Maestras. Malerinnen 1500-1900, Katalog und Ausstellung im Arp Museum im Bahnhof Rolandseck, bis 16. Juni

Zu den wichtigen Ausstellungen der ersten Hälfte des Jahres 2024 dürfte die Schau „Maestras“ in den Räumen des vom amerikanischen Star-Architekten Richard Meier entworfenen und 2017 eröffneten Erweiterungsbaus des Arp Museums in Remagen-Rolandseck gehören. Gezeigt werden dort noch bis zum 16. Juni Kunstwerke von Frauen aus fünf Jahrhunderten, vom Mittelalter bis zur Klassischen Moderne. Wenn diese sehenswerte Ausstellung ihre Tore geschlossen haben wird, bleibt nicht nur die Erinnerung an ein Kunstereignis der Sonderklasse, sondern auch ein Katalogbuch, das im aktuellen Diskurs um eine feministisch orientierte Kunstgeschichte zweifellos eine Bereicherung darstellt. Rainer K. Wick hat die Schau im Arp Museum besucht und das Buch gelesen.

Cover „Maestras“ © Landesstiftung Arp Museum Bahnhof Rolandseck
Cover „Maestras“ © Landesstiftung Arp Museum Bahnhof Rolandseck

Noch vor zehn Jahren meinte ein alternder „Großkünstler“ wie Georg Baselitz in einem „Spiegel“-Interview: „Frauen malen nicht so gut wie Männer“. Obwohl er diese Aussage dahingehend relativierte, dass sie zwar durchaus Talent haben könnten, ihnen aber jene männliche Brutalität fehle, Grenzen zu überschreiten und „die anderen zu zerstören“ (!), zeugt dieses Statement doch von einer unheilvollen männlichen Agg ressivität, gepaart mit Arroganz und Ignoranz. Sie belegt exemplarisch jene strukturelle Misogynie, die als Resultat hegemonialer Männlichkeit leider immer noch nicht von der Bildfläche verschwunden ist. Dabei hat sich in den letzten Jahrzehnten viel geändert.


Kunst von Frauen ist inzwischen fester Bestandteil in Galerien und Museen. Manchmal tritt sie dort ganz selbstverständlich und gleichsam ideologiefrei in Erscheinung, manchmal explizit „feministisch“, ja fast militant im Sinne des sogenannten Geschlechterkampfes, bei dem sicherlich noch längst nicht alle Schlachten geschlagen sind. Und so, wie die Kunst selbst „weiblicher“ geworden ist, ist seit rund fünfzig Jahren auch die Kunstgeschichte mehr und mehr weiblich geworden. 1971 veröffentlichte die amerikanische Kunsthistorikerin Linda Nochlin in der Zeitschrift „ARTnews“ einen Aufsatz mit dem Titel „Why Have There Been No Great Women Artists?”, mit dem sie den Grundstein für eine feministische Kunstgeschichte legte. Fünf Jahre später war sie die Co-Kuratorin der Ausstellung „Women Artists: 1550-1950“ im Los Angeles County Museum of Art, einer Schau, die gewissermaßen als frühe Blaupause zahlreicher späterer Ausstellungen zur Kunst von Frauen gelten kann – bis hin zu „Maestras“, die 2023/24 zuerst im Museo Nacional Thyssen-Bornemisza in Madrid stattgefunden hat, um dann in teilweise veränderter Form im Arp Museum in Remagen-Rolandseck gezeigt zu werden. Ziel einer feministisch grundierten Kunstgeschichte ist es, die Leistungen von Künstlerinnen wahrzunehmen und zu würdigen, die in der Vergangenheit von einer männlich dominierten Kunstwissenschaft bewusst oder unbewusst übergangen, marginalisiert oder zum Son derfall erklärt wurden. Genau dazu leisten die Ausstellung „Maestras“, spanisch „Meisterinnen“, und das zugehörige Katalogbuch allerbeste Dienste.


