Interviews

Hundertwasser – Schiele. Imagine Tomorrow, Leopold Museum Wien. Interview mit Alexandra Matzner

Friedensreich Hundertwasser (1928–2000) prägte als Maler, Gestalter von Lebensräumen und Vorkämpfer der Ökologiebewegung die Kunst des 20. Jahrhunderts über die Grenzen Österreichs hinaus. Wenig bekannt ist seine lebenslange, intensive Beschäftigung mit der Person und dem Werk Egon Schieles (1890–1918). Das Wiener Leopold Museum hat dieser Beziehung nun eine Ausstellung gewidmet. Andreas Maurer hat sich dazu mit Alexandra Matzner, der wissenschaftlichen Beraterin des Projektes unterhalten.

FRIEDENSREICH HUNDERTWASSER, 170 Le jardin des morts heureux © Privatsammlung © 2020 Namida AG, Glarus, Schweiz
FRIEDENSREICH HUNDERTWASSER, 170 Le jardin des morts heureux © Privatsammlung © 2020 Namida AG, Glarus, Schweiz

Andreas Maurer: Wie kam es zur Ausstellung »Hundertwasser – Schiele. Imagine Tomorrow«?

Alexandra Matzner: Die Werke von Friedensreich Hundertwasser und Egon Schiele in einer großen Ausstellung zusammenzubringen, überrascht viele Menschen! In der älteren Hundertwasser–Literatur – zum Beispiel bei Wieland Schmied – findet man Hinweise auf Schiele und Klimt. Die Kunsthistorikerin Pamela Kort hat sich anlässlich des 2. Schiele Symposiums damit intensiv auseinandergesetzt. Die von ihr aufgefundenen und erstmals veröffentlichten Briefe Hundertwassers, in denen er sich über seine Schiele–Begeisterung äußerte, haben Hans–Peter Wipplinger [Anm.: Museologischer Direktor und
interim. kaufmännischer Direktor] inspiriert, das Wagnis einer Hundertwasser–Schiele–Ausstellung einzugehen. Ich durfte diese von Robert Fleck, einem ausgewiesenen Hundertwasser–Experten, kuratierte Schau im Leopold Museum wissenschaftlich begleiten und habe mich vor allem mit der Rezeption von Schieles Werk und der Entstehung des Schiele–Mythos beschäftigt. Hundertwasser hat Schiele schon als Jugendlicher entdeckt und Zeit seines Lebens mit ihm als Vorbild gelebt. So hängen heute noch Reproduktionen von Schiele–Werke an Hundertwassers Wirkungsorten in der niederösterreichischen »Hahnsäge«, aber auch in Venedig und Neuseeland.

Was ich mich vor der Schau gefragt habe: Vom rein visuellen Standpunkt – würde nicht Klimt mit seinen organischen, »pflanzlichen« Ornamenten besser zu Hundertwasser passen als Schiele?

Die Beobachtung, dass Hundertwasser an Klimt anknüpfte, ist zweifellos richtig. So scheint die Spirale etwa direkt aus Klimts Werk abgeleitet zu sein. Wenn man aber die Texte Hundertwassers genau liest, wird der Unterschied deutlich: Hundertwasser entwickelte seine Spiralen »vegetativ«, das heißt organisch, während Klimts Spiralen mit dem Kurvenlineal gezogen sind. Hundertwassers Auseinandersetzung mit Schiele geht vom Formalen über das Motivisch–thematische bis zur Überzeugung, dass die gesellschaftliche Position eines Künstlers mit einem Propheten, einem Heilsbringer zu vergleichen sei.
 
Wann »entdeckte« Hundertwasser die Kunst Schieles überhaupt für sich? Oder war Schiele einfach gerade en vogue? 

