KunstGeschichten

KunstGeschichte: Unterweltmäuse

Das tatsächliche Ausmaß der Wiener Unterwelt kennt wohl niemand. Anlässlich eines hohen Staatsbesuchs soll Inspektor Theodor Wallner mit seiner Hündin Theresia in den Gängen unter der Hofburg nach Sprengstoff suchen. Den findet er hier zwar nicht, dafür aber anderes hochbrisantes Material.

Wenn die Republik Österreich von einem ausländischen Staatsgast besucht wird, findet immer eine militärische Zeremonie in der Hofburg statt: Das Abschreiten der Ehrenkompanie.
Diesmal war es ein afrikanischer Gast, der Präsident eines Staates in der zentralen Sahel-Zone.
Aber ungeachtet dessen, dass der Gast in die Rubrik „nicht wichtig“ fiel, war eine gründliche Überprüfung der Umgebung des militärischen Empfangs notwendig. Das schrieb schon das Protokoll vor.

So war auch diesmal schon am frühen Morgen eine Sondereinheit der Polizei damit beschäftigt, die Räume der Hofburg um den Platz „In der Burg“ zu untersuchen. Immerhin war der Besucher Sunnit und die Schiiten seines Landes hätten den „Ungläubigen“ mit Vergnügen durch ein kleines Bömbchen in seine Bestandteile zerlegt.

Auch Gruppeninspektor Theodor Wallner und seine Hündin Theresia waren im Dienst. Theresia war eine ausgebildete Sprengstoffhündin, Rasse deutscher Schäferhund, und sie erschnüffelte so ziemlich alles, was explodieren konnte.

Um etwa sieben Uhr früh hatte Theo den gesamten Platz „In der Burg“ abgesucht, ohne auf Anzeichen von Sprengstoff zu stoßen. Jetzt sollte er noch die Kellerräume, die an den Platz angrenzten, untersuchen. Zu diesem Zweck stieg er den Abgang im Trakt der Hofkanzlei hinunter.

Wien ist eine Stadt mit mehreren Ebenen. Besonders die Innenstadt geht mehrere Etagen in das Erdreich hinein. Da gibt es die Katakomben von Sankt Stephan und die von Sankt Peter, die sich an mehreren Punkten berühren, aber nicht vollständig bekannt sind, und dann ist da noch die Hofburg, deren Kellergänge weit über die Ringstraße hinausreichen, zum Teil unter den Hofstallungen, dem modernen Museumsquartier, verlaufen und bis zur Stiftskirche im siebenten Bezirk reichen. Und dann gibt es auch noch eine ganze Anzahl von türkischen Minenstollen, die 1683 angelegt wurden und die Kurtine, die alte Stadtmauer in die Luft sprengen hätten sollen. Und außerdem sind die alten Keller der Privatgebäude in der Innenstadt zumeist untereinander verbunden. Aber all die unterirdischen Gänge haben eines gemeinsam: Kein Mensch kennt deren gesamte Ausdehnung.

Zwar wurden die Keller der Hofburg mehrfach Umbauten unterzogen, es wurden sanitäre Einrichtungen nachträglich eingebaut und kilometerlange Kabel und Rohre verlegt, ja es gibt sogar ganz offiziell eine unterirdische Verbindung vom Bundeskanzleramt zur Präsidialkanzlei und einen Fluchtstollen, der von der Hofburg bis in die Stiftskaserne führt (unter teilweiser Einbindung der U-Bahnlinie U3), aber die komplette Struktur der Kellergänge kennt eigentlich niemand.
Theo stieg also hinunter und wies Theresia an, nach Sprengstoff zu schnüffeln.

Zuerst kamen Theo und Theresia in einen relativ modernen Raum, dessen Wände fast neu gestrichen waren und der eine ganze Menge elektrischer Schaltkästen enthielt. Dort wurde die Hündin unruhig. Theo wollte schon Alarm schlagen, da entdeckte er den Grund von Theresias Unruhe: Hier waren Katzen!

