Im Museum Folkwang hat im Mai das internationale Symposium zum Klang in der Kunst »Can You Hear Me Knocking?« statt gefunden. Hier wurden aktuelle Entwicklungen der Klang–Kunst bzw. Sound Art diskutiert, auch als Ergänzung zur Ausstellung »Christian Jendreiko & Gäste. Lust & Rätsel«. Kuratorin Dr. Isabel Hufschmidt spricht im Interview mit Susanne Braun über Klang–Kunst bzw. Sound Art in Institutionen sowie ihren Erfahrungen mit diesem Ausstellungsschwerpunkt.
Portal Kunstgeschichte: Traditionell sind Museen mit einem Schwerpunkt auf bildender Kunst wahrscheinlich in erster Linie der visuellen Wahrnehmung verpflichtet. Die Besucher erwarten, dass sie die Kunstwerke ausgiebig und in aller Ruhe betrachten können. Warum sollten Museen sich für Klänge und/oder Musik als Kunstform öffnen? Und wie passt das zusammen?
Isabel Hufschmidt: Sound bzw. Klang formulieren sich genauso in künstlerischer Praxis wie Malerei oder Bildhauerei. Das ist jetzt nichts Neues in der Kunstwelt. Tatsächlich ist das Publikum aber vorwiegend auf das Sehen konditioniert, obwohl Sound Art nicht erst seit gestern existiert. Da haben wir schon fast sechs intensive Jahrzehnte Erprobungen durch Künstler*innen international aufzuweisen. Die Institutionen haben sich jedoch nur langsam geöffnet. Klänge im Museum stellen für das Publikum grundsätzlich einen synästhetischen Gewinn, wenn man es so nennen will, dar in Herausforderung zum Sehen. Geräusche erweitern das Wahrnehmungsangebot. Lange verwehrte oder eher: erschwerte sich der Weg für die Sound Art in die Präsentationspraxis und Sammlungen von Museen. Dies aber wohl eher aufgrund ihres sich dem Konservatorischen entziehenden wenig haptischen, eben ephemeren Charakters, nicht aber wegen ihrer durchaus vorhandenen Erkenntnisqualität für das Publikum. So hatte die Sound Art eher ihre punktuellen Sichtbarkeiten in den Museen durch konzerthafte Durchführungen. Das wird ihr aber als künstlerische Praxis nicht gerecht und reduziert sie auf temporäres Erlebnis und Event. Das Visuelle bekam somit in den Institutionen nicht viel Konkurrenz.
Portal Kunstgeschichte: Im Museum Folkwang die Ausstellung »Christian Jendreiko & Gäste. Lust & Rätsel« im Mai zu Ende gegangen, die dem Klang eine dominante Rolle einräumt. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Was können Sie anderen Museen, Galerien und Künstlern bei der Umsetzung eines solchen Projektes raten?
Isabel Hufschmidt: Ratschläge gebe ich nicht. Ich sehe mich nicht als solche Instanz. Was für »Lust & Rätsel« funktioniert hat und wozu wir uns entschieden haben: Sich nicht auf Räumlichkeiten beschränken sowie komplettes Vertrauen in die Künstler*innen und in das Publikum. Die Menschen lassen sich von der Neugier der Institution rasch anstecken und sind schnell gemeinsam mit dem/der Kurator*in und den Künstler*innen im Boot. Das macht so ein Projekt sehr intensiv, vor allem, wenn man Intervention, respektive Ausstellung sowie Aktion/Performance/Happening als selbstverständliches Sich-Ereignen zusammenbringt und durch ein Symposium auch den diskursiven Anschluss bedient.
Portal Kunstgeschichte: Da Sie ja jetzt doch ein paar kleine Ratschläge formuliert haben, was ja sehr schön ist, möchte ich nochmal weiter fragen: Gibt es aus Ihrer Sicht irgendetwas, wodurch Veranstalter so eine offene Atmosphäre herstellen können? Vielleicht liegt es an mir, aber ich erlebe Interventionen und Happenings eher selten im Museum…
Isabel Hufschmidt: Das war jetzt nur ein Bericht aus der Erfahrung, kein Ratschlag. Nun ja, als Veranstalter sehe ich mich oder das Museum oder den Künstler nicht. Ist ja keine Kirmes. Solche Interventionen sind tatsächlich kein seltenes Gut in den Institutionen. Die haben halt nur nicht bisher so oft mit Sound Art zu tun. Eine offene Atmosphäre stellt man alleine schon dadurch her, indem man einfach macht. Das Publikum verhält sich dazu schon von allein. Das sollte man nicht unterschätzen.
Portal Kunstgeschichte: Während des internationalen Symposium zum Klang in der Kunst »Can You Hear Me Knocking?«, das im Rahmen der Ausstellung »Christian Jendreiko & Gäste. Lust & Rätsel« veranstaltet worden ist, war beispielsweise von einer Verbindung zwischen Klang/Musik und Philosophie die Rede. Manche Menschen machen beispielsweise auch synästhetische Erfahrungen und sehen eine sehr enge Verbindung zwischen visueller und akustischer Wahrnehmung. Wäre es für das Museum Folkwang interessant, Ausstellungen zu solchen Themen zu machen? Und können Sie beschreiben, mit welchen Ausstellungskonzepten sich den Besuchern solche (zunächst unsichtbaren) Verbindungen vermitteln lassen?
