KunstGeschichten

KunstGeschichte: Der Kunstpreis

Kunstpreise werden manchmal scheinbar ungerechtfertigt vergeben und so liegt oft der Gedanke von Manipulation nahe. Erich Wuth erzählt Ihnen mit einem Augenzwinkern von so einem Fall.

Es ist erstaunlich, wie sehr sich die Bevölkerung in und um Wien künstlerisch betätigt. Irgendetwas dürfte damit schon dran sein an dem Glauben, dass es in und um Wien so etwas wie eine künstlerische Atmosphäre gäbe. Nicht umsonst haben europäische Größen wie Beethoven oder Brahms Wien zu ihrer Wahlheimat gemacht.

Aber vielleicht gilt das nur für die Musik. Goethe war nicht hierher zu locken. Und auch die bedeutendsten Maler begnügten sich meistens mit kurzen Aufenthalten.
Dafür produziert gerade in der Malerei die einheimische Bevölkerung in ihrer Freizeit wirklich Erstaunliches! Hauptsächlich im „Speckgürtel“ rund um Wien, in dem die Bevölkerung meist nicht gerade von der Sozialhilfe lebt, haben Malerei und Kunsthandwerk noch einen hohen Stellenwert als Freizeitbeschäftigung.

In meiner Heimatgemeinde Maria Enzersdorf am Gebirge finden alljährlich im November die Kulturtage im Schloss Hunyadi statt, die mit einer umfangreichen Ausstellung aufwarten können. Was da ein engagierter Vizebürgermeister und Kulturgemeinderat sowie eine aufgeschlossene Bürgermeisterin zustande gebracht haben, ist echt sehenswert!
Aber ich will Ihnen von einer anderen Gemeinde erzählen, die vor einiger Zeit einen Preis für das beste Kunstwerk des Ortes ausgeschrieben hat.

Da ich aber von den dort ansässigen Bürgern nicht unbedingt ein „bucklerter Hund“ genannt zu werden wünsche, soll allerdings der Name des Ortes diskret verschwiegen werden. Nur so viel: Die Gemeinde liegt keine zehn Kilometer von Wien entfernt.

Bürgermeister war damals Herr Benjamin Koller von der ÖVP. Allerdings benötigte Herr Koller einen Partner, um die nötige Mehrheit im Gemeinderat zustande zu bringen. Es gab aber keine fixe Koalition, Bürgermeister Koller suchte sich seine Unterstützer jeweils nach dem Vorhaben. Meist stimmte die SPÖ mit der ÖVP mit, denn erstens war deren Chef Marc Laibacher mit Benjamin Koller seit der Schulzeit befreundet und zweitens gab es ja auch im Bund die große Koalition. Das war dann auch für die Gemeinde ein gangbarer Weg.

Die Debatten im Gemeinderat wurden nie heftig. Probleme von ernsthafter Natur gab es in der Gemeinde nicht. Die Grünen verhielten sich zahm, lediglich Franz Leitmeritzer von der FPÖ entgleiste manches Mal verbal und beschimpfte seine Kollegen. Einmal schlug ihm der Gemeinderat Laibacher vor, die Partei doch in NPÖ umzubenennen. Freiheitlich wäre da nämlich gar nichts im Parteiprogramm, nur national und kleinkariert!

Gemeinderat Leitmeritzer war nämlich dagegen, das am Rand des Ortsgebiets liegende Schlösschen am Biberteich zu einem Ausflugslokal umzugestalten. Dann kämen eventuell Fremde in den Ort, warnte er. Und nicht nur die hochnaserten Wiener, sondern möglicherweise auch „Piefke“[1], „Flachlandtiroler“[2], „Kasstecher“[3], „Katzelmacher“[4] und andere.

Man warf ihm vor, dem Fremdenverkehr gegenüber feindselig eingestellt zu sein. Leitmeritzer widersprach. Er habe gar nichts dagegen, wenn die Fremden Geld überwiesen, nur selber her kommen bräuchten sie nicht!

