Kunstbücher für junge Leser

Hatry, Michael: Ich will malen! Das Leben der Artemisia Gentileschi, mit einem Anhang von Susanna Partsch, Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2007.

Das Leben und Werk von Artemisia Gentileschi (1593–1654) ist, nachdem es lange Zeit in Vergessenheit geraten war, in den letzten Jahrzehnten auf großes Interesse gestoßen.

Bietet doch vor allem ihr persönliches Schicksal dramatischen Stoff, der viele Autorinnen – vor allem der 80er und 90ger Jahre – zu Publikationen angeregt hat (siehe unten): Gentileschi gehörte zu den wenigen Künstlerinnen, die es erreichten, ihre Kunst professionell auszuüben und ein für damalige Verhältnisse weitgehend selbstbestimmtes Leben zu führen. Es war ihr sogar möglich, den Lebensunterhalt allein zu verdienen und ein eigenes Atelier zu unterhalten.

Doch der Weg dahin war bekanntlich voller Hindernisse: Die Beziehung zu Agostino Tassi, einem Malerfreund ihres Vaters, führte nicht zur Heirat, sondern zu einer mutmaßlichen Vergewaltigung und anschließend zu einem viel beachteten Prozess um die Wiederherstellung ihrer Ehre (1612). Trotz Widerständen gelang es Gentileschi aber, sich als Malerin durchzusetzen und sich einen Platz zwischen ihren männlichen Malerkollegen im frühbarocken Italien zu erobern.

Ihr aufregendes Leben hat zu vielfältigen Rückschlüssen auf ihre eindringliche Malerei geführt und macht heute ihre Popularität aus. Dazu beigetragen hat nicht zuletzt Agnès Merlets verfilmte Künstlerinnenbiografie »Artemisia« von 1997, aber auch Anna Bantis poetischer Briefroman oder die Florentiner Ausstellung plus Katalog von 1991, die zwei Jahre vor Gentileschis 400. Geburtstag das Werk der Künstlerin dokumentierte.

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Nun kommt noch ein Jugendbuch mit besonderem Anspruch hinzu: Diesmal haben der Schriftsteller Michael Hatry und die Kunsthistorikerin Susanna Partsch zusammen eine spannende Romanbiografie verfasst, die genauso unterhalten wie das historische Rom der Päpste und Leben der Menschen im Frühbarock nahebringen soll. Man erfährt viel über die Vorgehensweise in der Kunst und die Schwierigkeiten der Umsetzung ebenso wie über die Bilder Gentileschis und deren biblischen und mythologischen Sujets. Dabei konzentriert sich der Autor darauf, die Geschehnisse in ruhiger und distanzierter Erzählweise zu vermitteln. Durch den leicht verständlichen Stil wendet sich der Roman an Jugendliche ab etwa 15 Jahren.

Als Wissenschaftlerin hat Partsch mit der Auswertung der kunsthistorischen Literatur die Basis für Hatrys Künstlerinnenvita geschaffen, die die Verquickung von realer und fiktiver Geschichte, Kunst und Historie erst ermöglicht. Diese Zusammenarbeit spiegelt umgekehrt auch die Gliederung des Buches in zwei Teile wider: Im ersten Teil schildert der Autor die ersten drei Jahrzehnte aus dem Leben Gentileschis in Rom und Florenz: vom ersten Kapitel »Wie Artemisias Geburt ihren Vater Orazio fast ins Gefängnis brachte« bis zum letzten, 33. Kapitel »Wie Artemisia Pierantonio loswurde«.

So geht es zunächst um die Kindheit und Jugend, wie sie etwa nach dem frühen Tod der Mutter eine besonders enge Bindung an den Vater, den römischen Maler Orazio Gentileschi, entwickelte und in dessen Atelier das Malerhandwerk erlernte. Alle im Roman genannten Hauptpersonen und Bilder hat es wirklich gegeben, alle historischen Ereignisse, wie zum Beispiel die Verbrennung von Giordano Bruno, und viele überlieferte Geschehnisse aus Gentileschis Leben haben so stattgefunden.

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Die Gerichtsakten des berühmten Prozesses, infolgedessen Tassi wegen seines uneingelösten Heiratsversprechens verurteilt wurde, sind erhalten und vollständig veröffentlicht. Sie sorgten für ganz unterschiedliche Interpretationen unter den Forscherinnen: Die einen vertreten die These, dass Gentileschis Vorliebe für blutrünstige Szenen wie die der biblischen Rächerin Judith, die den feindlichen Feldherrn Holofernes enthauptet, mit der ihr selbst möglicherweise angetanen Gewalt zusammenhängen, die anderen zweifeln dies an. Die Akten bilden die Grundlage für die Rekonstruktion des dramatischen Geschehens, werfen allerdings auch einige Fragen auf. Denn nicht immer ist schlüssig, ob Kläger, Zeugen und die Malerin die Wahrheit sagten oder gelogen haben. Erst ein wissenschaftlicher Vergleich mit anderen erhaltenen Prozessakten brachte mehr Klarheit. Diese neuen Erkenntnisse sind im Roman verarbeitet.