Isabel Hufschmidt: Durch »Lust & Rätsel« ist ja bereits ein wichtiger Schritt hin zu dieser Verbindung von visueller und akustischer Wahrnehmung im Museum Folkwang gemacht worden. Aber es gab und gibt da auch schon andere Projekte. Derzeit arbeite ich mit der portugiesischen Choreographin Luísa Saraiva an »The Act of Hearing«, das Sequel des performativen Symposiums »Corporeality«, das im September 2018 im Museum Folkwang stattfand. Für das Thema der »Verkörperung« von »Corporeality« luden wir Choreograph*innen und Tänzer*innen für die Aufführung themenspezifischer Stücke ein, um mit Expert*innen aus Kunstgeschichte, Kunsttheorie, Psychologie, den Neurowissenschaften und der Medientheorie die Aspekte interdisziplinär zu bearbeiten. Die performativen Künste, künstlerische Praxis und Forschung sowie akademische Wissenschaftsgemeinde wurden hier zusammengebracht. Für »The Act of Hearing«, geplant für September 2020, gehen wir nun weiter. Der Körper als hörbares Medium entgegen dem Primat des Sehens steht nun im Fokus. Die eingeladenen Künstler*innen arbeiten transdisziplinär in den performativen und bildenden Künsten zugleich und werden ihre Stücke und Werke in Dynamik mit den Museumsräumlichkeiten vor Ort erarbeiten. Das Museum hat hier nicht einfach die Rolle der übergeordneten Schutzmantel-Madonna, sondern wird zum Gefäß, das sich gleichsam mitformt. Diese Qualität zur Wandlung eines Orts, der sonst als rigide Institution wahrgenommen wird, ist natürlich auch für das Publikum sehr »entspannend«. Wir gehen empirisch vor und wiederum ist die Zusammenführung von medien- wie spartenübergreifender künstlerischer Praxis sowie Forschung und Expert*innen grundlegend, diesmal aus den Bereichen u. a. der Kunstgeschichte, der Medien-, Musik-, Film- und Theaterwissenschaft, der Sound Art/Klangkunst, Philosophie und Psychologie.
Portal Kunstgeschichte: Sie betonen die positive Seite der Veränderung. Meiner Erfahrung nach kann es ein Publikum auch überfordern, wenn es mit zu vielen neuen und unerwarteten Eindrücken konfrontiert wird. Gibt es ein Rezept, wie eine Institution nicht gleich zur »rigiden Schutzmantel-Madonna« wird, aber dem Publikum doch ein klein wenig Orientierungshilfe auf ungewöhnlichen Wegen bieten kann? Oder ist das aus Ihrer Sicht gar nicht nötig?
Isabel Hufschmidt: Wir fesseln ja die Besucher*innen nicht an den Stuhl und befehlen: Schau und hör! Das Publikum ist im Museum frei, sich seinen Parcours, sein Objekt der Aufmerksamkeit selbst zu suchen und sich diesem so lange auszusetzen, wie es ihm gefällt. Die Dosis bestimmt das Publikum also durchaus selbst. Und es ist auch nicht dazu angehalten, sich mit allem, was sich im Museum darbietet, zu beschäftigen. Da ist die Entscheidung frei. Durch diese Freiheit haben wir es nicht unbedingt mit Überforderung zu tun. Im schlimmsten Fall verlässt der Besucher das Haus. Das ist aber dann auch wieder ein anderer Fall, über das sich ein Museum dann tatsächlich Gedanken machen muss. Kann aber passieren. Eben Unzufriedenheit statt Überforderung. Das Museum als im Grunde allen zugänglicher Ort leidet ja nach wie vor an der Frage: kann ich, muss ich allen gefallen? Da mag man schon aufpassen nicht allzu beliebig zu werden und auch nicht allzu viel zu erklären. Zuviel Erklärung blockiert die freie Erfahrung und Entscheidungskraft des Publikums. Die Beziehung zu den Besucher*innen soll auf Augenhöhe gepflegt werden. »Orientierungshilfe« bedeutet da fast schon eine Entmündigung des Publikums, von dem angenommen wird, es sei im Museum direkt bei Eintritt verloren. Das Museum ist ja kein Un-Ort, für den man eine Gebrauchsanweisung nötig hätte. Es will vielmehr ein selbstverständlicher Teil des Alltags sein, in dem das Publikum seine Wahrnehmung erprobt. Wenn es denn will. Auch das Museum liebt Stammgäste und neue Aficionados.
Portal Kunstgeschichte: Die Bundeskunsthalle Bonn bietet seit einigen Monaten die Veranstaltungsreihe »Live Arts« an, die Tanz, Theater, Musik und Performance eine Bühne im Museum bietet. Wäre solch ein Konzept auch für das Museum Folkwang denkbar? Sollten Museen, Galerien und bildende Künstler den Kunstbegriff, und damit auch ihr eigenes Betätigungsfeld, generell weiter denken?
Isabel Hufschmidt: Ich habe die Reihe noch nicht besucht und kann das von der Ferne nicht bewerten. Der Kunstbegriff wird ja ständig weiter gedacht. Aber: Die performativen mit den bildenden Künsten tatsächlich zusammenzubringen und als spartenübergreifendes, transmediales Wahrnehmungsangebot zuzulassen ist ja die eigentliche Leistung, statt sie nur in die Institution als Gastgeber einzuladen, wo sie in vielen Fällen noch separiert, d. h. nur vermeintlich gemeinsam zur Präsentation kommen. Denn schaut man genauer hin, arbeiten die Künstler*innen ja bereits transdisziplinär. Sie sehen die Trennung in ihrer künstlerischen Praxis nicht. Das ist meine Erfahrung. Und die machen auch viele Kolleg*innen. Kuratorisch und institutionell kann man sich da gänzlich drauf einlassen und diese Qualität des »trans« sichtbar und erfahrbar machen.