Das Schlösschen wurde trotzdem ausgebaut. Und dann sanierte man noch die Zufahrtsstraße und an deren Abzweigung von der Hauptstraße baute man natürlich einen Kreisverkehr. Ein Ort, der etwas auf sich hält, braucht so was heutzutage!

Die öffentliche Ausschreibung für die Errichtung des Kreisverkehrs gewann eine Baufirma aus der Region, die sehr günstig angeboten hatte und über einen erstklassigen Anwalt verfügte. Denn hinterher wurde alles wesentlich teurer und die Verträge waren so raffiniert formuliert, dass die Gemeinde blechen musste.
Da hatte man aber schon die Budgeteinsparung, die das Projekt „Kreisverkehr“ hätte bringen sollen, als Kunstpreis ausgelobt.

Wer ursprünglich die Idee hatte, ließ sich hinterher nicht mehr feststellen. Jedenfalls war der Herr Bürgermeister Koller begeistert und er gewann sogar die Zustimmung aller Parteien, im Foyer des Gemeinderates die Bilder der Bevölkerung auszustellen. Die Besucher der Ausstellung hätten mittels eigens aufgelegter Abstimmkarten das beste Kunstwerk zu wählen, das dann für den Gemeinderatssitzungssaal angekauft werden sollte. Und außerdem erlaubte die Kalkulation für die Errichtung des Kreisverkehrs als zusätzlichen Preis eine Woche Urlaub an der Türkischen Riviera für zwei Personen.

Der Bürgermeister war schon deshalb von der Idee des Kunstpreises begeistert, weil er daheim Probleme hatte. Die Ehe mit seiner Frau Gabriele bestand eigentlich nur mehr auf dem Papier. Aber eine Scheidung kam für Benjamin Koller vor seiner nächsten Wiederwahl nicht in Frage. Deshalb bestand die Ehe zwar noch, aber jeder der beiden Partner ging längst seine eigenen Wege und der Weg des Bürgermeisters tendierte eindeutig zu einer jungen Dame namens Bettina Witte.

Bettina arbeitete in einem Ministerium in Wien und versuchte dort seit langer Zeit vergeblich, sich ihren Chef, einen Ministerialrat, zu angeln. Der Ministerialrat zog es aber – völlig unzeitgemäß – vor, seiner Frau treu zu bleiben und die recht attraktive Bettina „stand auf der Seife“, wie man hierzulande das vergebliche Bemühen treffend umschreibt.

Zwar versuchte der Bürgermeister seinerseits, die Frau Witte zu einem Schäferstündchen zu überreden, aber die Redegewandtheit eines Regionalpolitikers reichte in diesem Fall nicht aus. Frau Witte hatte die Hoffnung auf den Ministerialrat, schon allein der Höhe seines Gehaltes wegen, immer noch nicht aufgegeben.

Für die Wartezeit, die sie jetzt noch als allerletzte Frist zugeben wollte und die nicht mehr lang dauern sollte, benahm sich Bettina sehr korrekt und achtete darauf, dass niemand im Ort ihr irgendwelche Verhältnisse nachsagen konnte. Sie hatte sich ein ernsthaftes Steckenpferd, die Malerei, zugelegt und betrieb ihr Hobby mit großem Eifer.

Dabei malte sie gar nicht übel! Aber so richtige Meisterwerke, die einem vom Sessel rissen, waren die Blumenarrangements, auf die sie sich spezialisiert hatte, nicht. Zwar hübsch, aber ohne das gewisse Extra, das echte Kunstwerke auszeichnet.

