Unbekannte Bilder der großen Malerin Angelika Kauffmann präsentiert in diesem Sommer die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz. Stefan Diebitz hat sich den schönen Katalog angeschaut.
Es kann ja gelegentlich ganz nett sein, sich gegen den Geist der Zeit zu stellen, und es mag auch für erwünschte Publicity sorgen, einige anstößige Thesen zu vertreten, aber soll ein Maler deshalb wirklich so weit gehen, Frauen das Talent für die Malerei abzusprechen? Georg Baselitz, dessen Hochschätzung ja nun auch nicht von allen geteilt wird – das ist der Maler, der seine Bilder so gerne auf den Kopf stellt –, Meister Baselitz also hat sich ganz weit aus dem Fenster gelehnt und von der Frau an sich und als solcher behauptet, sie könne nicht malen. Seine Begründung? Das Preisschild! Weil die von Malerinnen erzielten Preise nicht mit denen von Männern mithalten könnten, sei es erwiesen, dass es ihnen an Talent fehle.
Hier kann es nicht darum gehen, Preise zu vergleichen, aber vielleicht dürfen wir ganz vorsichtig auf den Umstand hinweisen, dass die Kunstgeschichte doch ein oder zwei nicht ganz gar unfähige Malerinnen kennt; und eine der bedeutendsten zumindest in der deutschen Kunstgeschichte ist zweifellos Angelika Kauffmann (1741–1807), in ihrer Zeit ein Star der europäischen Malerei, berühmt vor allem für ihre Porträts, die sehr, sehr gut bezahlt wurden, so gut, dass aus ihr eine wohlhabende Frau wurde. Wer weiß, vielleicht hätte sogar Herr Baselitz sie nach einem Blick auf ihre Steuererklärung akzeptieren können?
Angelika Kauffmann führte ein sehr bewegtes Leben, das sie für lange Jahre aus der Schweiz nach Deutschland, England und Italien führte. Schon deshalb muss man sie als eine europäische Größe ansehen. Die Voraussetzungen eben dafür hätten aber auch nicht besser sein können. 1741 in Chur als Tochter eines Freskenmalers zur Welt gekommen, wuchs sie zunächst in der Schweiz, später dann in Italien auf, am Comer See und in Mailand, erhielt eine gute Schulbildung, dank derer sie fließend mehrere Sprachen beherrschte, bewegte sich in Mailand am Hof des Herzogs Modena d‘Este und galt als zeichnerisches Wunderkind. Bereits mit zwölf malte sie das erste von vielen Selbstbildnissen, und nur wenig später reiste sie mit ihrem Vater durch Süddeutschland und nahm an dessen Arbeit teil, der Ausmalung von Kirchen.
Ihr Vater schuf Fresken, sie selbst aber hauptsächlich Porträts, immer wieder auch von Prominenten, so bereits in Italien von dem berühmten englischen Schauspieler David Garrick. Ab 1766 lebte sie in England, wo sie 1768 – also in noch sehr jungen Jahren – zu den Gründungsmitgliedern der Royal Academy zählte. 1782 zog sie mit ihrem zweiten Ehemann nach Rom, wo sie unter anderem Johann Wolfgang Goethe und Johann Gottfried Herder zu Besuch empfing. Für Goethe schuf sie Illustrationen für den »Egmont« und die »Iphigenie«. Ihre späteren Arbeiten waren stark religiös geprägt; frühe Gemälde sind noch dem Rokoko zuzuordnen, aber mit den Bildern ihres Alterswerks deutet sie schon auf die Romantik und die Nazarener voraus.
Eine Ausstellung in Dessau richtet den Focus natürlich besonders auf das freundschaftliche Verhältnis Angelika Kauffmanns zu der fürstlichen Familie von Anhalt-Dessau, das von Wolfgang Savelsberg in einem eigenen Katalogbeitrag gewürdigt wird. Sonst sind Katalog und Ausstellung darum bemüht, das Lebenswerk Kauffmanns in allen seinen Facetten in grob chronologischer Ordnung vorzustellen. Das erste von zwölf Kapiteln ist Kauffmanns Fremd- und Selbstbildnissen gewidmet, das zweite thematisiert die expressive Kraft ihrer Gemälde, und dann folgen die Kapitel ihrem Lebensweg über Italien nach England und zurück nach Rom. Eigene Kapitel stellen die »Porträtmalerin« und die »Radiermeisterin« vor, und auch ihr zweiter Ehemann, Antonio Zucchi, wird in einem eigenen Kapitel vorgestellt.