Nach dem Prozess heiratete Artemisia den eher unbedeutenden Maler Pierantonio Stiattesi und ging nach Florenz, wo sie als Malerin tätig war und u.a. 1616 als erste Frau in die »Accademia del Disegno« aufgenommen wurde. Hatry erzählt einfühlsam, wie sie die Sorgen einer Frau im Frühbarock, etwa die Geburt von mehreren Kindern, von denen nur eine Tochter das Erwachsenenalter erreicht, durchlebte. Alltäglichkeiten wechseln sich mit tiefen Einblicken in die Kunst oder die Erwähnung von politischen Großereignissen ab. Spannung entsteht vor allem durch Gentileschis Ringen mit der Kunst und ihren persönlichen Reflektionen.

Mit der Rückkehr nach Rom im Jahre 1621 endet der Roman. Die Jahre, die Gentileschi später in Venedig, Neapel und England als anerkannte, international erfolgreiche Malerin verbrachte, werden nicht berücksichtigt. Hervorzuheben ist der rund 45 Seiten starke, erläuternde Anhang von Susanna Partsch, der den zweiten Teil des Buches bildet und viele nützliche Informationen enthält: angefangen mit Details zum Prozess, über die Beschreibung der Werkstatt eines Künstlers bis hin zu einer Einführung in die Situation der Maler um 1600 in Rom und die Epoche des Barock. Daran schließen sich Kurzbiografien von Artemisia, ihrer Familie und weiteren Künstlern in Rom und Florenz sowie anderer zeitrelevanter Persönlichkeiten an. Zum Schluss liefert die Autorin einige Infos zu den genannten Bildern. In der Danksagung finden sich ein paar ausgewählte Literaturhinweise, auf die sich die Autoren gestützt haben.

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Schade nur, dass von den im Roman erwähnten Gemälden Gentileschis nur fünf abgebildet werden, noch dazu in Schwarz-Weiß; abgesehen vom Buchcover, das ihr um 1609 entstandenes Selbstporträt als Allegorie der Malerei in einem großen Oval nach Art eines Medaillons zeigt. Es ist wahrscheinlich das erste eigenständige Bild der etwa 16-jährigen Künstlerin, das als verschollen gilt und nur in Fotografien überliefert ist. Hatry und Partsch ist mit dieser Künstlerbiografie eindrucksvoll gelungen, nicht nur den aufregenden wie mühsamen Werdegang einer faszinierenden Frau von ihrer Geburt bis zu ihren ersten großen Erfolgen als Malerin geradlinig zu erzählen, sondern auch in einer lebendigen Sprache das Porträt des (Kunst)Lebens im frühbarocken Rom und Florenz zu entwerfen – zusammen mit den ergänzenden Informationen werden daher nicht nur Jugendliche, sondern sicher auch erfahrenere Leser zufriedengestellt.

Es wäre schön, wenn dies der Beginn einer Reihe von (monografischen) Kunst-Jugendbüchern wäre, in denen Wahrheit und Fiktion so schön spannend verwoben sind.

 

Literaturhinweise:


Vreeland, Susan: Die Malerin (Original: The Passion of Artemisia), Heyne Verlag 2003

Orazio und Artemisia Gentileschi. Father and Daughter Painters in Baroque Italy, Katalog zur Ausstellung, Rom/New York/Saint Louis 2002

Banti, Anna: »Zum Fürchten schön und tüchtig«: Artemisia, List Verlag 2001

Bissell, R. Ward: Artemisia Gentileschi and the Authority of Art. Critical Reading and Catalogue Raisonné, The Pennsylvania State University Press 1999

Lapierre, Alexandra: Artemisia G., Diana Verlag 1998

Bramly, Marine: Artemisia. Die Geschichte einer Passion, Ullstein Verlag 1998 (Buch zum Film: Artemisia – Schule der Sinnlichkeit, Originaltitel: Artemisia, Regie: Agnès Merlet, Frankreich/Italien/Deutschland 1997, mit Valentina Cervi als Artemisia)

Stolzenwald, Susanna: Artemisia Gentileschi. Bindung und Befreiung in Leben und
Werk einer Malerin, Belser Verlag 1991

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