Selbstverständlich besuchte der Bürgermeister Frau Witte noch am selben Abend, nachdem der Beschluss des Gemeinderats gefasst worden war.
„Frau Witte, ich hoffe doch sehr, dass Sie sich an dem Malwettbewerb beteiligen werden! Sie sind ja die Einzige hier in der Gemeinde, die das Talent hat, den Wettbewerb zu gewinnen!“
Bettina lachte. „Und der Tomaschitz mit seinen abstrakten Schmierereien? Und die Happel mit ihrer klerikalen Hinterglasmalerei?“
„Das sind doch keine Konkurrenten für Sie, Frau Witte! Nein, i bin sicher, Sie g'winnen den Preis! Eine Woche Türkeiurlaub inklusive Flug! Überlegen Sie sich schon, wen S' mitnehmen werden! Ist für zwei Personen.“
„I bin Single, das wissen S' ja, Bürgermeister!“
„Na, umso besser! Da haben S' mehr Auswahl! Also ich würd' sehr gern mit Ihnen mitkommen.“
„I g'winn doch sowieso nix. I hab ka Glück.“
„Das wird sich noch herausstellen“, sagte der Bürgermeister in amtlichem Tonfall. „Und i stimm ja auch mit! Übrigens die ganze Gemeinde stimmt mit. Vertrauen S' mir: Sie gewinnen den Urlaub in der Näh' von Antalya! Kommen S'. Suchen S' doch a paar Bilder aus für die Ausstellung!“

Obwohl Bettina sehr skeptisch war, suchte sie insgesamt vier Ölgemälde heraus. Unter anderem die relativ großformatige Darstellung einer prächtigen Orchidee inmitten eines Gestecks blühender Obstbaumzweige.
Bürgermeister Koller nahm die Bilder gleich mit und brachte sie ins Gemeindeamt.
Zwei Wochen später wurde die Ausstellung „Kreative Bürgerschaft“ eröffnet. Insgesamt etwa vierzig Gemälde hatte man im relativ kleinen Foyer des Gebäudes untergebracht und Bettina Wittes Orchidee hing an einem zentralen Platz, dem Eingang direkt gegenüber.

Mittlerweile hatte man auch den Bewohnern die Stimmkarten zugesandt. 3.089 ordnungsgemäß gemeldete Bewohner des Ortes hatten 3.089 Stimmkarten erhalten. Abzugeben waren diese Dinger natürlich persönlich im Gemeindeamt. Immerhin sollte die Bevölkerung die Gemälde wenigstens einmal sehen, bevor abgestimmt wurde. Der verschlossene Holzkasten, in den man die ausgefüllten Karten werfen sollte, befand sich direkt unter dem Orchideengemälde der Frau Witte.

Bürgermeister Koller hatte natürlich den Schlüssel für den Abstimmkasten. Und nachdem die Gemälde eine Woche lang im Foyer zu besichtigen gewesen waren, konnte er die Spannung nicht länger ertragen und öffnete die hölzerne „Wahlurne“.

Er war eigens am Freitagabend noch einmal ins Gemeindeamt gekommen. Denn eigentlich sollte die Abstimmurne bis zum Ende der Ausstellung nicht geöffnet werden. Aber so ganz kleine Sonderrechte konnte man als erster Mann im Dorf wohl beanspruchen.
Recht enttäuscht nahm er die etwa 150 abgegebenen Stimmkarten heraus und begab sich damit in sein Büro im ersten Stock. Das waren ja nicht einmal fünf Prozent der Bevölkerung, die da abgestimmt hatten! Ignorantes Pack! Und da wollte er behaupten, seine Gemeinde wäre an Kultur interessiert?

Koller begann, die Karten zu sortieren. Die ersten vier waren für Bettina Witte, dann folgten zwei für die Happel und dann folgten fünf Stimmkarten für die alte Rosa Fuchs. Langsam entstanden so einige Stapel von Stimmkarten.

