Eine ungewöhnliche wie viel versprechende Form der Konfrontation wird derzeit im Deutschen Guggenheim in Berlin erprobt: Arbeiten von Künstlern unterschiedlicher Epochen und Gattungen, ausgewählt von zwei Kuratoren aus verschiedenen Sammlungen, sind dort für die Dauer einer Ausstellung gegenübergestellt zur wechselseitigen Erhellung.
Arkady Ippolitov von der St. Petersburger Eremitage und Germano Celant vom New Yorker Guggenheim Museum haben zwei Werkkomplexe vereint, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Holländische und flämische Druckgrafiken von Hendrick Goltzius (1558–1617) und seinen Zeitgenossen, reich an allegorischer Verrätselung, lebensvoller Energie und manieristischer Übersteigerung, bilden die Folie. Gegen diese ist die unterkühlte Bildwelt der Akte, Porträts und Blumen des amerikanischen Fotografen Robert Mapplethorpe (1946–1989) gesetzt.
In der „Robert Mapplethorpe und die klassische Tradition“ überschriebenen Sehschule vollziehen die Kuratoren einen Brückenschlag über die Jahrhunderte hinweg, der natürlich nicht motivisch funktionieren kann, wohl aber formal und kompositorisch. Dass Fotografie und Druckgrafik zweidimensionale Medien mit schwarzweißer Farbskala sind, ist dabei nur das offenkundigste der verbindenden Momente. Der weitaus spannendere Berührungspunkt, der in den Gegenüberstellungen aufgezeigt werden soll, liegt im Rückgriff auf tradierte Muster und Kompositionsprinzipien, mit dessen Hilfe auf jeweils eigene Art eine klassische Vorstellung vom Idealschönen formuliert wird.
Den raffinierten Verschränkungen und anatomischen Übertreibungen der Manieristen entspricht Mapplethorpes besessene Suche nach dem perfekten Körper, bei der er bevorzugt Tänzer und Athleten in strengen Choreographien posieren ließ. Reiner noch als bei Goltzius sind diese Leiber an klassischen Proportionen geschult, die hier allerdings durch eine kühle und ambivalente Erotik aufgeladen werden. Im Vergleich zur raumgreifenden Vitalität der Kupferstiche, die durch perspektivische Verzerrungen noch gesteigert wird, wirken die Fotografien Mapplethorpes statisch und ausgewogen. Beiden geht es um Leidenschaften und Affekte, ob dynamisch tobend bei den Manieristen oder aber in ihrer kalkulierten Beherrschung bei Mapplethorpe.
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Während der Bezug auf klassische Vorbilder im ausgehenden 16. Jahrhundert künstlerischer Konsens war, hat er bei Mapplethorpe einen verfremdenden und distanzierenden Effekt. Das lustvolle Spiel mit verschiedenen Identitäten und ein Oszillieren zwischen den Geschlechtern verortet seine Figuren schließlich so unverkennbar in ihrer Zeit, dass das klassische Zitat in den Hintergrund tritt – und mit Sicherheit auch nicht Mapplethorpes künstlerisches Hauptinteresse war.
So überzeugend die Entsprechungen zuweilen sind – wie z.B. zwischen Goltzius’ Tantalus und Mapplethorpes Thomas – so selten sind sie doch. Fremd bleiben sich beide Werkkomplexe, was jedoch kaum anders zu erwarten war und die Ausstellung nicht minder anregend macht. Schade nur, dass die wenigen Analogien weder in bildbegleitenden Texten noch im Katalog deutlich herausgearbeitet werden. Auch in der vom Museum angebotenen Führung werden die Grafiken leider nur mit Nebensätzen bedacht, sodass schnell klar ist: Mapplethorpe ist der Star.
Und der erscheint zweifellos unter neuen Vorzeichen, quasi geläutert. Die radikale und obsessive, immer auch problembelastete Seite seines Schaffens blendet die Ausstellung bis auf wenige Ausnahmen aus und zeigt vorrangig hochästhetische Werke voller Anmut und Klarheit. Der 42-jährig an Aids verstorbene Skandalkünstler wird in der weißen Andachtshalle Unter den Linden gleichsam geadelt und in die fortdauernde Wirkungskette der kunsthistorischen Tradition eingereiht.
Robert Mapplethorpe und die klassische Tradition.
Fotografien und manieristische Druckgrafik
Bis 17. Oktober 2004. Der Katalog (Deutsch oder Englisch) kostet 34,-€.
Öffnungszeiten
Täglich 11 bis 20 Uhr
Donnerstags bis 22 Uhr
Eintrittspreise
Erwachsene € 3
Ermäßigt € 2
Montags Eintritt frei