Von Artemisia Gentileschi, bedeutendste Malerin des italienischen Barock und Galionsfigur der – selbstverständlich in erster Linie von Frauen betriebenen – feministischen Kunstgeschichte, ist aus dem Jahr 1649 der Satz überliefert: „Ich werde Ihnen zeigen, zu was eine Frau fähig ist.“ Das klingt überaus selbstbewusst, und ein treffenderes Motto für das Maestras-Projekt würde sich kaum finden lassen. Ausstellung und Buchpublikation gliedern die Materialfülle in fünf chronologisch und thematisch angelegte Kapitel, die aus Spanien übernommen wurden: Zwischen Licht und Schatten 1200-1700, Vive l’esprit – ein Hauch von Freiheit 1700-1800, Naturforscherinnen 1600-1810, Rollen und Klischees 1800-1900, Moderne und Avantgarde 1900-1940. Offensichtlich ist, dass es sich hier nicht um ein trennscharfes und konsistentes Gliederungssystem handelt, sondern dass es zeitliche und inhaltliche Überlappungen gibt, ganz zu schweigen von den unterschiedlichen Kriterien, nach denen die einzelnen Kategorien gebildet wurden. Ungeachtet dieser kritischen Einwände ist Susanne Blöcker, langjährige Kuratorin am Arp Museum, in Zusammenarbeit mit Julia Wallner, seit fast zwei Jahren die neue Direktorin des Museums, eine sehenswerte Schau und ein optisch ansprechendes und in seinen Textbeiträgen sachhaltiges Katalogbuch gelungen.

links: Hildegard von Bingen, Rupertsberger Codex – Liber Scivias: Das Weltall, um 1175 rechts: Gisela von Kerssenbrock, Codex Gisle, Selbstporträt der Künstlerin, um 1300
links: Hildegard von Bingen, Rupertsberger Codex – Liber Scivias: Das Weltall, um 1175 rechts: Gisela von Kerssenbrock, Codex Gisle, Selbstporträt der Künstlerin, um 1300


Zwischen Licht und Schatten
Das erste Kapitel ist zweigeteilt. Im ersten Teil geht es unter der Überschrift „Ora et labora“ um Handschriften und Illustrationen, die in mittelalterlichen Frauenklöstern entstanden, die „Orte des Wissens und der Bildung“ waren und nach Susanne Blöcker „Kunst und Künstlerinnen kreative Spielräume“ boten. Bemerkenswert ist der Codex Gisle aus einem ehemaligen Zisterzienserinnenkloster in der Nähe von Osnabrück (hier als Faksimile). Es handelt sich um ein Graduale, also ein liturgisches Buch, aus der Zeit um 1300, das die Gesänge enthält, die die Nonnen in den Festtagsgottesdiensten anstimmten. Gestaltet wurde es von der Nonne Gisela von Kerssenbrock, die die Texte und Noten des Buches schrieb und den malerischen Buchschmuck (Illuminationen) schuf. Die Besonderheit ist, dass sie in dem Graduale nicht nur namentlich erscheint, sondern auch bildlich auftritt, indem sie sich auf zwei Seiten selbst porträtiert hat.

links: Lavinia Fontana, Judith mit dem Kopf des Holofernes, 1590-95 (Foto © Rainer K. Wick) rechts: Fede Galizia, Judith und Holofernes, 1601–10 (Foto © Rainer K. Wick)
links: Lavinia Fontana, Judith mit dem Kopf des Holofernes, 1590-95 (Foto © Rainer K. Wick) rechts: Fede Galizia, Judith und Holofernes, 1601–10 (Foto © Rainer K. Wick)