Erstaunlicherweise wuchs der Stapel mit den Stimmen für die alte Vettel Rosa Fuchs. Die Witwe hatte einige bemalte Tonschüsseln zum Gemeindeamt gebracht. Auf allen waren entweder Vögel oder Eichhörnchen zu sehen. Etwas anderes konnte die alte Fuchs nicht malen.
Das gab es doch nicht!

Hatten die Bewohner der Gemeinde tatsächlich einen so primitiven Geschmack? Amseln, Kohl- und Blaumeisen, Eichkatzeln? Noch dazu auf einfachen weißen Obstschalen, kleinen tönernen Vasen und ähnlichem Geschirr?

Da hätte die alte Fuchs wenigstens Nachttöpfe bemalen können! Aber der Bürgermeister war wenigstens so ehrlich, sich einzugestehen, dass Eichkätzchen und Vögel zu Nachtscherben keinen logischen Bezug hatten.

Verdammt, warum hatten nicht mehr für Bettina gestimmt? Ihre Blumenarrangements waren immerhin hübsch anzuschauen! Überdies hatte er selbst ja Bettina prophezeit, sie werde den Wettbewerb gewinnen!
Nein, da musste eingegriffen werden. Subtil und diskret zwar, aber die alte Fuchs durfte nicht als Siegerin hervor gehen!

Na ja, man musste natürlich sicher sein, dass sich die Sache auch lohnte! Würde die Witte ihn als Reisebegleiter überhaupt akzeptieren?
Bürgermeister Koller rief Frau Bettina Witte an.

Diese hatte einen äußerst schlechten Tag im Büro gehabt und war soeben dabei, sich den Frust von der Seele zu malen.
Dabei hatte sie lediglich ihrem Ministerialrat einen Kaffee serviert und da es ein warmer Tag gewesen war, hatte sie ihr großzügiges Dekolleté dem Herrn Ministerialrat ziemlich eindeutig vor die Nase gehalten. Worauf ihr Chef folgende Bemerkung machte: „Meine liebe Frau Witte, ich weiß Ihre körperlichen Vorzüge durchaus zu schätzen. Aber bedenken Sie bitte, dass mein Privatleben ganz vorzüglich ist und ich Sie deshalb ersuchen möchte, Ihre zweifellos attraktiven Milchdrüsen etwas besser im Zaum zu halten.“

Bettina Witte hatte es daraufhin aufgegeben. Sie hatte sich einen dünnen Rollkragenpullover übergezogen und war trotz der Hitze den ganzen Tag so herum gelaufen.
Schon auf der Heimfahrt von Wien hatte sie überlegt, dass ein Bürgermeister zwar einem höheren Ministerialbeamten keineswegs gleichzustellen war, aber Bürgermeister Koller immerhin ein ganz fescher Kampel wäre und auch Interesse an ihr gezeigt hätte. War zwar sicher nur ein kurzes Abenteuer mit dem, aber warum nicht? Also? Es hatte ja offenbar keinen Sinn mehr, dem Chef um den Bart zu gehen...

Als Bürgermeister Koller anrief, war Bettina die Liebenswürdigkeit in Person. „Was, Sie sind noch im Büro, Herr Bürgermeister? So viele Probleme in der Gemeinde?“
„Nur der Malwettbewerb. Ich hab g'rad Zwischenbilanz g'macht.“
„Und wer führt? Der Tomaschitz oder die Happel?“
Koller druckste ein bisschen herum. Dann beschloss er, doch die Wahrheit zu sagen: „Sie werden sich wundern, aber die alte Witwe Fuchs mit ihren Vogerln und Eichkatzerln auf Vasen und Schüsseln! Aber ich sorg' schon noch dafür, dass Sie g'winnen. Da fehlen noch ein Haufen Stimmen und den Leuten werd' ich schon noch in' Arsch treten, damit die für Sie stimmen. Und dann fliegen wir zwei nach Antalya. Würden S' mich denn unter Umständen mitnehmen?“
„Sie sind doch verheiratet, Bürgermeister!“
„Nicht mehr lang. Die Gabi, meine Frau hat sich schon lang den Wondrak ang'lacht, den blonden Wappler vom Kabelwerk. Wir bleiben nur noch z'samm' bis zur nächsten Wahl. I hab 'glaubt, Sie wissen das.“