In einem Winkel des doch recht großen Kellerraumes öffnete sich ein schmaler und sehr niedriger Durchlass, offenbar in einen der Nachbarräume. Dort scharrte Theresia und winselte ein bisschen. Und plötzlich schrie die Hündin auf.
Beleidigt kehrte sie zu Theo zurück und quietschte. Da sah Theo im schlechten Kellerlicht, dass seine Theresia eine über die Nase gekriegt hatte. Hinter ihrer schwarz glänzenden Nasenspitze zog sich ein dünner, rötlicher Streifen.
„Arme Theres“, sagte Theo bedauernd. „Welches Mistviech hat dir denn eine übergezogen? Ist doch eine Schweinerei, so was!“

Da sah das aggressive Viech auch schon aus dem Loch hervor, das da in der Wand war. Es war eine rotbraune Katze mit einem dicken Hals, der fast wie eine Mähne aussah. Das Miststück wirkte beinahe wie ein kleiner Löwe!

Theresia hatte das Tier auch gesehen. Ihre Nase tat zwar weh, sie sagte sich aber offenbar, dass es einem Katzenvieh nicht zustand, einem Polizeihund im Dienst die Schnauze zu zerkratzen!
Und plötzlich schoss Theresia los. Ein Aufknurren, das sehr bedrohlich klang und mit zwei Sätzen war sie an dem Durchbruch, an dem die Katze sich gezeigt hatte.

Allerdings war die Katze nicht eine, die man leicht beeindrucken konnte. Erst kriegte die anstürmende Hündin noch einen weiteren Schmiss in die Nase – und dann machte sich das Katzenvieh einfach davon, gefolgt von Theresia. Als letzter folgte Theo. Er konnte doch nicht seine wertvolle Hündin in den Tiefen der Unterwelt verschwinden lassen!

Der Durchbruch zum Nachbarraum war leicht zu überwinden – aber dahinter herrschte Dunkelheit. Das elektrische Licht war hier nicht montiert worden. Theo schaltete seine Handleuchte ein.
Ein roh gemauerter Gang zog sich hier in beinahe nördlicher Richtung dahin. Aus den Tiefen das Ganges hörte Theo seine Theres' blutrünstig knurren und er beeilte sich, seiner Hündin zu folgen. Der Gang war recht lang, aber schnurgerade und er endete etwa nach hundert Metern an einer Holztür.

Dort saß die Katze in der Falle. Raffiniert hatte sich das rotbraune Ungetüm ganz nah an die Seitenwand gedrückt und saß aufrecht, die Vorderpfoten abwehrbereit erhoben. Theresia schnappte zwar vorsichtig nach diesem Gegner, traute sich aber nicht, ernsthaft zuzubeißen. Sie hatte zu viel Respekt vor den Krallen, die an der Nase gehörig weh taten.
Theo versuchte, ob die Tür sich öffnen ließ. Tatsächlich war sie unversperrt und die Katze setzte ihre Flucht fort. Theresia nahm wider die Verfolgung auf.
Diesmal bog sich der Gang nach Osten und stieg plötzlich langsam an. Dann folgte wiederum eine Tür, ebenfalls unversperrt und dahinter führte eine Treppe nach oben.
Die Katze war bereits die Stufen hinaufgestürmt. Theo hatte die Theresia an die Leine genommen und der Hund zog vehement der Katze nach.
„Ja, Theresia, wir kommen ja eh mit“, sagte Theo und Theresia mäßigte sich sofort.

Die Treppe wendete sich dreimal, dann war da wieder eine Tür. Und als Theo sie öffnete und die Katze wieder wie ein Blitz verschwand, sah er im Tageslicht in einiger Entfernung eine Glastür, die ins Freie führte. Aber rechts von der Tür in den Keller ging eine weitere, etwas breitere Treppe nach oben. Theo stieg sie hinauf, der Katze nach, die wieder voran gelaufen war.

Theresia hatte die Schnauze auf dem Boden und folgte offenbar der Witterung der Katze. Drei Stockwerke ging es nach oben, dann zog Theresia seitwärts den Gang entlang. In einiger Entfernung saß das Katzenvieh und kratzte an einer weiteren Tür. Außerdem miaute sie in reichlicher Lautstärke.