Im zweiten Teil stehen die italienischen Ausnahmekünstlerinnen des 16. und 17. Jahrhunderts Sofonisba Anguissola, Lavinia Fontana, Fede Galizia, Artemisia Gentileschi und Elisabetta Sirani im Mittelpunkt. Gleich zwei exquisit gemalte Bilder, eins von Lavinia Fontana aus der Zeit um 1590/95 und ein zweites von Fede Galizia (erstes Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts), thematisieren die alttestamentarisch überlieferte Geschichte von Judith und Holofernes. Die Annahme, es könne sich in beiden Fällen um Selbstporträts der Künstlerinnen handeln, mag den Gedanken nahelegen, dass diese Gemälde neben ihrem biblischen und theologischen Gehalt (Kontext Gegenreformation) auch als Dokumente der Selbstbehauptung zweier starker Frauen in einem von Männern geprägten Milieu zu lesen seien. Seit langem bestimmt diese Denkfigur insbesondere den feministischen Diskurs um Artemisia Gentileschi, deren drastische Darstellungen der Enthauptung des assyrischen Feldherrn Holofernes durch Judith im Sinne einer künstlerischen Aufarbeitung ihrer Vergewaltigung durch einen Werkstattmitarbeiter ihres Vaters, des Malers Orazio Gentileschi, gedeutet werden. Demnach ließen sich Artemisias Judith-Bilder als ästhetisch sublimierte Racheakte einer kämpferischen und auf die Wiederherstellung ihrer Ehre bedachten Barockmalerin begreifen – ein Interpretationsansatz, der in der neueren kunsthistorischen Forschung allerdings nicht ohne Widerspruch geblieben ist.

links: Judith Leyster, Mädchen mit Strohhut, 1630-40 (Foto © Rainer K. Wick) rechts: Rosalba Carriera, Damenbildnis, 18. Jh. (Foto © Rainer K. Wick)
links: Judith Leyster, Mädchen mit Strohhut, 1630-40 (Foto © Rainer K. Wick) rechts: Rosalba Carriera, Damenbildnis, 18. Jh. (Foto © Rainer K. Wick)

Den erwähnten italienischen Künstlerinnen treten zwei heute nur Insidern bekannte niederländische Barockmalerinnen zu Seite, nämlich Judith Leyster, die mit einem wunderbar frischen, spontan an Frans Hals erinnernden Mädchenporträt brilliert, und Michaelina Wautier, die es bis an den Hof der spanischen Niederlande in Brüssel schaffte und deren Porträts von einer „erstaunlichen Präsenz ihrer Modelle“ (Susanne Blöcker) zeugen. Beide waren zu ihrer Zeit hochgeachtet und gesellschaftlich anerkannt, fielen dann aber durch die Maschen der Kunstgeschichte und wurden erst sehr spät, Ende des 19. Jahrhunderts und im 20. Jahrhundert, wiederentdeckt.

Ein Hauch von Freiheit
Im Unterschied dazu mussten die Malerinnen, die im Zentrum des zweiten Kapitels mit der Überschrift „Vive l’esprit – ein Hauch von Freiheit“ stehen, nicht um ihren Nachruhm fürchten. Dies gilt insbesondere für die Meisterin des Rokoko-Pastells Rosalba Carriera und für die im Übergang vom Rokoko zum Klassizismus schaffende Malerin Angelika Kaufmann, aber auch für Anna Dorothea Therbusch und Élisabeth Vigée Le Brun – Künstlerinnen, die in Zeiten des aufgeklärten Absolutismus und der französischen Revolution sich öffnende gesellschaftliche Freiräume zu nutzen verstanden, um ihre Kunst zu präsentieren und zu vermarkten. Um die große Nachfrage nach ihren zart-duftigen Porträts zu befriedigen, war die Venezianerin Rosalba Carriera in zahlreichen Ländern unterwegs, etwa in Österreich und Frankreich, wo sie enthusiastisch gefeiert wurde. Ihre handwerklich gekonnten, technisch perfekten Pastelle wurden an den europäischen Höfen, in Kreisen der High Society und bei Künstlerkollegen überaus geschätzt. Psychologische Tiefe war ihren Porträts mit meist unbelebten, glatten Gesichtern von gleichsam porzellanener Sinnlichkeit jedoch kaum zu eigen. – Zu den Stars der Kunstszene der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gehörte Angelika Kauffmann, die schon in jungen Jahren als Wunderkind galt und als Malerin allegorischer, mythologischer und religiöser Bilder und vor allem als Porträtistin hervortrat. Sie hielt sich von 1760 bis 1766 in Italien auf, wo sie in Rom den Begründer der klassischen Archäologie und geistigen Wegbereiter des Klassizismus porträtierte, womit sie schlagartig bekannt wurde. 1765 wurde sie Mitglied der Academia di San Luca in Rom, ab 1766 war sie in London tätig, wo sie 1768 zu den Gründungsmitgliedern der Royal Academy of Arts gehörte. Mit empfindsamen Darstellungen nach antiken Autoren wie Homer und Vergil avancierte sie in England zu einer der bedeutendsten Künstlerinnen des Klassizismus und wurde zur internationalen Berühmtheit. Später wieder in Rom, wurde ihr gastliches Haus zum Treffpunkt von Angehörigen der Aristokratie sowie von Künstlern und Gelehrten, darunter auch Goethe und Herder, der sie als die „kultivierteste Frau Europas“ bezeichnete. Eine derartige Karriere als Künstlerin war zur damaligen Zeit sicherlich außergewöhnlich, aber sie war prinzipiell möglich.