Bettina hätte beinahe einen Freudenschrei los gelassen. Sie hatte zwar schon Gerüchte über die Ehe des Bürgermeisters gehört, aber diese als „Propaganda der Opposition“ abgetan.
„Na ja, dann hab i nix dagegen“, sagte sie leichthin.
„Wirklich? Wunderbar! I zahl die Reise für mich natürlich privat! I lass mi doch net von den Roten oder den Grünen zerlegen! Und die FPÖ plärrt dann bestimmt was von Korruption und will ein' Untersuchungsausschuss! Da muss man ganz schön aufpassen, mit den Politikern! Alles Gfraster!“
„Und wie wollen S' das machen, dass d' Leut für mich stimmen?“

Benjamin Koller war nach der positiven Antwort der Bettina in Hochstimmung. „Na ja, is net leicht zu erklären“, sagte er. „Aber wenn S' wollen komm ich bei Ihnen vorbei und versuch's.“
„I hab a Bouteille Blauburgunder z' Haus“, sagte Bettina.
„Na, großartig! Da könn' ma anstoßen auf Antalya. I komm gleich!“
Bettina zog daraufhin ihre Bluse von heute wieder an. Der Bürgermeister würde wohl nicht so prüde reagieren wie der Ministerialrat.

Am folgenden Montag im Gemeindeamt war der Ortschef blendender Laune.
Jetzt ging es zunächst einmal darum, die Bewohner des Ortes zur Abstimmung zu mobilisieren. Den ganzen Tag lang telefonierte Bürgermeister Koller. Mit dem Pfarrer, den drei Ärzten, dem Tierarzt, dem Apotheker, dem Leichenbestatter, den Filialleitern der beiden Supermärkte und natürlich allen seinen Bekannten. Jedes Mal äußerte er die Bitte, zur Abstimmung zu kommen und, wenn möglich für Frau Bettina Witte zu stimmen. Ihr Gemälde mit der Orchidee und den Blütenzweigen würde so gut in den Gemeinderatssitzungssaal passen! Die anderen Gemälde wären allerdings unattraktive Schmierereien, die der Gemeinde nicht würdig wären.
Und dann konnte Benjamin Koller nur mehr abwarten.

Am Mittwoch blieb er wieder einmal länger im Büro. Als alle Mitarbeiter weg waren, öffnete er wieder die Kiste mit den Wahlkarten.
Diesmal waren es wesentlich mehr. Seine Anrufaktion hatte also Früchte getragen.
Es dauerte beinahe eineinhalb Stunden, bis die Karten alle sortiert waren. Und der höchste Stapel war der zugunsten von Herrn Tomaschitz mit seinen surrealen Klecksereien! Bettina Witte lag knapp dahinter und die alte Fuchs mit ihren Vogerln und Eichkatzerln war mittlerweile auf Platz drei „abgehängt“ worden.
Der Bürgermeister fluchte wie ein Pirat.

Als er die Stimmkarten sorgfältig mischte bevor er sie in die Kiste zurück warf, kam ihm die Idee, wie dem Debakel doch noch zu begegnen wäre.
Am Donnerstag wanderte der Bürgermeister durch seinen Ort. Zu Fuß und an jedem Haus läutete er an. Er kam sich dabei vor, wie ein Hausierer. Aber die meisten Leute waren ohnehin nicht zu Hause. Nur wenige alte Leute traf er an und fragte sie nach den Stimmkarten, die für den Kunstwettbewerb ausgesandt worden waren.

