zeitrelevante Themen (etwa Beckmanns und Picassos Monumentalismus in den Zwanzigern) herauszufiltern, bereitet der Besuch der Ausstellung schon deshalb ein unbändiges Vergnügen, weil man zwei gleichsam geniale, einfache (wenn auch nie simple) Werkkomplexe wie Déja-vu-Erlebnisse an sich vorbeiziehen lassen kann, die zufällig (wenn auch nicht ohne Grund) eine gegenseitige Ausgewogenheit bilden, die kaum ein zweites Mal so funktionieren würde – meist gäbe es wohl Abhängigkeiten, die uns hier an keiner Stelle begegnen. Immerhin haben sich Giacometti und Morandi nie getroffen, Aussagen übereinander existieren praktisch nicht.
Wer allerdings, angeheizt von unsrer allgegenwärtigen Eventkultur, seine Erwartungen nicht herunterschraubt, könnte allerdings enttäuscht sein von einer solchen Einmütigkeit, ja vermeintlichen Eintönigkeit. »Ich hatte das große Glück«, heißt es bei Morandi, »ein ganz ereignisloses Leben zu führen«. Doch muss man noch nicht einmal an Franz Kafka erinnern, dessen Leben völlig sensationslos war, dessen Sprache auf den ersten Blick einen nachgerade bescheidenen Wortschatz aufweist – und der unangefochten zu den bedeutendsten deutschsprachigen Autoren gehört; am Rande sei vermerkt, dass ungeachtet der Probleme, Kafka-Texte überhaupt zu illustrieren, sowohl Giacomettis als auch Morandis Arbeiten in deren Umfeld eine gute Figur machen könnten. Nicht zuletzt mag man festhalten, dass eine einfache Form – selbst in der Extremposition des Suprematismus oder, um unsren »Titelhelden« näherzutreten: im Werk Paul Cézannes – nicht mit »langweilig« gleichzusetzen ist. Kurzum: Die schöne Schau in Schwäbisch Gmünd rührt vielmehr an die Randgebiete der Philosophie, Abteilung Abenteuer: »Kunst interessiert mich sehr, aber Wahrheit interessiert mich unendlich mehr«, so ein Credo Giacomettis. Ohne Mühe kann man sich in beider Werk ganze Welten erschließen.
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Das Faszinosum dieser Kunst liegt eindeutig in jener Beschränkung der Mittel und der Motive. Dass allein dies den Anspruch auf Dialoghaftigkeit erheben kann, ist auf Schritt und Tritt zu spüren (ein Lob den Ausstellungsmachern, die die über 100 Werke als Rundumschau inszeniert haben).
Darüber hinaus überrascht die Fülle, die aus dieser formalen wie inhaltlichen Konzentration (Gefäß, Landschaft da, Körper, Raum dort) entspringt – sehen wir doch von den Motiven her Stillleben, Landschaftsbilder, Porträts, Personen-Raum-Konstellationen und Interieurs, von den Techniken her Plastiken, Gemälde, Aquarelle, Druckgrafiken und Zeichnungen. Verwunderung ruft schließlich die Zusammenschau der eklatanten Unterschiede hervor – das Stillestehen in der Fläche bei Morandi, die vibrierende Unruhe in der Oberflächengestalt bei Giacometti. Die Leihgaben stammen u. a. aus den Sammlungen des Morat-Institutes für Kunst und Kunstwissenschaft in Freiburg i. Br., von Helmut Klewan in München und Wien sowie von Ingrid und Werner Welle in Paderborn, ergänzt durch Arbeiten aus der Sammlung Lambrecht-Schadeberg im Museum für Gegenwartskunst in Siegen sowie aus München und Stuttgart. So begegnen wir nicht nur beiden Künstlern erstmals in einer Gegenüberstellung, sondern auch im Einzelblick auf zwei Lebenswerke, die kaum Fragen offen lassen.
Öffnungszeiten:
Schwäbisch Gmünd
Dienstag, Mittwoch, Freitag 14 bis 17 UHr, Donnerstag 14 bis 19, Samstag/Sonntag 11 bis 17 Uhr
Montags geschlossen, an Feiertagen 11 bis 17 Uhr
Vortrag
Donnerstag, 25.9., 18 Uhr:
»Der konzentrierte Blick. Zum Werk von Giorgio Morandi und Alberto Giacometti«
Dr. Ursula Merkel, Städtische Galerie Karlsruhe