Ausstellungsbesprechungen

Paul Schneider von Esleben — das Erbe der Nachkriegsmoderne, Düsseldorf, bis 25. September 2015

In diesem Jahr hätte er seinen 100. Geburtstag gefeiert: Paul Schneider von Esleben. Seine Bauten sind vor allem im Ruhrgebiet zu finden, seine Ästhetik bedeutete einen Bruch mit der der Nationalsozialisten und allein in Düsseldorf finden sich acht Gebäude, die seine Handschrift tragen. Also höchste Zeit für eine Ausstellung an »Original-Schauplätzen«! Susanne Braun hat sie besucht.

Er steht wohl wie kaum ein anderer für den radikalen Bruch mit der Ästhetik der Nationalsozialisten und das optische Erscheinungsbild des Wirtschaftswachstums: Paul Schneider von Esleben (1915-2005), kurz »PSE« genannt. Allein in seiner Geburtsstadt Düsseldorf hat er mit dem Mannesmann-Hochhaus, der Roland-Schule, der Haniel-Garage und der Rochus-Kirche markante Bauten hinterlassen, die sowohl mit ihrer Inneneinrichtung als auch mit ihrem äußeren Erscheinungsbild für eine avantgardistische Ästhetik und innovative Lebenskonzepte stehen. Dabei ist der stets modisch gekleidete PSE selbst zu einer prägnanten und nicht immer unumstrittenen Ikone avanciert, der zahlreiche Titelseiten von Zeitungen und Magazinen zierte und zum internationalen Jet-Set gehörte.

»Mein Vater war ein sehr provozierender Mensch, ein Rebell. Das war einfach sein Charakter und wenn er nicht so gewesen wäre, hätte er nicht bauen können. Man muss gegen den Strom schwimmen, wenn man innovative Sachen machten möchte«, beschreibt Tochter Claudia Schneider-Esleben ihren Vater. Bei der Arbeit ist er immer wieder auf unterschiedlichste Widerstände gestoßen. Sein Entwurf des in den 50er Jahren errichteten Mannesmann-Hochhauses etwa, der letztlich von der Jury begeistert gelobt wurde, konnte sich im ausgeschriebenen Architektur-Wettbewerb erst durchsetzen, nachdem sich einige Jury-Mitglieder mit Nazi-Vergangenheit entweder ganz zurückgezogen oder ihre strikt ablehnende Haltung aufgegeben hatten. Das 22-geschossige Hochhaus mit Glasfassade und Stahlskelett knüpft konsequent an das von den Nationalsozialisten unterdrückte Bauhaus-Prinzip und den International Style um Mies van der Rohe an, die PSE in den USA ausgiebig studieren konnte. Das für damalige Verhältnisse ungewöhnlich hohe Gebäude lässt in seinem streng sachlichen und schnörkellosen Stil keine Ähnlichkeit mit den damals üblichen Steinbauten erkennen. Dabei bot die gläserne Fassade des Mannesmann-Bürogebäudes nicht nur Raum für eine neue Offenheit, die speziell für diesen Bau konzipierte nahtlose Röhre der Mannesmann- Werke wurde zu einem Klassiker im modernen Hochhausbau.

Obwohl Paul Schneider von Esleben unterschiedlichste Gestaltungsideen entwickelt hat und sich nicht auf einen bestimmten Kern festlegen lässt, taucht diese sehr offene und reduziert-sachliche Note immer wieder auf. Auch eine Verbindung zum damals erschwinglich werdenden Auto lässt sich oft erkennen. Die am Rande des Düsseldorfer Stadtkerns errichtete Haniel-Garage beispielsweise ist ein Parkhaus mit durchgängig gläserner Fassade, das Platz für bis zu 400 Autos bietet und als Ausgangspunkt eines Park-and-Ride-Systems mit angeschlossenem Hotel fungieren sollte. Das ebenfalls von PSE errichtete Hochhaus der Wuppertaler Sparkasse bot Bankkunden erstmals die Möglichkeit, finanzielle Transaktionen vom Auto aus zu erledigen und steht außerdem mit seinen Großraumbüros für einen innovativen Umgang mit Mitarbeitern und Kunden. Auch der Flughafen Köln-Bonn warb nach seiner Eröffnung mit der Sensation, dass Reisende hier erstmals ihr Flugzeug in nur fünf Minuten erreichen konnten. Die direkt neben den sternförmigen Terminals gelegenen Parkhäuser machten es möglich.