Als Theo dort anlangte, öffnete sich die Tür, ein relativ kleines, nur etwa 1 Meter 60 großes junges Mädchen in einem reichlich kurzen, weißen Nachthemd erschien auf dem Gang und sagte: „Leo! Um diese Tageszeit! Was willst du denn? Wo brennt's?“ Und die Katze huschte an dem Mädchen vorüber in die Wohnung.
Jetzt sah das Mädchen auf, bemerkte Theo und zog sich in einer panikartigen Bewegung das kurze Nachthemd nach unten. „Entschuldigung! Hab nicht gewusst, dass da wer steht“, sagte sie.
„Ist schon gut“, sagte Theo. „Der Anblick ist recht erfreulich!“

Theresia zog schon wieder stark an der Leine in der Erwartung, die Katze endlich ins Maul zu kriegen und in Hundefutter verwandeln zu können. Theo folgte also dem Hund noch ein Stückchen weiter. „Ist das Ihre Katze?“, fragte er.
Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Die gehört zur Hofburg, soll dort die Mäuse jagen. Aber hin und wieder kriegt der Leo bei mir zur Abwechslung Katzenfutter. Immerhin sollen die Mäuse ja auch eine Chance haben.“ Das Mädchen wandte sich ins Innere ihrer Wohnung und rief: „Gleich, Leo. Kriegst gleich dein Fressi!“

Theo hielt Theresia fest und kniete sich zu ihr. Er sah ihr fest in die Augen und ermahnte sie: „Du elendiges Raubtier! Die Katz g'hört net dir, das is a Dienstkatz! A Mäusejägerin! Im Staatsdienst! Folglich a Kollegin von dir! Die lasst schön in Ruh! Verstanden?“

„Darf ich erfahren, warum die Kollegen sind?“, fragte das Mädchen.
„Darf ich vorstellen? Theresia von Riegersburg, Sprengstoffsuchhündin – und ich bin ihr Führer, Theodor Wallner, Gruppeninspektor.“
„Und wieso bringt mir der Theo den Leo? Ich hab ihn so genannt wegen der Löwenmähne.“
„In der Burg ist heut Staatsempfang. Da hat die Theresia im Keller mit mir nach einer Bombe geschnüffelt und vom Leo eine über die Nase gekriegt. Na und jetzt will sie aus dem Katzenviech Hundefutter machen.“

„Ich bin die Biggy Thorn, eigentlich Birgit. Veterinärstudentin. Kommen Sie doch rein auf einen Kaffee, dann mach ich die beiden miteinander bekannt, die Theresia und den Leo.“
„Die zwei werden sich nicht vertragen!“
„Oh doch! Ich hab da so meine Methoden. Sozusagen interspezifische Mediation.“
„Das würde mich sehr interessieren“, gestand Theo. „Aber ich muss zurück in den Keller! In einer Stunde kommt der afrikanische Präsident!“
„Dann vielleicht am Nachmittag? Ich bin ab 14 Uhr zu Hause.“
„Das ginge. Aber da wird die Katze nicht mehr da sein!“
„Die hol ich mir schon wieder!“
„Ok. Um 14 Uhr komm ich noch einmal. Wo sind wir da eigentlich?“
Biggy sah den Theo mit großen Augen an. „Wie sind Sie denn da rein gekommen?“
„Durch den Keller“, gestand Theo. „Alle Türen waren unversperrt.“
„Die Adresse ist Herrengasse 6 bis 8. Das ist das erste Hochhaus von Wien. 1932 fertig gewesen.“

In der Tat hatte es zu Anfang der 30er Jahre widersprüchliche Meinungen gegeben. Erstens war das Haus mit 16 Stockwerken den Wienern viel zu hoch und die Baugenehmigung wurde erst erteilt, als die Architekten Hans Jaksch und Siegfried Theiss sich bereit erklärt hatten, die obersten Geschosse „abzutreppen“, so dass der rund 50 Meter hohe Bau von unten nicht als Hochhaus erkennbar war.
104 der 224 Wohnungen waren für Junggesellen gedacht und entsprachen heutigen Garconnieren. Die übrigen Appartements wiesen zwischen zwei und vier Wohnräumen auf plus ein Zimmer für das Dienstmädchen. Es war eine sehr noble Adresse in den Dreißigerjahren und die Mieter waren oft Schauspieler des nahen Burgtheaters.