links: Orsolo Maddalena Caccia, Stillleben mit Vögeln, o.J. (Foto © Rainer K. Wick) rechts: Louise Moillon, Stillleben mit Früchten, um 1637 (Foto © Rainer K. Wick)
links: Orsolo Maddalena Caccia, Stillleben mit Vögeln, o.J. (Foto © Rainer K. Wick) rechts: Louise Moillon, Stillleben mit Früchten, um 1637 (Foto © Rainer K. Wick)

Naturforscherinnen
Ökonomisch erfolgreich und gesellschaftlich anerkannt waren auch die Künstlerinnen, die im dritten Kapitel als „Naturforscherinnen“ vorgestellt werden. Gemeint sind damit jene Malerinnen, die sich im 17. und 18. Jahrhundert auf die Bildgattung des Stilllebens spezialisierten. Da Frauen in der Regel das Aktstudium als Voraussetzung für größere figürliche Darstellungen verwehrt wurde, fanden sie in der Stilllebenmalerei eine Nische, um ihre künstlerischen Fähigkeiten zur Geltung zu bringen. Namentlich erwähnt seien nur Giovanna Garzoni und Orsola Maddalena Caccia in Italien sowie Maria Sibylla Merian in Deutschland mit ihren aufs Genaueste beobachteten und detailgetreu durchgearbeiteten Naturstudien, Louise Moillon und Anne Vallayer-Coster in Frankreich mit ihren faszinierenden Früchtestillleben und die Schwestern Rachel und Anna Ruysch in den Niederlanden mit ihren opulenten, in perfekter Feinmalerei ausgeführten Blumenstillleben, die – angesiedelt zwischen Kunst und Naturwissenschaft – international sehr gefragt waren und hohe Preise erzielten. . Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass zur damaligen Zeit in der Hierarchie der Bildthemen Stillleben und Blumenstücke als nachrangig galten und ihnen generell ein niedrigerer künstlerischer Rang beigemessen wurde als figurativen Kompositionen mit mythologischen oder religiösen Inhalten.

links: Mary Cassatt, Louise, ihr Kind stillend, 1898-99 (Foto © Rainer K. Wick) rechts: Helene Schjerfbeck, Mutter und Kind, 1886 (Foto © Rainer K. Wick)
links: Mary Cassatt, Louise, ihr Kind stillend, 1898-99 (Foto © Rainer K. Wick) rechts: Helene Schjerfbeck, Mutter und Kind, 1886 (Foto © Rainer K. Wick)