Trotz ihrer im Katalog keinesfalls vergessenen Illustrationstätigkeit war und ist Angelika Kauffmann eine Porträtistin, darin liegen ihre Stärke wie ihre Schwäche. Anlässlich eines Bildnisses von Louise Henriette Wilhelmine, Fürstin von Anhalt-Dessau, beschreibt Bettina Baumgärtel die Arbeitsweise einer erfahrenen, ihrer handwerklichen Fähigkeiten sicheren Malerin. Sie scheint nicht länger als fünfzehn bis zwanzig Arbeitsstunden an einem Brustbild ohne Hände gearbeitet zu haben: »Der Pinselstrich«, schreibt Baumgärtel dazu, »vermittelt eine sichere alla prima Malweise mit hauchdünnen Lasuren«, und zitiert die offenbar ganz uneitle Fürstin, die bei der Begutachtung des fertigen Bildes anmerkte, dass »sie in der Realität nicht an dieses hübschere und jüngere Konterfei heranreiche.«
In seinem Katalogbeitrag schreibt Savelsberg über dieses Bild, dass das »Fehlen jeglicher Repräsentationsformeln, stattdessen eine die individuellen Züge der Fürstin betonende Nahsichtigkeit […] der im Freundschaftskult gefeierten Innerlichkeit« entspreche. In der Nachfolge Rembrandts (oder doch wenigstens von diesem beeinflusst), fand sie zu einem Typus des Freundschaftsbildes, für das, wie Savelsberg darstellt, »das wesentliche Moment der intensive Blickkontakt« bildete, »eben die stumme Zwiesprache zwischen der dargestellten Person und dem Betrachter. Es sollte sich allein das Gesicht als Spiegel der Seele aussprechen.«
Aber auch ein Bewunderer Kauffmanns kann nicht ganz von ihren Schwächen absehen, und in diesem Zusammenhang zitiert der Autor aus den »Erinnerungen« des Schriftstellers Friedrich von Matthisson (1761–1831), der feststellt, dass der »Hauptpunct in der Porträtmahlerey, die Ähnlichkeit, nicht ganz von der Künstlerin getroffen« wurde. Das lässt sich ganz offensichtlich von manch anderen Porträts noch sagen, und vielleicht war das ja auch – zusammen mit ihrem großen Können – ein Geheimnis ihres Erfolgs.
Savelsberg wundert sich darüber, dass »Matthisson die Absicht der Künstlerin, durch das idealschöne Gesicht der Fürstin deren vollkommene Integrität, deren Reinheit und Schönheit der Seele darzustellen, nicht erkennt.« So kann man das natürlich ausdrücken… Und dass sie die Gegenstände ihrer Porträts ein wenig zu hübsch darstellte, lässt sich wohl ebenfalls über ihre Selbstbildnisse sagen. Über eines schreibt Baumgärtel: »Denn obwohl sich hier eine über 60-Jährige wiedergibt, zeigt sie sich faltenlos und mit braunen, kaum ergrauten Haaren.« So »vermeidet sie es, die Spuren ihres Alterns in veristischer Schärfe wiederzugeben«. Ebenso verhielt sie sich bei ihren Kunden – ohne diese Schmeicheleinheiten wäre sie vielleicht nicht die erfolgreiche Porträtistin geworden, deren Ruhm noch nach über zweihundert Jahren nicht verblasst ist.
Es steht aber außer Zweifel, dass ihr einige außergewöhnlich hochwertige Porträts gelungen sind, und man gewinnt den Eindruck, dass sie besonders bei mit ihr eng befreundeten Kollegen ihr ganzes Können abrief. Das gilt zum Beispiel für das Brustbild des Giovanni Volpato von 1795 und ebenso für das Bildnis Johann Friedrich Reiffensteins von 1794. Beide nicht sehr berühmten, aber trotzdem nicht unwichtigen Maler beeinflussten ihre Kunst, verhalfen ihr aber auch zu Aufträgen oder auf andere Weise zu Einnahmen. Ihre Porträts sind großartig.
Der Katalog zeigt zusätzlich zu den in der Ausstellung präsentierten Gemälden und Grafiken Kauffmanns zahlreiche für ihre Entwicklung wichtige Bilder, an denen man die Einflüsse auf ihr Schaffen gut ablesen kann. Die sehr detaillierte, faktengesättigte Kommentierung der 87 Gemälde und Radierungen durch Bettina Baumgärtel – sie forscht buchstäblich seit Jahrzehnten zu Kauffmann – wird ergänzt durch maltechnische Anmerkungen von Inken M. Holubec, so dass der Katalog eine sehr solide Grundlage für die Beschäftigung mit dieser wichtigen Künstlerin darstellt.
Angelika Kauffmann: Unbekannte Schätze
Hg. von Bettina Baumgärtel für die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz
Hirmer Verlag, ISBN: 978-3-7774-3084-3, Ladenpreis 39,90 €