Ausstellungsbesprechungen

Max Beckmann. Die Stillleben, Hamburger Kunsthalle, bis 18. Januar 2015

Mit mehr als fünfzig Gemälden stellt die Hamburger Kunsthalle in diesem Herbst die Stillleben Max Beckmanns vor. Die überraschenden Aspekte dieses Genres werden in fünf Sälen und zwei kleineren Räumen demonstriert, durch die Stefan Diebitz gewandert ist.

Fast von Beginn seines künstlerischen Schaffens an hat Max Beckmann Stillleben gemalt, und so umfasst die Hamburger Ausstellung zwar nicht sein gesamtes Werk, wohl aber einen wesentlichen Ausschnitt. Das erste Gemälde, die impressionistische Darstellung von Hyazinthen und einem Kristallglas, malte 1907 ein erst dreiundzwanzigjähriger Künstler, das letzte Bild schuf ein weltbekannter Künstler kurz vor seinem Tod in New York. Nun könnte man denken, dass es ziemlich langweilig sein muss, immer nur Sachen auf einem Tisch mit Blumenstrauß zu malen, aber Beckmann wäre nicht Beckmann gewesen, wenn er nicht auch hier die Grenzen gesprengt hätte. Die Kuratorin Karin Schick bezieht sich auf diese Vielseitigkeit, wenn sie im Katalog schreibt, dass das Stillleben für ihn »eine Schnittstelle von Empfindung und Geist, von Natur und Abstraktion« war. Viele seiner Stillleben hat er einerseits Atelierbildern, andererseits Landschaften angenähert und schließlich sogar mit Porträts kombiniert – so ist diese Ausstellung erstaunlich vielseitig und anregend.

Beckmanns Gemälde wirken auch deshalb so außerordentlich wuchtig und kraftvoll, weil er von 1927 an viel Schwarz in seine Farben mischte; zusätzlich pflegte er seine Figuren schwarz zu umranden. Solche Bilder vertragen nicht nur viel Platz um sich, sie fordern ihn geradezu. Wenn man die lichten und klar gegliederten Ausstellungsräume betritt, steht man großzügig gehängten, zum Teil schwarz gerahmten Gemälden in oft kräftigen Farben gegenüber, so dass der Eindruck vorweggenommen wird, den die einzelnen Gemälde und ihre Figuren auf den Betrachter ausüben, und der Besucher tatsächlich vom ersten Schritt an im Bann dieser Kunst steht.

Schwarz spielt auch sonst in manchen Bildern eine Rolle. Karin Schick weist darauf hin, dass Beckmann von 1927 an seinen Objekten »eine dunkle, unheimliche Seite« hervorhob. Einmal ist eine schwarze Katze das Symbol des Unheimlichen, nämlich in dem »Stillleben mit Weingläsern und Katze« von 1929, aber auch sonst finden sich immer wieder schwarze Objekte oder Figuren, die sich gelegentlich kaum identifizieren lassen. Beckmann war nicht nur an den Wissenschaften interessiert, sondern besaß auch eine ausgeprägte Vorliebe für Mystik und Esoterik, und in einer während des Krieges in London gehaltenen Rede sprach er sogar von der »Gottheit des Raumes«. Eben diese Grundhaltung spiegelt sich in seinen Stillleben.

Die Ausstellung ist in sieben Kapitel gegliedert, von denen »Stillleben mit Tisch und Interieur« dem tradierten, in die Moderne übertragenen Konzept des Stilllebens entspricht, wogegen in »Stilleben als Architektur«, »Stillleben mit Landschaft« und »Stillleben mit Figur« die Gattungsgrenzen in einer höchst eigenwilligen Weise übersprungen werden. In dem ersten der großen Räume, in dem sich die traditionellen Stillleben finden, begegnet man sogar noch den herkömmlichen Vanitassymbolen, also Uhren, angefaultem Obst oder anderen Zeichen der Vergänglichkeit.