Rollen und Klischees
Während Rachel Ruysch in den Jahren 1708 bis 1716 in Düsseldorf als Hofmalerin des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz (bekannt auch als Jan Wellem) eine herausgehobene soziale Stellung einnahm, wurden im 19. Jahrhundert die gesellschaftlichen Spielräume für Künstlerinnen spürbar enger. Unter der Überschrift „Rollen und Klischees“ geht es im vierten Kapitel darum zu zeigen, wie sehr sich im Zuge der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft die Rolle der Frau auf Heirat und Haus, auf Heim und Herd, auf Mutterschaft und Kindererziehung, also auf den von der Männerwelt propagierten Idealtypus des „häuslichen Engels“ reduzierte. Sieht man von der Landbevölkerung und vom Industrieproletariat ab – hier war Frauenarbeit zur Sicherung des meist kaum zureichenden Familieneinkommens oft unverzichtbar –, waren die Frauen von jeglicher Berufsausübung so gut wie abgeschnitten. Für Frauen, die den Beruf als Künstlerin ausüben wollten, gab es hohe Hürden: Noch bis 1918 war ihnen in Deutschland die Ausbildung an den staatlichen Akademien verwehrt, was zur Folge hatte, dass manche die durch Selbsthilfe gegründeten sogenannten Damenakademien besuchten oder an privaten Kunstschulen studierten, um sich dort zu „Malweibern“, wie es despektierlich hieß, auszubilden zu lassen. Besonders beliebt war Paris mit den Privatakademien Julien und Colarossi, wo die Schülerinnen auch an dem für Frauen als unschicklich geltenden Aktzeichnen teilnehmen konnten. Traten sie in den Stand der Ehe, war ihre Karriere nicht selten schnell beendet oder zumindest deutlich gebremst, da die Männer zäh an der traditionellen Rollenzuweisung der Frau als Geliebte, Mutter und Hausfrau festhielten. Eine mögliche Option, um als Künstlerin mit professionellem Anspruch unabhängig und selbstbestimmt agieren zu können, bestand darin, ledig zu bleiben – so wie die in Paris tätige Amerikanerin Mary Cassatt, die neben Berthe Morisot, Eva Gonzales und Marie Bracquemond zu den bedeutendsten Impressionistinnen in Frankreich zählt. Die Bilder dieser Malerinnen bieten „Einblicke in den bürgerlichen Frauenalltag ihrer Zeit“ (Susanne Blöcker), und dazu gehörte auch das Thema der Mutterschaft. Nicht nur Mary Cassatt hat sich dieses Themas angenommen („Louise, ihr Kind stillend“, 1898-99), sondern auch die beiden finnlandschwedischen Künstlerinnen Elin Danielson-Gambogi und Helene Schjerfbeck haben in ihren Gemälden die intime Mutter-Kind-Beziehung einfühlsam und lebensnah geschildert.

links: Marie-Louise Petiet, Die Wäscherinnen, 1882 (Foto © Rainer K. Wick) rechts: Eloísa Garnelo, Traubenleserinnen aus Montilla, 1891 (Foto © Rainer K. Wick)
links: Marie-Louise Petiet, Die Wäscherinnen, 1882 (Foto © Rainer K. Wick) rechts: Eloísa Garnelo, Traubenleserinnen aus Montilla, 1891 (Foto © Rainer K. Wick)

Von Malerinnen, die hierzulande kaum bekannt sind, stammen zwei Werke, die die Welt arbeitender Frauen thematisieren, und zwar von der Französin Marie-Louise Petiet die „Wäscherinnen“ (1882) und von der Spanierin Eloísa Garnelo die „Traubenleserinnen“ (1891). Stilistisch dem Realismus verpflichtet, zeigen diese Bilder zwar das solidarische Miteinander junger Frauen am Arbeitsplatz, blenden aber die tatsächliche Härte des Arbeitsalltags von Büglerinnen oder Erntehelferinnen im späten 19. Jahrhundert aus und verzichten insofern auf eine dezidiert sozialkritische Akzentuierung ihrer Bildbotschaft.