Bis 1913 hatte auf diesem Grundstück das Palais Liechtenstein gestanden. Und das Hochhaus war nicht unterkellert, sondern auf einer 2,50 Meter starken Fundamentplatte errichtet worden. Warum man den Abgang zum alten Keller des Palais Liechtenstein geschaffen hat, ist heute unbekannt.
Nach einem kurzen Abschied von Biggy stieg Theo wieder in den Keller und mit Hilfe seiner Handleuchte erreichte er in kürzester Zeit wieder den Raum mit den Schaltkästen. Dort trat dann Theresia in Aktion und schnüffelte sich durch alle von dort erreichbaren Kellerräume.
Keinerlei Sprengstoff.

Die Zeremonie erlebte Theo noch mit. Er stand ganz hinten an der Wand, verdeckt von der Ehrenkompanie und als die beiden Präsidenten an ihm vorüber kamen, salutierte er ebenfalls.
Dann rückten er und Theresia ein. Um 14 Uhr hatte er Dienstschluss und begab sich sofort mit seiner Hündin zum Hochhaus in der Herrengasse.

Biggy Thorn hatte bereits den Tisch mit einer Kaffeejause gedeckt und bat Theo, zu warten, bis sie den Leo aus dem Keller geholt habe. Dann verschwand sie.
Theo saß am Tisch und redete auf seine Theresia ein: „Theres', du darfst dem Kater jetzt nix tun! Das ist ein ganz liebes Viech! Der tut dir auch nix! Ganz brav sein, sonst raucht's!“
Theresia kam ganz nah an Theo heran, legte die Vorderpfoten auf seine Knie, richtete sich dann auf und leckte Theo über's Gesicht. „Pfui, keine Bussis“, mahnte Theo. Allerdings wertete er das Bussi als Versprechen, das Katzenvieh in Ruhe zu lassen.

Nach einer knappen Viertelstunde kam Biggy. Leo lag ganz entspannt auf ihren Schultern um den Nacken gerollt und ließ Vorder- und Hinterbeine auf ihrer Brust baumeln.
„Ich hab ihn lange suchen müssen“, erklärte sie. „Der war ganz hinten, beinahe unter der Burgkapelle.“ Dann nahm sie den Kater herunter. „Na, komm schon! Kriegst ein besonders gutes Fressi.“
Aus dem Kühlschrank holte Biggy eine Schweinsniere, wusch sie unter dem Wasserhahn ab und reichte sie dem Tier. Der begann augenblicklich zu schnurren und nahm sich den Leckerbissen vor.

„Und du kriegst auch was“, sagte Biggy zu Theresia und holte ein schönes Hühnerfilet aus dem Kühlschrank. „Darf sie was Rohes fressen?“, fragte sie Theo.
„Klar! Kriegt sie eher selten“, sagte der. „Aber sie frisst das ganz gerne!“
Biggy legte das Filet auf einen Teller und reichte ihn Theresia zum Boden herunter. Kater Leo verließ augenblicklich seine Niere und roch an dem Filet. Dann schüttelte er sich und kehrte zu seiner Portion zurück.
Theresia hatte die Schweineniere ebenfalls einem Geruchstest unterzogen, bevorzugte aber das Hühnerfilet. So standen Hund und Katze friedlich nebeneinander und fraßen, ohne einander ins Gehege zu kommen.

„Na bitte“, sagte Biggy. „Punkt eins ist schon erledigt. Es folgt Punkt zwei: Wasser.“
Biggy entnahm ihrem Küchenschrank zwei Schüsseln und füllte diese mit Wasser. Sowohl Leo als auch Theresia kriegten je eine der Wasserschüsseln. Theresia war durstig und begann sofort zu trinken. Leo verputzte zunächst seine Niere, sprach dann aber dem Wasser ebenfalls mit Begeisterung zu. Dann legten sich die beiden Tiere unter den Tisch, Leo nahe an Biggy, Theresia ganz nahe an Theo, so dass ihr Fell sein Bein berührte. „Na bitte, keinerlei Radau!“, meinte Biggy und goss Kaffee in Theos Tasse.

