Welcher Jugendliche empfand keine Begeisterung für das Phänomen Zeit?
In den Romanen “Die Zeitmaschine” von Herbert G. Wells und “In 80 Tagen um die Erde” von Jules Verne oder auch im Kino-Blockbuster “Zurück in die Zukunft” fieberte man mit den Helden, wenn es um die Wiederkehr in die Gegenwart ging. Die Lektüre von “Kunstgeschichte für junge Leser” von Horst W. und Dora Jane Janson gleicht einer Reise in einer Raum- und Zeitmaschine. Der Leser wird eingeladen, eine rasante Fahrt durch die Welt der Kunst zu unternehmen. Man fühlt sich in der Höhle von Lascaux, nach Hierakonpolis oder in die Provence versetzt. “Von der Höhlenmalerei bis zur Moderne”, so der Untertitel, wird beinahe die gesamte Kunstgeschichte abgehandelt.
Es ist den Autoren gelungen, nicht nur die Chronologie der Geschehnisse zu vermitteln, sondern auch besonders intensiv auf Ursachen und Wirkung der Kunst einzugehen. Die Querverweise und Vergleiche mit anderen Stilen überzeugen ebenso wie die Verknüpfung der 29 Kapitel, die aufgrund ihrer übersichtlichen Länge für den Schulunterricht geeignet sind.
Dennoch mangelt es dem Buch nicht an Komplexität, wofür beispielhaft das Kapitel “Zeitalter der Technik” genannt sein soll. In der Bildunterschrift des Gemäldes “Napoleon in der Schlacht von Arcole” von Antonie Gros wird darauf hingewiesen, dass sich die Kunst zurück zur “Farbe und Dramatik des Barocks” bewegte und “eine Welle nationaler Begeisterung den Neoklassizismus von [Jacques-Louis] David weggespült” habe. Es folgen zunächst eine Einführung zur politischen Lage und der geschichtlichen Bedeutung Napoleons, dann erläutern die Autoren die Auswirkungen seiner Herrschaft auf die Malerei. Etwa dass Davids Rolle als großer Meister schwand und junge Künstler wie Ingres, die mit der Revolution groß geworden waren, seinen Platz einnahmen. Napoleons Vorliebe für die Antike findet nicht nur in der zeitgenössischen Malerei Widerklang. Auch die Mode orientierte sich an der des römischen Reiches.
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Leider sind viele Abbildungen schwarzweiß, so dass beispielsweise bei der Beschreibung des Freskos “Die Heilige Dreifaltigkeit mit Johannes, Maria und zwei Stifterfiguren” des jung verstorbenen Masaccio “der wesentliche Unterschied” gegenüber den Figuren Giottos nicht deutlich wird. Dass die Figuren des Freskos “wie aus Fleisch und Blut” erscheinen, muss man dem Text glauben.
Der heutige Blick auf die Kunstgeschichte sollte den asiatischen Raum, Afrika und Südamerika nicht außer Acht lassen. Die Autoren fokussieren jedoch nur die Betrachtung der neuen Welt. Fragwürdig ist auch die Entscheidung, die Kunstgeschichte mit 1980 enden zu lassen, obgleich das Werk für die dritte Auflage eigens aktualisiert wurde. Auf eineinhalb Seiten werden der universelle Eklektizismus, die Vielfalt und die Theorielastigkeit der zeitgenössischen Kunst erklärt. Auch wenn, wie der Titel schon verrät, das Buch mit der Moderne endet, so wäre ein weiteres Kapitel zur Gegenwartskunst wünschenswert, denn gerade die neuen Strömungen könnten junge Leser veranlassen, sich der Kunst zu verschließen, statt sie zu begreifen.
Welchen Einfluss die DDR-Kunst auf Deutschland genommen hat, kann man den Autoren nur halbherzig abnehmen, da sie sich lediglich dem westlich orientierten A.R. Penck widmen. Werner Tübke, die bauhausorientierte Nachkriegsgeneration, die sozialistischen Staatskünstler und vor allem die Kunst nach der Wiedervereinigung finden keine Erwähnung. Auch ein Vergleich zwischen documenta und Bitterfelder Weg bleibt aus. Das sprachlich starke Werk wird hoffentlich eine weitere Aktualisierung erfahren.