Bis zum Mittag hatte Koller ganze sechs Karten ergattern können. Viele Bürger hatten sie einfach weg geschmissen, manche fanden die Karten nicht mehr – und allen gemeinsam war die Tatsache, dass ihnen der Kunstwettbewerb „völlig wurscht“ war. Eh egal, wessen Bild da für's Gemeindeamt angekauft werden würde. So was hätte bestimmt keinen Einfluss auf die Politik im Ort.

Am späten Nachmittag kehrte Benjamin Koller in sein Büro zurück. Dreizehn Abstimmkarten hatte er. Er kreuzte all bei Bettina Witte an und warf sie in den Abstimmkasten. Morgen am Abend sollte die Auszählung der Stimmen erfolgen, wobei die Gemeinderäte Leitmeritzer (FPÖ), Laibacher (SPÖ) und die Grüne Martha Windisch ebenfalls anwesend sein sollten. Also wären alle gewählten politischen Parteien vertreten.
Und plötzlich kam dem Bürgermeister eine Idee!
Er wartete wiederum, bis das Gemeindeamt von seinen Mitarbeitern verlassen worden war und dann machte er „Überstunden“.

Es dauerte ziemlich lange, bis er im Keller die Restbestände des dünnen, weißen Kartons gefunden hatte, auf dem die Abstimmkarten gedruckt worden waren. Dann öffnete er die Kiste mit den abgegebenen Stimmen, überklebte bei einer der Karten das Kreuzchen darauf und schließlich scannte er die Stimmkarte in seinem Computer ein.

Es funktionierte einwandfrei. Nur das Ausdrucken der gefälschten Stimmkarten war recht langwierig. Aber nach einer halben Stunde waren zwanzig davon fertig und Benjamin Koller kreuzte Bettina Witte an.

Nach einer Stunde ging dem Drucker die Tinte aus. Der Bürgermeister fluchte ausgiebig über seinen ehemaligen Schulkollegen Laibacher, der diese idiotischen Farben auf den Abstimmkarten angeregt hatte. Schwarzweiß-Druck wäre einfacher gewesen.

Also suchte der Bürgermeister die nötigen Druckpatronen, konnte sie aber nicht finden. Schließlich gab er die Suche auf. Morgen sollte die Sekretärin, die Weinzierl, die Patronen wechseln und dann konnte er vielleicht noch ein paar Karten drucken und in den Abstimmkasten schummeln.

Am Freitag, dem letzten Tag, an dem man Stimmkarten in die Box werfen konnte, war der Bürgermeister dauernd in Hochspannung. Nachdem Frau Weinzierl die Farbpatronen in Kollers Drucker ausgetauscht hatte, druckte Benjamin immer wieder klammheimlich die am Vortag eingescannten Stimmkarten. Mehrmals am Tag ging er hinunter ins Erdgeschoß und schmiss einen Stapel Stimmkarten in die Box, wobei er höllisch aufpasste, dass ihn niemand dabei beobachtete. Zu zählen, wie viele gefälschte Stimmen er so produzierte, hatte er bereits am Mittag aufgegeben.

Mit Spannung erwartete er dann die anderen Gemeinderäte, die als Zeugen bei der Auszählung der Stimmen dabei sein sollten.
Um 15 Uhr schloss das Gemeindeamt und dann tauchte als erste die grüne Gemeinderätin auf. Kurz hinter Frau Windisch kamen Laibacher und Leitmeritzer. Und dann wurde der Abstimmkasten geöffnet.

Eine gewaltige Menge von Abstimmkarten purzelte heraus! Leitmeritzer war über die so überaus rege Beteiligung der Bevölkerung höchst verwundert. Sollte die Bevölkerung doch so sehr an Kunst und Kultur interessiert sein? Dann war es höchste Zeit, dass man dem Parteivorsitzenden Strache vorschlug, etwas in dieser Richtung auf die Beine zu stellen.
Und dann begann die Zählerei. Wie es schon der Bürgermeister heimlich getan hatte, wurden die Karten zu Stößen aufgeschichtet. Der Stapel mit den Stimmen für Rosa Fuchs wuchs und wuchs.
Bürgermeister Koller konnte nicht länger zusehen. Es schien, als ob Bettina Witte das Rennen nicht machen würde. Himmelfixkruzitürken noch einmal!