„Erstaunlich“, meinte Theo. „Na, hoffentlich bleibt es so!“
„Bestimmt“, zeigte sich Biggy zuversichtlich. „Wir dürfen sie nur nicht provozieren!“
Der Rest der Kaffeejause verlief ruhig. Die zwei Viecher unter dem Tisch begannen tatsächlich, sich ein wenig anzufreunden und Theo erkundigte sich eingehend über Biggys persönliche Verhältnisse.
Biggy hatte die Wohnung im Hochhaus von einer Tante übernommen und war in deren Mietvertrag eingestiegen. Die Miete war zwar relativ hoch, aber Biggy nahm das auf sich. Die Lage der kleinen Garconniere hier in der Innenstadt war unbezahlbar, meinte sie.

Als sich Theo dann endlich verabschiedete tauschten sie ihre Telefonnummern aus und Biggy nahm ihm das Versprechen ab, sie wieder mit der Theresia zu besuchen. Sie werde ihm dann noch andere Bewohner des Hofburgkellers vorstellen. Etwa die Bianca, eine hoch schwangere weiße Katzendame, die ein besonderer Liebling von ihr war.

Vier Tage später rief Biggy den Theo an. Sie hätte einen Unfall gehabt und befinde sich im Allgemeinen Krankenhaus (AKH). Beim Aussteigen aus dem Autobus vor der veterinärmedzinischen Universität wäre sie von einem Taxi angefahren worden und habe ein paar Prellungen davon getragen. Sie müsse noch ein paar Tage im Krankenhaus bleiben, brauche aber Hilfe. Die Bianca habe mittlerweile geworfen. Vier entzückende Kätzchen habe sie bekommen und denen müsse man täglich etwas Futter und frische Milch bringen. Ob Theo das übernehmen könne? Katzenfutter in Dosen wäre bei ihr in der Küche. Frische Milch müsse Theo aber irgendwo besorgen.
Natürlich zeigte Theo sich einverstanden. Zunächst werde er Biggy im AKH besuchen, dann könne man weiter drüber reden.

Am nächsten Tag, genau um fünfzehn Uhr parkte Theo seinen privaten Kombi in der Tiefgarage des AKH und machte es seiner Hündin auf ihrer Liegefläche im Laderaum bequem. Dann fuhr er zum elften Stock hoch.
Biggy saß in einem privaten Nachthemd auf dem Gang ihrer Station und hatte Besuch von ihren Eltern. Theo überreichte seine Blumen und führte ein bisschen Smalltalk mit dem Ehepaar Thorn, aber das verabschiedete sich bald. Biggy kam sofort auf die Katze zu sprechen.

Bianca wäre beinahe vollständig weiß, habe aber einen dunkelbraunen Fleck auf dem Rücken. Das Lager, das sie mit ihren Kätzchen teilte, befände sich ganz im Südosten des Kellers unter dem leopoldinischen Trakt, in unmittelbarer Nähe der Burgkapelle. Theo möge doch etwas Katzenfutter aus der Dose mitnehmen und die Milchschüssel auffüllen. Sie selbst, Biggy, käme wahrscheinlich schon übermorgen wieder nach Hause. Man hatte nur die leichte Gehirnerschütterung abklären wollen, es wäre aber alles in Ordnung.
Dann gab Biggy ihm ihre Wohnungsschlüssel und Theo verabschiedete sich.

Zunächst holte er aus dem Supermarkt zwei Liter Milch. Dann fuhr er zu Biggys Wohnung und nahm Theresia mit. Die Dose Katzenfutter war rasch gefunden und es konnte los gehen.
Auf dem unterirdischen Weg kam Theo in den Keller der Hofburg. Durch den ehemaligen Weinkeller gelangte er ganz nach Süden und dann befahl er der Theresia, sie solle nach Katzen suchen.