Wenngleich Schiele erst 28 Jahre jung war, als er starb, so war er nie vergessen, sondern schloss für die Zeitgenossen die Epoche Wien 1900 ab. Während der NS–Zeit wurde es still um den Expressionisten, doch 1948 wählten die Verantwortlichen Schiele als Vertreter Österreichs auf der ersten Biennale von Venedig nach Kriegsende. Im Herbst `48 organisierte die Albertina eine große Ausstellung zu Schieles Zeichnungen und die Neue Galerie eine zu den Gemälden. Just zu diesem Zeitpunkt begann der 19–jährige Friedrich Stowasser ein Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien. In dieser Phase wandte sich der Wiener Stowasser, der sich wenig später in Hundertwasser umbenennen sollte, dem bedeutenden Zeichner und Maler Schiele zu.

STEFAN MOSES, Friedensreich Hundertwasser in seinem Arbeitszimmer in der „Hahnsäge“ © Hundertwasser Archiv, Wien, Foto: Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger © fotografie stefan moses
STEFAN MOSES, Friedensreich Hundertwasser in seinem Arbeitszimmer in der „Hahnsäge“ © Hundertwasser Archiv, Wien, Foto: Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger © fotografie stefan moses


 
Welche Rolle spielt Schiele in Hundertwassers Frühwerk?

1950/51 verfasste Hundertwasser einen poetischen Text, den er mit den Worten »Ich liebe Schiele« überschrieb. Für ihn stellte Schiele, den er natürlich nicht persönlich kennenlernen konnte, ein Vorbild dar. Schieles Kunst bot ihm – wie die italienische Freskomalerei der Gotik, aber auch Paul Klee – ein Gegenbild zum Naturalismus und heroischen Realismus der NS–Kunst aber auch zur gemäßigten Moderne an der Akademie. Hundertwasser lernte, indem er Schieles Werke genau studierte. Er bildete sich aber auch, indem er Bücher über Schiele las. So musste ihm seine Mutter beispielsweise Otto Nirensteins Werkmonografie nach Paris schicken.
 
Hundertwasser wurde früh zum Schiele–Fan, gibt es aber vielleicht Aspekte im Werk des Expressionisten, die sein Interesse besonders geweckt haben?

Ich würde meinen, dass sowohl die Städtebilder als auch die Auseinandersetzung mit Leben und Tod für Hundertwasser wichtig wurden. Obwohl Hundertwasser Schieles genialen Strich bewunderte, lehnte er dessen Aktzeichnungen ab.

International ist Friedensreich Hundertwasser nicht nur als Künstler, sondern auch als »Öko«–Pionier bekannt. Welche Rolle spielt Natur aber im Werk Egon Schieles? Gibt es Schnittstellen im Œuvre der beiden Künstler?

Ja! Der Künstler Hundertwasser und der Naturschützer Hundertwasser sind nicht voneinander zu trennen. So hat er sich beispielweise gegen das vorherrschende Informel mit dem Argument gewandt, dass bei dieser Methode mehr Farbe am Fußboden als auf der Leinwand landen würde. Er selbst predigte den sparsamsten Umgang mit den Ressourcen – auch mit Malfarben. Schiele verherrlichte die Natur in seinen Bildern – mehr noch aber in seinen Gedichten. Arthur Roessler ließ den Expressionisten in einem seiner Bücher sagen: »Die Pflanze wächst, blüht und lässt die Blüte zur Frucht reifen, ich lebe, träume, denke gehorche den in mir wirkenden Kräften.« Das Prinzip des Wachsens im Sinne einer Analogie zwischen Kunstwerk und Pflanze findet sich auch in Hundertwassers Kunsttheorie.
 

Egon Schiele, Der Häuserbogen ll ("Inselstadt"), 1915 © Leopold Museum, Wien, Foto: Leopold Museum, Wien/Manfred
Egon Schiele, Der Häuserbogen ll ("Inselstadt"), 1915 © Leopold Museum, Wien, Foto: Leopold Museum, Wien/Manfred


Lässt sich der Einfluss Schieles in den Werken Hundertwassers wiederfinden? Beziehungsweise: gibt es inhaltliche, formale Ähnlichkeiten?