Auch Fische kommen natürlich immer wieder vor, genauso wie Muscheln, die auf diesen Bildern wohl nicht von jedermann als erotisches Motiv wahrgenommen werden. Schließlich sieht die von Beckmann immer wieder gemalte Muschel – eine »Große Fechterschnecke« aus der Karibik, die in seinem Besitz war – in seinen Bildern dank ihres klaffenden Maules aus wie ein animalisches Wesen. In seiner Amsterdamer Zeit – 1937 floh Beckmann ins holländische Exil, wo er bis 1947 unter offenbar wenig erfreulichen Umständen ausharren musste – malte er dazu Kerzen, die ebenfalls auf die Vergänglichkeit hinweisen. Auch die Kerzen also dienten ihm als Symbol, aber gleichzeitig griff er auf sie als einen Teil seines täglichen Lebens zurück, in dem es kein elektrisches Licht gab.

Der Besucher ist nicht wenig überrascht, sogar Totenköpfen zu begegnen, die man sonst doch eher in Bildern und an Gedenkkapellen des 17. Jahrhunderts erwartet. 1945 schreckte Beckmann nicht vor einem »Totenkopfstillleben« in expressionistisch giftigen Farben zurück, das sich heute in Boston befindet. Das 17. Jahrhundert war eine Zeit des Krieges, so dass man das Momento mori in Kunst und in Literatur gut versteht, aber die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war ebenfalls eine solche Zeit, die Beckmann durchleiden musste wie andere auch – so lag es wirklich nahe, auf das Momento mori einer längst vergangenen Epoche zurückzugreifen. Das Besondere an Beckmanns Malweise tritt an diesem »Totenkopfstillleben« sehr schön hervor, denn alles – die Schädel, die Flasche Wein, ja selbst die Spielkarten – wirkt enorm plastisch. Beckmann war sehr an der Darstellung des Raumes interessiert und sah in der strikten Ablehnung eines flächigen Malstils sogar lange das Markenzeichen seiner Kunst, bevor er sich am Ende seines Lebens bekehrte und ebenfalls flächig zu malen begann.

Der Raum als Thema bestimmt viele Bilder, so etwa »Orchester« von 1932, das aber wohl eher den Orchestergraben thematisiert, oder das »Stillleben mit Grammophon und Schwertlilien« von 1924, das in manchem an Picasso erinnert, besonders darin, dass es zwei Perspektiven miteinander vereinigt, die eines normalen, die andere eines überhöht die Szene überschauenden Menschen, so dass der Blick auf das vor einem Spiegel stehenden Tischchen ganz von oben erfolgt. Offenbar verfolgte der Maler hier eine ganz eigene Bildstrategie, die Uwe Schneede in seinem Katalogbeitrag beschreibt. »In jedem dieser Fälle ist das Motivrepertoire des Stilllebens um Figuren bereichert, die ihre eigene Räumlichkeit, Perspektive oder Maßstäblichkeit, aber auch ihre spezifische Inhaltlichkeit mitbringen.«

»Ich bringe es fertig, immer mehr fertig, gänzlich gegenständlich und doch ungegenständlich zu arbeiten.« schrieb Beckmann 1926. Als Beispiel für dieses Ineinander von Gegenständlichkeit und Abstraktion dient in der Ausstellung das Bild »Sunflower«, das wahrscheinlich nach einem Jazzschlager benannt wurde. In dem linken Teil des Bildes kann man eine halb verblühte Sonnenblume erkennen, die offenbar irgendwo in einem Raum steht. In dem rechten Teil des Bildes aber schaut der Betrachter wohl auf die Spiegelung der Blume, deren Bild sich ganz in seine Strukturen aufgelöst hat.

Die schönsten und vielleicht innovativsten Bilder sind jene, die den Blick auf eine Landschaft mit einem Stillleben vereinen. Natürlich sind es Fensterbilder, und das Fensterbrett dient als Tischchen, auf dem zum Beispiel Fische liegen wie auf dem Gemälde von 1931, das eine »Kirche in Marseille« zeigt. Etliche dieser Bilder scheinen Sehnsuchtsbilder zu sein, etwa »Blick auf Menton mit Lilientopf«, das er 1940 in Amsterdam malte – Menton liegt an der Côte d’Azur.

Die in allen ihren Teilen interessante und vielseitige Ausstellung ist ebenso empfehlenswert wie der sorgfältig erstellte schöne Katalog.

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