Vehement schnüffelnd machte sich die Hündin auf den Weg.
Theo schaltete die Kellerbeleuchtung ein und folgte der Theresia, so gut er konnte.
Ganz an der Wand im Süden fand Theresia etwas Interessantes, nämlich ein Schüsselchen mit Milch, die allerdings schon sauer geworden war. Und daneben befand sich das Katzennest. In einem Teil eines Holzbottichs, der vor langer Zeit einigen Maurern gedient hatte, befand sich eine Polsterung aus Papier und darauf lagen vier ganz kleine Katzenbabys.

Theresia leckte die vier Kinder vorsichtig und beinahe liebevoll ab. Eines dieser kleinen Knäuel protestierte ein wenig.
Da tauchte die Mutter aus der Dunkelheit auf. Sie fauchte beinahe bösartig und Theresia zog sich diskret zurück. Als dann die Bianca ihre vier Jungen säugte, leuchtete Theo mit seiner Handleuchte in das Nest hinein und ihm fiel auf, dass da ein ganz spezielles Papier zur Auspolsterung verwendet worden war. Es war ein buntes Papier, zum Teil sehr zerknüllt und es hatte so etwas Eigenartiges. Es wirkte, als ob es uralt wäre.

Vorsichtig nahm Theo mit den Fingerspitzen ein Papierblatt aus dem Nest und kriegte von Bianca einen Hieb mit den Krallen über den Handrücken.
Theo fluchte. Aber bald hatte er sich beruhigt und untersuchte das Blatt. Verdammt, das war gar kein Papier! War das Pergament?

Theo leuchtete das Blatt mit der Handleuchte an. Da war eine schwarze Schrift zu lesen. Aber es war nicht Deutsch! Das konnte Latein sein! Und außerdem war da eine kleine Malerei zwischen den Zeilen. Ein bärtiger Mann in einem altmodischen, weiten Mantel, der ein Kruzifix hielt.
Stammte das Blatt aus einem uralten Buch? War das etwa eine Handschrift?

Schön. Theo würde die Blätter mitnehmen. Vielleicht hatte die Katze Bianca ja da in dem uralten Keller tatsächlich eine wertvolle Handschrift entdeckt und zur Auspolsterung ihres „Nestes“ benutzt.
Da musste er dem Katzenvieh natürlich einen Ersatz beschaffen. Ihren Nachwuchs konnte man nicht in dem Holzbottich ohne weiche Unterlage lassen. Was hatte er denn in seinem Auto?
Da musste noch ein warmer Pullover sein. Für den Fall, dass Theresia am Abend im Winter noch einmal länger „Gassi“ musste. Da brauchte er vorher nicht noch mal nach Hause.
Den würde er der jungen Mutter Bianca zur Verfügung stellen!

Theo machte sich mit Theresia auf den Weg zu seinem Wagen. Und weil der in der Kurzparkzone auf dem Heldenplatz abgestellt war, versuchte er, einen Ausgang aus dem Keller im Bereich der Neuen Burg zu finden.
Ganz gelang ihm das nicht. Aber er fand eine Treppe hinauf zum Festsaaltrakt und von dort gelangte er leicht zu seinem Wagen.

Auf dem Rückweg zerlegte er sein gestricktes Kleidungsstück in vier Teile und die legte er in eine andere Ecke des Holzbottichs. Und dann wollte er die vier kleinen Kätzchen übersiedeln.
Bianca war aber nicht damit einverstanden und jedes Mal, wenn er eines der Kätzchen anfasste, kriegte er eine mit voll ausgefahrenen Krallen übergezogen.

Nach zehn Minuten sah Theo aus wie ein Unfallopfer. Er blutete an Händen und Armen und es war ihm unmöglich, die jungen Katzen zu delogieren. Erst die Unterstützung einer Maus brachte ihm den Erfolg.

Theresia hatte sich in die Auseinandersetzung mit Bianca gar nicht eingemischt und war inzwischen auf „Schnüffeltour“ gegangen. Und im Nachbarraum fand sie unter Gerümpel eine dicke, freche Maus.
Bianca hatte das natürlich mitgekriegt und machte die Beute der Theresia streitig und machte sich umgehend auf die Jagd. Natürlich kooperierte sie nicht mit Theos Hündin, sondern wandte ihre eigenen Tricks an. Aber im Nachbarraum des Kellers, in dem die Kätzchen lagen, war bald der Teufel los.

