Ausstellungsbesprechungen

Nitsch, Hermann. Eine Retrospektive. Werke aus der Sammlung Essl

Den einen dreht es nach wie vor den Magen herum – verletzt geben sie sich zudem in den religiösen Gefühlen –, die anderen fühlen sich in eine prähistorische Stufe des Menschseins entrückt, die noch keinen Unterschied macht zwischen Religion und Alltag.

Selbst 40 Jahre nach den ersten blutig-orgiastischen Mysterienspielen von Hermann Nitsch schlingert man als Betrachter seiner Aktionen zwischen Ablehnung und Fürsprache hin und her. Zum 65 Geburtstag des Künstlers zeigt die Sammlung Essl ihre Bestände: rund 180 Werke des österreichischen Enfant terrible. Konzipiert wurde die Ausstellung von Nitsch und dem Komponisten Karlheinz Essl.

Ausgerechnet im eher als beschaulich geltenden Österreich regte sich in den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts ein im künstlerischen Sinn dionysischer Aktionismus, gegen den die zeitgleichen Aktionen von Joseph Beuys in der Bundesrepublik fast apollinisch-poetisch erschienen. Der Rausch war so schnell zu haben, wie die Ernüchterung auch schon auf dem Fuße folgte. Nachdem Hermann Nitsch bereits nach dem Besuch der graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien 1957 an der Idee eines »Orgien Mysterien Theaters« gebastelt hatte, begann er in den frühen 60ern, nackte Hobby-Models in seine Aktionen einzubinden. Doch was heute ungebremst in der Werbung stattfindet, brachte dem Künstler damals Gefängnisstrafen ein. Dabei war er nicht allein. Mit dem Selbstzerstümmler von damals, Günter Brus, gründete er 1969 die »Österreichische Exilregierung« (auch Gerhard Rühm und Oswald Wiener waren mit von der Partie). Otto Mühl und der früh verstorbene Rudolf Schwarzkogler ergänzten das lose verbundene Quartett der tabulosen Lebens- und Kunstformer.

Die Mitstreiter von einst sind von der Aktionistenbühne abgetreten – nur Nitsch schüttete weiterhin Blut und Farbe über Leinwände, näherte sich mit ausgeweideten Tierkörpern seinem »6 Tage Spiel«, das erst 1998 realisiert werden konnte als eine Art Abschluss seines Lebenswerks – es fand in Schloss Prinzendorf statt, das Nitsch 1971 ankaufte. Auch öffentliche Anerkennung wurde ihm zuteil: 1988 übernimmt der 50-Jährige eine Klasse für interdisziplinäre Kunst an der Hochschule für bildende Kunst in Frankfurt (Städelschule), 1989 zudem eine Klasse für Malerei an der Salzburger Sommerakademie. Ein Triumph für den Musikliebhaber wird 1995 der Auftrag der Wiener Staatsoper, Massenets »Hérodiade« auszustatten, gewesen sein; 2001 folgte die Arbeit für Philipp Glass’ »Satyagraha« am Festschauspiel St. Pölten. Zur Eröffnung der Essl-Ausstellung in Klosterneuburg drängelten sich mehrere hundert Besucher durch die Hallen, um die 115., dreistündige Aktion mitzuerleben, die einmal mehr den Bezug der Nitsch-Aktionen zur griechischen Tragödie, zur christlichen Kreuzsymbolik und zum Scheitern als existenziell-menschliches Schicksal zeigt: »was bleibt ist die unerschöpfliche kraft der tatsache des numinosen, die kraft des dionysischen werdens und die katharsis, die das bewusstmachen der uns innewohnenden natur möglich macht« (Nitsch).

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Das Phänomen Nitsch ist mit solchen Daten noch nicht erklärt. Der dauerhafte Erfolg ist sicher mehreren Faktoren zuzuschreiben: Da ist zunächst das freundschaftliche Verhältnis von Künstler und Sammler; denn eine Kunst, die derart in der Magengegend kribbeln kann, braucht einen unbedingten Rückhalt in der Vermittlerinstanz (wie steht es mit den Katakombenheiligen? Ratgebs Kreuzigung? Rembrandts geschlachtetem Ochsen?). Da ist zweitens eine Symbolsprache, die bei allem Unbehagen unmittelbar einleuchtet; das Blut in Verbindung mit Kreuzigungschiffren gibt den Aktionen eine religiös-liturgische Ebene, die mancher freilich als blasphemisch ansieht – der dabei gleichzeitig übersieht, dass die katholische Blutmystik des Mittelalters oder der Reliquienkult gleichsam die Distanz zwischen Kult, Gebärde, Glaube und Betrachtung aufzuheben bemüht ist. Da ist schließlich eine Redlichkeit, die allzu schnellen Attacken den Wind aus den Segeln nimmt; pornografisch ist Nitschs Kunst nicht, weil sie nicht auf Lusterfüllung abzielt, sie ist auch keine Aktion auf Kosten des Steuerzahlers, weil Nitsch – wie ja auch Christo und Jeanne-Claude – selbst die Gelder dazu aufbringt, und seine Mysterienspiele sind weit entfernt von Tierquälerei, weil die Tiere fachgerecht geschlachtet (und auch verspeist) werden.

Mehr als die Wiener Aktionskollegen versteht es Hermann Nitsch, Theater, Malerei und Lebensgefühl zusammenzuführen. Dass er bis heute kontrovers diskutiert wird wie kaum ein anderer Künstler, mag zumindest signalisieren: Diese Kunst lässt den Betrachter nicht gleichgültig – im Guten wie im Bösen. Und gerade die Abscheu in trauter Vereinigung mit einer nicht von der Hand zu weisenden Faszination zeigt, dass der Betrachter in der Regel noch nicht durch Medien oder Reizüberflutungen anderer Art völlig abgestumpft ist. So gesehen, kann man die Blutbilder von Nitsch auch als parabelhafte Lehrstücke auffassen.

 

Weitere Informationen

 

Öffnungszeiten
Dienstag – Sonntag 10–19 Uhr
Mittwoch 10–21 Uhr

Eintrittspreise
Erwachsene 6,-- EURO / erm. 4,50 EURO

Führungen
Samstag 17.00 Uhr
Sonntag 15.00 Uhr

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