Der Bürgermeister verließ heimlich seinen Amtssitz und ging hinüber zum Fasanenwirt. Dort beruhigte er seine Nerven mit einem Magenbitter und einem Krügel Bier.
Und als er ins Gemeindeamt zurückkehrte, hörte er den Gemeinderat Leitmeritzer in ziemlicher Wut herum brüllen.

„Das wird ein parlamentarisches Nachspiel haben! Am Montag informiere ich den Rechnungshof und die Staatsanwaltschaft! Na, H.C. Strache wird sich freuen über die kriminellen Verhältnisse in Österreich! Skandal! Unverschämtheit! Korruption! Wahlbetrug! Der Bürgermeister ist ganz einfach rücktrittsreif!“
Die grüne Gemeinderätin Windisch informierte den Bürgermeister. „Der soll sich nix antun, der Kollege Leitmeritzer! Vielleicht war er's selber!“
„Was ist denn los?“, fragte Koller beunruhigt.
„Eh nix. Halt 3.228 abgegebene Stimmen bei 3.089 stimmberechtigten Bürgern. Da hat einer was gedreht. Vielleicht eh der Leitmeritzer, damit er was zum protestieren hat!“
Man zählte noch einmal nach.
Es stimmte. Und gewonnen hatte die alte Rosa Fuchs mit ihren Vogerln und Eichkatzerln, allerdings knapp vor Bettina Witte.

Es ist übrigens nie heraus gekommen, dass der Bürgermeister die Wahl manipuliert hatte. Ein anderer musste es ja auch getan haben. Warum aber jemand Stimmen für die alte Fuchs in so großer Anzahl in die Box geschmissen hatte, blieb für immer ein Geheimnis. Es musste jedenfalls jemand sein, dem Computer und Drucker zur Verfügung standen, sonst hätte er die Stimmkarten nicht fälschen können. Gemeiderat Leitmeritzer von der FPÖ war übrigens mit der alten Fuchs weitschichtig verwandt, aber auf solchen vagen Indizien soll man schließlich keine Anklage aufbauen. Und außerdem, hätte sich der Freiheitliche dann wohl so sehr aufgeregt?
Franz Leitmeritzer setzte schließlich eine außerordentliche Gemeinderatssitzung durch. Dringend! Die Gemeinderäte wurden telefonisch zusammen getrommelt und die Sondersitzung konnte bereits am Dienstag stattfinden.

Der Kunstwettbewerb wurde für ungültig erklärt. Wegen Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe. Der Gemeinderat kaufte zwar eine Obstschale mit Eichkatzerl von Frau Rosa Fuchs und die Orchidee mit Blütenzweigen von Bettina Witte an, sozusagen als Anerkennung für die Künstlerinnen, der Aufenthalt in der Türkei wurde allerdings nicht vergeben, was dem Budget der Gemeinde sehr gut bekam.

Zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss kam es nicht. Die FPÖ hatte im Bezirksblatt genug Stoff, um die ÖVP anzugreifen und benutzte dieses Material ausgiebig. Und Bürgermeister Benjamin Koller bezahlte den Flug mit Bettina Witte nach Antalya privat. Und sie blieben gleich zwei Wochen dort, anstatt der ursprünglich vorgesehenen einen.
Und so ist eigentlich gar nichts Böses passiert. Denn an der Wiederwahl von Benjamin Koller wird nicht gezweifelt und Bettina Witte freut sich bereits auf ihre künftige Rolle als First Lady in der Gemeinde.

Anmerkungen

[1] Deutscher
[2] Holländer
[3] Schweizer
[4] Italiener

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