Während Bianca und Theresia lautstark der Maus nachjagten, vollbrachte Theo im Holzbottich das große Werk der Katzenübersiedlung. Die vier Katzenbabys schmiegten sich genüsslich in den Stoff des Pullovers und Theo zupfte die Blätter, die bislang die Funktion des Pullovers innegehabt hatten, vorsichtig aus der Ecke des Bottichs.

Natürlich war das Pergament! Die schwarze Schrift war eindeutig lateinisch geschrieben und die Blätter mussten uralt sein! Allerdings waren die Blätter übersät von den Hinterlassenschaften der kleinen Kätzchen! Aber das konnte man eventuell restaurieren.

Theo packte die beschriebenen Blätter zusammen und wickelte sie in einen alten Karton, der auf dem Boden lag. Kaum war dies geschehen, kam plötzlich die erfolgreiche Jägerin Bianca. Die erstaunlich dicke und große Maus baumelte ihr aus dem Maul. Bianca zog sich in den Trog zurück, stutzte, als sie ihre Kinder nicht mehr in der gewohnten Ecke vorfand, akzeptierte aber deren Übersiedlung in die andere. Sie bezog ihren Platz auf dem Pullover und begann, die Maus zu zerlegen.

Theo hatte kein Interesse an der Sektion einer Maus und rief Theresia, um mit ihr die Heimfahrt anzutreten. Er erneuerte noch die Milch und dann ging es zum Auto.
Als erstes gab er die sichergestellten Blätter bei seiner Dienststelle ab und er äußerte den Verdacht, dass es sich um Blätter aus einer sehr alten Handschrift handeln könnte. Die Kollegen versprachen ihm, sich sofort darum zu kümmern.

Abends rief Biggy ihn vom Krankenhaus an. Sie würde tatsächlich übermorgen früh entlassen. Theo kündigte an, sie abzuholen. Er war richtig froh, sie wiederzusehen. Wie sie die Theresia akzeptiert hatte – und wie sie mit den Mäusefängern im Keller der Hofburg umging, das nötigte Theo den größten Respekt ab. 'An die Biggy könnte ich mich gewöhnen', dachte er.

Aber bevor er sie holte, erfuhr Theo noch, dass die abgegebenen Blätter tatsächlich aus einer Handschrift stammen mussten! Geschrieben und gemalt wahrscheinlich im Kloster Mauerbach, etwa um 1350 bis 1400. Es handelte sich um ein Buch mit einer Heiligenlegende – und der Rest der Handschrift sollte wohl noch im Keller der Burg zu finden sein!

Am nächsten Tag erzählte Theo Biggy natürlich von seinem Fund im Lager der Mutterkatze Bianca. Und Biggy war ganz Feuer und Flamme! Theo musste ihr versprechen, noch heute eine weitere Erkundung des Kellers durchzuführen. Sie vermutete, dass Bianca diese beschriebenen und bemalten Blätter aus dem Gemäuer unterhalb der Burgkapelle geholt hatte. Es musste also eine Verbindung dorthin geben!

Als Theo Biggy am Nachmittag abholte, hatte sie sich für die Expedition entsprechend gerüstet. Sie trug eine alte, bunte Bluse und eine sehr kurze Jeansshort, die schon eher die Bezeichnung Hot Pant verdiente, aber voller Farbflecken war. „Falls ich wo hineinkriechen muss“, sagte sie nur ganz beiläufig. „Ich bin immerhin klein und recht beweglich.“

Durch den Kellergang, den man vom Hochhaus betreten konnte, gelangten sie in den Keller der Hofburg. An dem hölzernen Bottich, den die Katzenfamilie bewohnte, gab es eine intensive Begrüßung durch Bianca und dann machten sich Biggy und Theo auf die Suche. Etwa zwanzig Minuten untersuchten sie die Wände im Süden, fanden aber keinen Durchschlupf. Dann nahm sich Theo einen Haufen altes Holz vor. Hier hatte man ausgediente Fassdauben zu einem Haufen von 40 cm Höhe gelagert. Es dauerte wieder gut zwanzig Minuten, bis das vermorschte Holz beiseite geräumt war. Aber da gab es etwas!

