Ausstellungsbesprechungen

Kunst und Textil. Stoff als Material und Idee in der Moderne von Klimt bis heute, Staatsgalerie Stuttgart, bis 22. Juni 2014

Die reduzierte Fassung der Wolfsburger Ausstellung ist nach Stuttgart umgezogen. Und obwohl die Ausstellung verkleinert wurde, gibt es doch neues zu entdecken, denn immerhin ergänzt die Staatsgalerie die Schau durch eigene Stücke! Also mehr als nur ein Abklatsch. Günter Baumann hat sich das Ganze einmal angesehen und ist begeistert.

Weniger ist mehr. Wer eine Vorstellung davon hatte, wie groß die Wolfsburger Ausstellung zu »Kunst & Textil« war, kam eventuell mit verhaltener Erwartung nach Stuttgart, um die übernommene, wenn auch verknappte Schau anzuschauen. Zugegeben, eine bestrickende Begegnung mit Chiharu Shiotas »During Sleep« wäre schön gewesen. Und überhaupt ist das Thema nahezu unerschöpflich, es würde immer etwas fehlen. Und dann die Überraschung: Die Ausstellung in ihrer Stuttgarter Präsentation gehört zum schönsten Erlebnis in der diesjährigen Stuttgarter Ausstellungsszene.

Das Leitsystem drängt sich nicht auf, aber in einer klaren Linie wird der Besucher an das Thema herangeführt, besser: vom ersten Bild an ins Thema hineingezogen. Außereuropäische Teppiche kommunizieren mit Bauhaustextilien, kultige Gewänder fremder Kulturkreise treten in Dialog mit dem Filzmantel von Beuys. Aber nicht nur die Korrespondenzen unter den Artefakten machen das Faszinosum der Ausstellung aus. Dazu trägt auch der Eindruck bei, dass der Museumsgast als Flaneur einem geistigem Raum bewohnt, der vergessen macht, dass hier Jahrtausende überwunden werden, die vielfältigsten Stile gepflegt und zuweilen – man denke an die Bronzespinne von Louise Bourgeois – auch das Fürchten gelehrt wird. Sensationelle Exponate hängen und stehen bereit: einfaches anonymes Gewebe, hochkomplexe, kaleidoskopartige Monumentalformate von Gerhard Richter, oder Lenore Tawneys filigrane Cloud Sculpture, die den Besuchergeist in tiefe Verwirrung stürzt, wie man diese Fadeninstallation an die Decke bringt – da sind Shiota & Co. Vergessen.

Die Ausstellung ist interdisziplinär und sie ist multimedial, aber nie als aufgesetzte Attitüde vors Auge gebracht, sondern mit einer Hingabe und wachen Präsenz inszeniert, dass es eine Wonne ist, sich mit einem Medium eins zu wissen, dem man möglicherweise aus ethnologischem Blickwinkel eine solche universelle Rundreise-Option im Zeitraffer und auf vergleichsweise kleinem Raum nicht zugetraut hätte. Wer in die Ausstellung hineingeht, kommt als anderer Mensch heraus: Die rund 100 Arbeiten von über 40 Künstlern weben im Gehirn des Betrachters weiter, wenn man im Nachklang die bunten Fantasie-Engel einer Yinka Shonibare oder den Textilberg von Bharti Kher im Gedächtnis Revue passieren lässt. Und ins Staunen kommt man nicht zuletzt, wenn man erfährt, dass so viel Künstler vom Jugendstil über das Bauhaus und später die Fluxus-Bewegung bis hin zur Soft Art und zu den »Spiderwomen« Bourgeois, Trockel und andere in ihre Werke einbezogen haben.

Später, als der Geist es bewusst wahrnimmt, ahnt man beim Eintauchen in die stoffhaltige Schau, dass die gemalte Leinwand nicht ohne Grund Lein-Wand heißt – und prompt steht man vor einem Schlitzbild von Fontana. Wolfsburg hatte doppelt so viel Platz wie Stuttgart, doch Stuttgart hat sogar noch Werke aus den eigenen Beständen in die gut und gern halbierte Präsentation integriert. Dies ist mit souveräner Hand gelungen. So ist die übernommene Arbeit eine Meisterleistung der Staatsgalerie geworden. Wer den für Wolfsburg konzipierten Katalog als Ergänzung mitnimmt, kommt zudem in den Genuss einer grandios aufgearbeiteten Thematik.

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