Miriam Vlaming trotzt der selbst inszenierten Verfremdung eine Wirklichkeit ab, die den Betrachter der Mannheimer Ausstellung »You Promised Me« nicht kalt lassen kann: beklemmend, als stünde der Untergang unmittelbar bevor, zieht man sich diese Wald-, Innenraum- und Staffagelandschaften wie in Erwartung eines Rauschzustands 'rein.
Landschaften sind es – entgegen dem vielfach vollzogenen Genrewechsel ins Interieur oder Bildnis –, denn wo ein mutmaßliches Krankenzimmer eine »Morgendämmerung« genannt wird oder posierende »Herrschaften« ein ältlicher Herrenclub zu sein scheinen, dessen Gruppenfoto in ein Waldstück verpflanzt wurde, ist die Natur allgegenwärtig – natürlich nicht pantheistisch verklärt, sondern eher als Zwangssymbiose miteinander verbunden. Immerhin ist der größte Feind dieser Natur der Mensch, der in ihr leben muss.
Miriam Vlaming (geb. 1971) gehört zu den begabtesten und experimentierfreudigsten Absolvent(inn)en aus der Klasse des Leipziger Kultprofessors Arno Rink, wobei man gerade den Künstlerinnen eine Lanze brechen sollte, da sie oftmals und das zu Unrecht namentlich untergehen: u.a. seien genannt: neben Caroline Kober, die wie Andreas Wachter schon bei Rink studierte, als die Schule in Leipzig noch nicht im Rampenlicht stand, dann Katja Enders, Katarina Jurk, Verena Landau, Julia Tomasi Müntz, Judith Ostermeyer. Vlaming geht über die Malerei ihrer Kollegen hinweg, am nächsten Matthias Weischer, dessen Déja-vu-Räumlichkeiten ähnlich fremdartig, aber nicht in diesem Maße unheimlich wirken.
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Miarian Vlaming geht von Fotomotiven aus, die sie bis zur Kenntlichkeit in vielen Schichten und während eines langen Arbeitsprozesses verfremdet, im Vokabular der Märchen würde man sagen können: verzaubert. »You promised me«, der Titel der Ausstellung (immer wieder bei Vlaming englischsprachig und apellativ), lässt Fragen nach einem halbwegs abgebrochenen Verlangen zu: Wer versprach wem, und dann: was? Angesprochen scheint sich im Personal der Gemälde jedenfalls niemand zu fühlen, zumal es, auf unsicherem Grund, mit sich selbst zu tun hat. Über den großformatigen Bildern hängt schwere Melancholie, die sich genauso in einer gegenständlichen Figurenszenerie ausdrücken kann wie in einem abstrakten, herbstlich tönenden Farbenstrudel. Ganz bewusst geht die Malerin von einem gegenstandslosen Malgrund aus, den sie figurativ »auffüllt«, um rückbezüglich eine Wechselspannung zu erzeugen, die gelegentlich auch abstrakt-konkrete Schriftzeichen einbezieht. Insbesondere die jüngsten Arbeiten lassen den Menschen jedoch zugunsten ornamental-dekorativer Stoffmuster zurücktreten, die jedoch durchaus symbolhafte Stellvertreterfunktion haben.
Im Wesentlichen versteht Vlaming ihre Kunst als Erinnerungsarbeit, auch in kultureller Hinsicht, weshalb sie eine nahezu altmeisterliche Arbeitsweise und Materialverwendung bevorzugt. »Ich mische die Farbe selbst an«, sagte sie in einem Interview, »damit ich ihre Konsistenz und das Mischverhältnis bestimmen kann. Das ist ursprünglicher als die Farbe fertig im Geschäft zu kaufen. Ei-Tempera war das Malmittel der alten Meister. Sie ist kreidig und glänzt nicht. Das mag ich. Der Prozess des Anrührens der Farbe ist eine Vorlaufphase, in der ich bereits ein Gefühl für das entstehende Bild bekomme. Es ist ein Prozess des Sich-Sammelns. Ich betreibe sozusagen ›Archäologie‹ in meinen Bildern.« Allerdings heißt das nicht, dass sie nur »pinselt«: Mit Schwämmen, Bürsten und sogar mit ihren Händen setzt sie ihre Spuren, in ihrem Vokabular »Zwischentöne«, auf die Leinwand.
Mit rund 50 Arbeiten aus den vergangenen fünf Jahren ist die atemberaubende Mannheimer Schau eine der ersten monografisch ausgebreiteten Ausstellungen der Künstlerin in einem größeren Museum geworden. Es ist keine Frage, dass dies nicht die letzte Station für Miriam Vlaming sein wird.
Öffnungszeiten:
Di–So 11.00–18.00 Uhr
Katalog:
Miriam Vlaming: You promised Me. Hrsg. von der Kunsthalle Mannheim. Bielefeld: Kerber, 2008.
ISBN 978-3-86678-204-04