links: Alice Bailly, Der Tee, 1913-14 (Foto © Rainer K. Wick) rechts: Sonia Delaunay-Terk, Simultane Kleider (Drei Frauen, Formen, Farben), 1925 (Foto © Rainer K. Wick)
links: Alice Bailly, Der Tee, 1913-14 (Foto © Rainer K. Wick) rechts: Sonia Delaunay-Terk, Simultane Kleider (Drei Frauen, Formen, Farben), 1925 (Foto © Rainer K. Wick)

Moderne und Avantgarde
Im fünften Kapitel „Moderne und Avantgarde“ geht es um den Aufbruch in eine Zeit, in der malende Frauen nicht mehr als Ausnahmen von der Regel in Erscheinung traten, sondern sich aus dem Korsett der Rollenklischees des 19. Jahrhunderts emanzipierten und zum Teil zu Protagonistinnen der Moderne wurden. In Deutschland garantierte die Weimarer Verfassung de jure die Gleichstellung der Geschlechter, de facto sah es um die Gleichberechtigung der Frauen allerdings noch lange düster aus. 1928 veröffentlichte der Stuttgarter Kunsthistoriker Hans Hildebrandt ein Buch mit einem Titel, der zunächst aufhorchen lässt: „Die Frau als Künstlerin“. Tatsächlich handelte sich um die erste substanzielle Überblicksdarstellung von „Frauenarbeiten bildender Kunst von frühesten Zeiten bis zur [damaligen, R.W.] Gegenwart“, und es ist aus heutiger Sicht erstaunlich, wie viele Namen von Malerinnen, Bildhauerinnen und Entwerferinnen, die inzwischen in der Kunst des 20. Jahrhunderts ihren unverrückbaren Platz gefunden haben, schon in dieser frühen Publikation auftauchen. Gleichwohl war das Buch von Hildebrandt alles andere als ein Baustein zu einer feministischen Kunstgeschichte avant la lettre. Vielmehr reproduzierte es ein verbreitetes zeittypisches Vorurteil, wenn es hieß: „Kein Einsichtiger wird die […] Entdeckung eines bislang verborgenen weiblichen Lionardo [sic!], Michelangelo, Grünewald, Bramante, Cimabue, Rembrandt, Rubens, Phidias erwarten“, womit die Meßlatte natürlich extrem hoch angelegt wurde und an der auch die meisten künstlerisch tätigen Männer gescheitert wären. Und weiter: „Nur in seltensten Fällen drang die Frau, gleich der Heiligen Hildegard von Bingen, der Dichterin und Miniaturmalerin des frühen Mittelalters, in jene Region vor, in der die schöpferischen Urkräfte wirken. Das Allerhöchste aber hat eine Frau als gestaltende Künstlerin noch nie erstrebt, geschweige denn erreicht. Und es fragt sich, ob sie es je erreichen wird.“ Die in der „Maestras“-Schau und im Katalog unter der Überschrift „Moderne und Avantgarde“ vorgestellten Arbeiten von Künstlerinnen wie Alice Bailly, Sonia Delaunay-Terk, Helene Funke, Käthe Kollwitz, Paula Modersohn-Becker, Sophie Taeuber-Arp und anderen verlangen indes eine grundsätzliche Revision dieser von männlicher Hybris und tief verankerter Misogynie zeugenden Einschätzung. Eine Fülle dazu nützlicher Argumente liefert am Ende des lesenswerten Katalogbuches die spanische Kunstwissenschaftlerin Rocío de la Villa, Professorin an der Universidad Autónoma de Madrid und Kuratorin der „Maestras“-Ausstellung im Madrider Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, mit ihrem umfangreichen Essay „Maestras“, der sie als eine der profiliertesten zeitgenössischen Repräsentantinnen der feministischen Kunstgeschichte ausweist.

Katalog
Maestras. Malerinnen 1500-1900
hrsg. von Julia Wallner und Susanne Blöcker
mit einem Beitrag von Rocío de la Villa
Landes-Stiftung Arp Museum
ISBN 978-3-933085-12-2

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