Ausstellungsbesprechungen

Kunst für Millionen – 100 Skulpturen der Mao-Zeit. Schirn Kunsthalle Frankfurt a. M., bis 3. Januar 2010

Man steht berührt vor der unüberschaubaren Anzahl der Figuren und schwankt zwischen der Faszination für das erzählerisch ausgebreitete Riesenaufgebot und der Skepsis vor einem diktatorischen Kitschepos. Gepriesen wird »Der Hof für die Pachteinnahme« von 1965 als eines der wichtigsten Kunstwerke der chinesischen Moderne. Eine Besprechung von Günter Baumann.

In diesem Zusammenhang ist es interessant, sich vor Augen zu führen, dass keine zehn Jahre nach der Freigabe der vielteiligen Monumentalplastik die Terrakotta-Armee des ersten Kaisers von China, Qin Shi Huang, entdeckt und ausgegraben wurde. International stahl das Grabmal aus dem Jahr 210 v. Chr. mit den realistisch wiedergegebenen Soldaten, spätestens nach der Ernennung zum Weltkulturerbe, dem nur vergleichsweise kleinen Werk aus der Mao-Zeit die Show. In China mag das anders gewesen sein: Dort pilgerte eine ganze Generation bereits während der Schulzeit sowohl hierhin als auch dorthin. Die Formen waren beide Male aus Lehm gebrannt von einem Künstler- bzw. Arbeiterkollektiv – einmal für einen Kaiser, der kraft seines Amtes schon die absolute Macht darstellte, das andere Mal für das Volk selbst, das der Unterdrückung vor der kommunistischen Revolution und der eigenen Befreiung gedenken sollte. Unterschiedlicher könnten die Werke also kaum sein, doch dürfte der Eindruck so weit gar nicht auseinanderliegen.

In sieben Bildern erstreckt sich das »Hof«-Ensemble über fast 100 Meter hinweg (auf 800 Quadratmetern Fläche): In der ersten Szene liefern die Bauern ihre Getreideernte ab; die zweite Szene ist der Gewalt gegen die armen Bauern zugedacht, die folgende Szene den Worflern, die das Korn aussieben; im vierten Bild geben sich die Bauern protestbereit. In der fünften Szene verschärft sich das Unrecht durch den Pächter, der in der sechsten Szene erbarmungslos Mütter von ihren Kindern trennt und die Männer zum Militär zwingt. Erst die siebte Szene lässt der Hoffnung freien Lauf, dass die Bauern diese Ausbeutung und Nötigung nicht mehr länger dulden werden. Weit über hundert lebensgroße Figuren haben Lehrer und Schüler der Suchuan-Kunstakademie in Chongqing gemeinsam mit lokalen Künstlern geschaffen. Die kunstpolitischen Vorgaben stammten von Mao Zedong, die Technik griff auf die Trockenlehmplastik des Mittelalters zurück, das Personal entsprach dem Ideal des einfachen Handwerkers. So hatte das Opus das Zeug zum Muster- und Vorzeigewerk zu Zeiten der chinesischen Kulturrevolution. Um es auch wirklich vorzeigen zu können, erstellte man in den 1970ern eine transportable verkupferte Fiberglaskopie, die nun auch in Frankfurt zu sehen ist.

Inzwischen sind auch die Schattenseiten des Werks benannt worden: Während es für manche Offiziellen zur Entstehungszeit nicht deutlich genug die herrschende Doktrin verkörperte und sie mehr revolutionären Geist einforderten, hört man heute zaghaft kritische Stimmen, dass es dieser Geist mit der Wahrheit nicht immer allzu genau genommen habe, und dass die Scharzweiß-Überhöhung zum Teil schwer erträglich sei. Dennoch kann man die technisch-handwerklichen Fertigkeiten nur bewundern – was auch das Hauptziel der Ausstellung zu sein scheint, die den sozialhistorischen Kontext weitgehend ausblendet. Die Frankfurter Schirn schließt damit an die Zeit an, als Harald Seemann versuchte, das epochale Werk für die fünfte Documenta 1972 zu holen – um es im Westen überhaupt einmal bekannt zu machen. Max Hollein selbst, der für die Frankfurter Schau verantwortlich zeichnet, stieß indirekt 1999 auf die Figurengruppe, als er eine sogenannte Reinterpretation des Künstlers Cai Guo-Qiang auf der Biennale in Venedig gesehen hatte. Mittlerweile wird die drastische Charakteristik der Gruppe als Pendant zur Figurenwelt eines Charles Dickens gehandelt.

Nachdem die chinesische Kunst der Moderne insgesamt durch viele Ausstellungen gut dokumentiert ist und die vergangene Frankfurter Buchmesse mit ihrem Schwerpunktthema noch einmal – und leider nicht immer souverän – das Riesenland im fernen Osten auf die Tagesordnung der Kultur gebracht hat, werden mindestens zwei Kunstpositionen übers Jahr hinaus im Gedächtnis bleiben: das Schaffen Ai Weiweis und »Der Hof für die Pachteinnahme«, und es ist sicher kein Zufall, dass damit ein subversives, ein regimekritisches und ein vom chinesischen Staat als Lehrstück abgesegnetes Werk stellvertretend für diese außerordentlich reiche Kulturnation stehen.

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