Besonders deutlich wird die Auseinandersetzung in unserem Ausstellungsraum mit den Städtebildern. Schieles Darstellungen alter, morscher Häuser weisen eine starke orthogonale Struktur auf und lassen die Zurückdrängung des Tiefenraums erkennen – so auch Hundertwassers Bilder von Häusern. Gleichzeitig soll nicht vergessen werden, dass die individuell veränderten Gebäude meist aus Krumau Hundertwassers Architekturtheorie vorwegnehmen. Die kann man kurz mit den Stichworten zusammenfassen: keine gerade Linie, kein rechter Winkel, persönliche Veränderung des Gebäudes und Baummieter.
 
Die Schau ist dialogisch angelegt, gab es für Sie bei der Gegenüberstellung der Werke Überschneidungen, mit denen Sie nicht gerechnet hätten?

Wir haben bei der Vorbereitung mit Büchern und Reproduktionen von Hundertwassers Werken gearbeitet, die deutlich übersteigerte Farben zeigen. Der Künstler hat sie selbst so wiedergegeben haben wollen. Als wir die frühen Bilder ausgepackt haben, waren wir sehr erleichtert, dass sie weniger knallige Farben und häufig matte Oberflächen haben. Dadurch passen sie besser zu Schieles Werken, als wir es uns erträumt haben.

Ausstellungsansicht 4 Hundertwasser – Schiele. Imagine Tomorrow © Leopold Museum, Wien, Foto: Lisa Rastl
Ausstellungsansicht 4 Hundertwasser – Schiele. Imagine Tomorrow © Leopold Museum, Wien, Foto: Lisa Rastl


 
Ab ca. 1950 propagierte Hundertwasser die Kunst Schieles auch unter seinen Freunden und Kollegen. Half Hundertwasser dadurch bei der Etablierung Schieles?

Das ist sicher auch einer seiner Verdienste, in Paris mit seinen Freunden viel über Schiele gesprochen zu haben. Dazu kommt noch, dass er in seinen Ausstellungskatalogen häufig auf Schiele Bezug nahm. Die Propagierung Schieles durch Hundertwasser auf internationaler Ebene war sicher ein Mosaikstein in der Durchsetzung des Expressionisten.

Gibt es andere Künstler*innen, welche durch Hundertwasser auf Schiele aufmerksam wurden, bzw. vielleicht von dessen Werk ebenso beeinflusst wurden?

Aus den Postkarten Hundertwassers an seine Mutter in Wien wissen wir von dem israelischen Maler Naftali Bezem (1924–2018), den er in Frankreich kennengelernt hat. Den hat er mit Reproduktionen nach Schiele Werken versorgt, allerdings hat Hundertwassers Mutter nicht das Gewünschte geliefert, weshalb es zu Spannungen zwischen den Künstlern gekommen sein muss. Inwiefern Bezem auf das Werk Schieles rekurrierte, kann ich Ihnen aber leider nicht sagen.
 
Wenn sich Schiele und Hundertwasser heute treffen würden, über welche Themen würden die beiden heute sprechen?

Sicher über Malerei und das Meer. Beide liebten nämlich das Wasser!

Alexandra Matzner © Stefanie Matzner
Alexandra Matzner © Stefanie Matzner


Mag. Alexandra Matzner, B.A. (*1974)
Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom.
Autorin, Kunstvermittlerin und Kulturjournalistin, zahlreiche Publikationen und Katalogbeiträge zu Fotografie und zur Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts.
Lebt und arbeitet als freie Autorin in Wien.
Wissenschaftliche Beraterin des Ausstellungsprojekts »Hundertwasser – Schiele. Imagine Tomorrow«
Katalogbeitrag: »,Ich liebe Schiele‘ – Der Schiele–Mythos und seine Rezeption durch Hundertwasser«

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