Geschäftshäuser und öffentliche Bauten zählen sicherlich zu den bekanntesten Bauten, doch Paul Schneider von Eslebens kreatives Spektrum reichte viel weiter. In Haan-Gruiten, ganz in der Nähe von Düsseldorf etwa, hat Paul Schneider von Esleben für Familie Riedel ein Einfamilienhaus entworfen. Wieder lag ein Schwerpunkt des Konzepts auf der Mobilität: Das einstöckige Haus mit sehr viel Glas in der Fassade ermöglichte es den Mandanten von Herrn Riedel bequem vor dem Haus zu parken. Viel ungewöhnlicher aber war die Heizung in Decke und Fußboden sowie die aus alten Möbeln der Familie recycelte Wohnungseinrichtung. Obwohl das Haus im Dorf als ein Skandal galt, fühlt Familie Riedel sich hier bis heute sehr wohl.

Ebenso skandalträchtig wie ungewöhnlich war das Konzept der von 1957 bis 1961 errichteten Roland-Schule. Paul Schneider von Esleben wollte mit der althergebrachten Gestaltungsweise pädagogischer Einrichtungen brechen und eine Schule entwerfen, die die Kinder nicht einengte oder sogar einsperrte, sondern ihre Kreativität förderte. Das hatte etwa zur Folge, dass die Schule Anfangs zwar über ein Schultor, aber keinen Zaun verfügte. Außerdem ließ PSE die Künstler Joseph Beuys, Günther Uecker, Otto Piene oder Heinz Mack Kunstwerke als Spielzeuge für die Kinder entwerfen. Doch offenbar waren die Pädagogen nicht immer einer Meinung mit dem Architekten und seinen Mitstreitern. Die Ausstellung zeigt Gedichte von Lehrern der Schule, die mit Verweis auf die Gefahren für Kinder Veränderungen fordern und anprangern, dass die innovative Schule zum Gespött geworden sei.

Auch der Entwurf der unglaublich avantgardistische Rochus-Kirche mit einer riesigen Kuppel aus Spannbeton, die Paul Schneider von Esleben am Standort des im 2. Weltkrieg beschädigten und Anfang der 50er Jahre abgerissenen Gebäudes im Auftrag des Kirchenvorstands errichtet hatte, war Anlass für Streit und Meinungsverschiedenheiten. Im Volksmund »Atommeiler Gottes« und »Eierkopf« genannt, schätzte man das weitestgehend bilderlos und insgesamt ungewöhnlich karg gestaltete Gotteshaus so weit, dass man sich für eine Sanierung entschied. Wieder gab es viele Diskussionen: »Wie war die Zusammenarbeit mit ihm? Nicht einfach!«, beschreibt ein Begleiter des Sanierungsprozesses seine Erfahrungen mit PSE, »Kritik an seinen Grundrissen lehnte er rigoros ab. Er erwies sich als schroff, dogmatisch und unzugänglich, aber auch als sehr interessanter Gesprächspartner.« Andere behaupteten wieder, er habe sich gerne inspirieren lassen. Letztlich brüsteten sich die meisten Auftraggeber nach Fertigstellung mit »ihrem« modernen Architektur-Konzept, so dass Paul Schneider von Esleben sich nicht selten zu einem Hinweis auf die tatsächliche Urheberschaft des Bauwerks gezwungen sah.

PSE war offenbar eine schillernde Persönlichkeit mit vielen Facetten und scheinbar unendlich vielen Talenten. Durch seine Arbeit zieht sich das Bestreben, möglichst viel aus einer Hand anzubieten. Die meisten seiner Bauten hat Paul Schneider von Esleben um die entsprechend visionären Möbel und Kunstwerke ergänzt. Manches davon ist später sogar in Serie produziert worden, wie das für die Rolandschule entworfene Mobiliar aus Holz, das den Stil des gängigen Schulmobiliars über Jahrzehnte entscheidend geprägt hat. Seiner Tochter Claudia, selbst Designerin und Architektin, ist er als außergewöhnlicher Schmuckdesigner in Erinnerung geblieben: »Viele seiner Schmuckstücke sind sehr architektonisch. Er hat sich Konstruktionen ausgedacht, die kein Goldschmied wagen würde.« Besucher der Ausstellung können sich davon überzeugen, dass Paul Schneider Esleben außerdem ein genialer Zeichner war, der oft Eindrücke mit viel Humor auf unzähligen Zeichnungen festgehalten hat.

Die vom Museum für Architektur und Ingenieurskunst NRW konzipierte Ausstellung ist in mehreren Bauten Paul Schneider von Eslebens zu sehen und bietet viele lebendige Eindrücke an den authentischen Orten in Form von Fotos, Möbeln, Zeichnungen, Skizzen, Briefen oder Video-Interviews mit Weggefährten und lässt den Menschen greifbar werden.

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