Dort, wo die Kellerwand an den Fußboden grenzte, war ein Loch. Da waren Steine heraus gebrochen. Allerdings war der Durchlass zu eng für Theo. Er versuchte, die Nachbarsteine zu lockern, was ihm allerdings nicht gelang.

„Lassen Sie mich versuchen“, bat Biggy und übergab den Inhalt ihrer Hosentaschen dem Theo. Dann steckte sie ihre Füße in das Loch und drückte den Oberkörper langsam nach. Mit den Schultern kam sie allerdings nicht durch!

Aber als sie die Arme hoch streckte, funktionierte es. Sie musste sich zwar gehörig anstrengen und verbiegen, aber dann rutschte sie einfach in das Loch hinein. Sie fiel etwa zwei Meter nach unten und prallte auf den Steinboden. Der Aufprall war im Keller darüber deutlich zu hören.

„Biggy! Ist Ihnen was passiert?“
„Nur ein bisschen erschrocken“, tönte es herauf.
Theo sah durch das Loch, wie Biggy darunter mit ihrer Leuchte hantierte.
„Bücher!“, rief sie auf einmal. „Viele Bücher und uralt!“ Und ein Paar Sekunden später tönte es: „Und eine Menge toter Mäuse!“
„Dann kommen Sie besser rauf“, rief Theo.
„Kann ich nicht, zu hoch“, antwortete Biggy. „Wie die Bianca das geschafft hat, ist mir ein Rätsel!“

Dann wanderte Biggy offenbar in dem unteren Kellerraum umher. Jedenfalls schien es Theo so, weil sich das Licht da unten dauernd veränderte.
Dann kam sie wieder zum Durchschlupf. „Da drüben ist eine Wendeltreppe. Führt aber nirgends hin, nach oben von einer Steinplatte verschlossen. Übrigens, ich hab ein Kletterseil im Schrank vom Wohnzimmer. Könnten Sie uns das holen? Vielleicht geht’s damit!“
„Hab ich Ihre Schlüssel?“
„Hab ich Ihnen vorhin gegeben!“
„Ok. Warten Sie auf mich. Und keine Angst vor den toten Mäusen!“

Auf dem Weg in Biggys Wohnung überlegte Theo, was zu machen wäre, sollte er sie nicht aus dem unteren Keller bringen. Da müsste er wohl die Feuerwehr rufen!
Nach zwanzig Minuten war Theo mit dem Seil zurück. Er knotete eine Trittschlinge hinein und warf das Seil nach unten.
Dann rief Biggy: „Los! Ziehen Sie!“
Theo war froh darüber, dass Biggy so eine „halbe Portion“ war, sie wog keine sechzig Kilo.
Dann tauchten ihre Arme aus dem Loch auf. Das Ziehen wurde für Theo jetzt recht anstrengend, denn Biggy musste sich durch das Loch winden. Nach einem Weilchen erschien ihr Kopf und Biggy konnte sich am Boden abstützen. Sie keuchte und wand sich hin und her, bis sie schließlich ganz heraus war.

Die Stadt Wien kam durch diese Aktion wieder einmal zu einer künstlerischen Sensation. Die 1227 erbaute Hofburgkapelle verfügte über eine Krypta, die trotz der Umbauten der Kapelle 1447 und unter Maria Theresia im 18. Jahrhundert offenbar „vergessen“ worden war. Und diese Krypta enthielt Handschriften mit sehr schönen Buchmalereien, die nun frisch restauriert in einer Sonderausstellung der Nationalbibliothek der Öffentlichkeit präsentiert wurden.

Und Biggy Thun und Theodor Wallner? Diese bildeten ab sofort eine Gemeinschaft im Sinne des Tierschutzes und kümmern sich rührend um die tierischen Bewohner des Burgkellers.

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