Ausstellungsbesprechungen

Hann Trier – Lob des Rokoko, Deutsche Barockgalerie im Schaezlerpalais, Augsburg, bis 5. Juni 2011

Hann Trier (1915-1999) war einer der wichtigsten deutschen Vertreter der ungegenständlichen Malerei. Eine Konstante in seinem Werk bildet die Auseinandersetzung mit der Kunst des Barock und des Rokoko, was nun am besten Ort, nämlich der Barockgalerie im Augsburger Schaezlerpalais, präsentiert wird. Günter Baumann hat sich die Ausstellung angesehen.

In seltenen Fällen stoßen in ein und dem selben Raum Epochen aufeinander, die – eigentlich unvereinbar – eine so innige Verbindung eingehen können, dass man glaubt, als würde man eine alle Sinne erfüllende Sinfonie hören: zwei Beispiele mögen zeigen, wie groß die Bandbreite denkbarer Zwiegespräche über die Epochen hinweg sein kann. Während zur Zeit in Basel eine Wohnraum-Installation von Francis Alys’ »Fabiola« (nach Jean-Jacques Henner) zu sehen ist, die dieses in unzähligen Versionen und Variationen gemalte weibliche Seitenprofil innerhalb eines großbürgerlich neobarocken Ambientes inszeniert, konfrontiert der Kurator Tilo Grabach in Augsburg gerade Hann Triers Rokoko-Adaptationen im Stil des Informel mit den Räumlichkeiten des (spät)barocken Schaezlerpalais. Schöner kann man Kunst nicht präsentieren, geht es doch nicht nur um die Betrachtung von Bildern, sondern um den Gesamteindruck, der hier wie dort in höherer Potenz demonstriert, dass man Kunstwerke nicht völlig isoliert vom Umraum betrachten kann.

In Augsburg geht es um Triers »Lob des Rokoko«, das seinen bedeutendsten Ausdruck in den frühen 1970er Jahren im neu gstalteten Deckenspiegel im Weißen Saal des Charlottenburger Schlosses gefunden hat. Ursprünglich wollte man das zerstörte Original von Antoine Pesne rekonstruieren, entschied sich dann aber für eine freie Umdeutung. Hann Trier (1915–1999), mehrmaliger Documenta-Teilnehmer mit einem Œuvre von 800 Werken, war die Idealbesetzung. Er war dem malerisch-leichten Stil des 18. Jahrhunderts schon mehrfach nahe gekommen, ausgerechnet mit der gestischen Abstraktion des Informel: Sein charakteristisches poetisches Liniengeflecht, das durch beidhändigen Farbauftrag locker rhythmisiert erschien, war weniger weit vom Rokoko entfernt, als man zunächst vermuten sollte.

Diese gänzlich abstrakten Farbnotationen zu Tiepolo, Watteau (insbesondere »Einschiffung nach Kythera«) & Co. sind nun im grandiosen Barockpalais des Freiherrn Johann Lorenz Schaezler zu bewundern. Es ist ein Augenschmaus, ein wahrer Sinnenrausch, die historischen Flure und Kabinetträume neu zu entdecken. Dabei es unerheblich ist, dass Hann Trier die Rokoko-Stimmung weit fasst – Assoziationen findet er bei Liotard genauso wie bei Knobelsdorff und sogar Bernini. Im Fall einer mehrteiligen Liotard-Sequenz rührt die Abstraktion sogar an die originale Figuration, eine spektakuläre Koinzidenz von gegenständlicher und ungegenständlicher Malerei.

Die Augsburger Schau mit rund 30 Arbeiten ist eine späte Ehrung eines Informel-Malers, der zu den ganz großen Künstlern der Nachkriegszeit gehört und im Alter zu Unrecht ins Abseits der Kunstgeschichte geriet. Darüber hinaus ist es ein interessantes Gedankenexperiment zu sehen, wie sich die Stile des Barock und des Rokoko – bemerkenswerterweise orientierten sich auch die Informel-Kollegen Götz und Schumacher an diesen Epochen – in abstrakter Interpretation ›anfühlen‹.

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