Wie erinnert man sich an etwas, dass man selbst nicht erlebt hat? Elke Neumann, Kuratorin der Ausstellung »Palast der Republik – Utopie, Inspiration, Politikum«, hat den Palast der Republik nie mit eigenen Augen gesehen. Durch das Zusammenführen faktischer Informationen, emotionaler Überlieferungen und Erinnerungen anderer gab sie einen Ausstellungskatalog heraus, der in der Beschäftigung mit dem Palast der Republik auf keiner Literaturliste fehlen darf. Portal Kunstgeschichte hat ihn gelesen.
Durch den Schwerpunkt der Kunsthalle Rostock auf osteuropäischer und ostdeutscher Kunst befindet sich die Auseinandersetzung mit dem Palast der Republik genau am richtigen Ort. Die Bauten haben außerdem eine bedeutende Gemeinsamkeit: Sie beide sind Kulturinstitutionen der DDR. Der Palast der Republik gilt als der bekannteste Kulturbau, die Kunsthalle Rostock war der einzige Neubau eines Kunstmuseums der DDR. 1973 bis 1976 auf dem Gelände des ehemaligen Berliner Stadtschlosses als Prestigebau errichtet, sollte der Palast der Republik sowohl als Regierungsgebäude der DDR wie auch als Kulturhaus mit vielen Veranstaltungsräumen genutzt werden. 1990 wurde der Bau, der Geschichte schrieb, wegen Asbestbefall geschlossen und 2006–2008 niedergerissen. 2020 soll an seiner Stelle das umstrittene Humboldt–Forum eröffnet werden. Der Abriss des Palastes der Republik sorgte für hitzige Kontroversen und gab den Impuls für zahlreiche künstlerische Arbeiten. Elke Neumann untersucht die soziologischen, künstlerischen und emotionalen Aspekte des Palastes der Republik an verschiedensten Medien, vor allem an fotografischen Arbeiten. Statt einer linearen (Architektur–) historischen Darstellung, macht der Katalog das politische Bauwerk über künstlerische Arbeiten und gleichzeitig das kulturpolitisch brisante Thema (Ost–) Deutschlands erfahrbar.
Der Schwerpunkt des Kataloges liegt auf der fotografischen Dokumentation. Sie reicht über die kameratechnische Begleitung des Baues in der Konstruktion (Georg Eckelt) über menschenleere, vormals bedeutende Räume (Doug Hall) bis zur Darstellung der grafischen Eleganz des entkernten Baues (Christoph Eckelt, Christoph Rokitta). Die Serie »Ein Tag in Ost–Berlin« (Kurt Buchwald) bezieht die städtische Umgebung mit ein und bedient sich der Störung als Mittel zur Steigerung der Aufmerksamkeit. Soziologische Aspekte wie der Alltag im Palast der Republik (Gerd Danigel), das Publikum der Unterhaltungsmaschine (Thomas Sandberg) und die demonstrierende Masse (Jörn Reißig) werden ebenso bildlich festgehalten.
In einem Interview bezieht sich die Künstlerin Gertraude Pohl auf den Alltag der Baustelle und den Abriss. Pohl gestaltete die Marmorintarsien des Hauptfoyers, auch für sie blieb der Entschluss zum Abriss des Baus bis zuletzt nicht nachvollziehbar, weswegen Pohl 2007 mit »Texten auf Tüten« und 2010 mit »Wahnsinn–Kreuzworte in den Proportionen eines Palastes« ihr Unverständnis dieser Entscheidung gegenüber kundtat. Neben Pohl zählte auch Klaus Wittkugel zu den wesentlichen Gestaltern des Palastes der Republik. Er ist der Designer zahlreicher Plakate und des charakteristisch geschwungenen Signets des Palastes der Republik, das zahlreiche Ausstattungsstücke ziert.
In der Zeit der Zwischennutzung, 2004–2005, prangte das Wort »ZWEIFEL« in Leuchtbuchstaben am Dach des Gebäudes. Lars Ø. Ramberg schuf einen »Palast des Zweifelns« und wollte damit ein konkretes Zeitgefühl greifbar machen. Bazon Brock greift dieses Zeitgefühl in einem Essay auf und beschäftigt sich mit der Frage »Was tun mit dem Palast der Republik?«. Er kommt wiederholt zum Schluss, dass der Palast der Republik ein weltweit einzigartiges Monument der Vergangenheit und die schönste Neubauruine geworden wäre, hätte man ihn bloß zu einer Ruine gemacht und nicht abgerissen.
Der physisch nicht mehr erfahrbare Palast der Republik aus der DDR–Zeit fasziniert bis heute. Der vorliegende Katalog gewährt den Leser*innen einen Überblick über die vielseitigen und zahlreichen künstlerischen Arbeiten, die in der Auseinandersetzung mit dem Bau beziehungsweise in situ entstanden sind. Angereichert durch Interviews mit Künstler*innen und Beiträgen von Expert*innen, erweitert dieses Werk gekonnt den rein baumonographischen Zugang. Architektur, Design und Kunst werden gleichermaßen berücksichtigt und in den jeweiligen Phasen (Bau – Nutzung – Zwischennutzung – Abriss) kontextualisiert. Der Publikation gelingt es, Zeitgeist mit Hilfe der Kunst einzufangen und so ein bedeutendes Kapitel deutscher Kulturgeschichte auf spannende Weise erfahrbar zu machen – ganz gleich ob man diese Phase selbst erlebt hat oder nicht.