Rezensionen

Susanna. Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo. Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln

Zu den ältesten historisch überlieferten Geschichten über Macht und sexualisierte Gewalt sowie deren Ahndung gehört eine alttestamentliche Erzählung, die meist den sogenannten Apokryphen, also den außerkanonischen Schriften der Bibel, zugerechnet wird, nämlich die Episode von Susanna im Bade bzw. von Susanna und den beiden Ältesten. Es ist eine Geschichte von männlichem Begehren, Voyeurismus und sexueller Nötigung, von der Tugendhaftigkeit, moralischen Integrität und Glaubensstärke einer keuschen Ehefrau, von der Rache und den Verleumdungen zweier alter Männer, von göttlicher Gerechtigkeit und von einem klugen Kreuzverhör des jungen Propheten Daniel, so dass letztlich nicht Susanna wegen vermeintlichen Ehebruchs zum Tode verurteilt wurde, sondern die beiden Ältesten mit dem Tod bestraft wurden. Nun hat das Kölner Wallraf-Richartz-Museum diese Geschichte zum Anlass für die weltweit erste große Museumsausstellung zum Thema genommen. Rainer K. Wick hat die Ausstellung besucht und das Katalogbuch gelesen.

Artemisia Gentileschi, Susanna und die Alten, 1622, Foto © Rainer K. Wick
Artemisia Gentileschi, Susanna und die Alten, 1622, Foto © Rainer K. Wick

Die Erzählung
Historisch spielt die Geschichte im Babylon des 6. Jahrhunderts v. Chr., wo sich ein Teil der Bevölkerung Judäas im Exil befand. Entgegen der verbreiteten Vorstellung, die Juden seien dort als Gefangene gehalten und zur Sklavenarbeit herangezogen worden, ist davon auszugehen, dass sie sich in der Fremde schnell assimiliert hatten, Handel treiben und vielfach auch ein komfortables Leben führen konnten und dass die Verwaltung der jüdischen Community in Babylon den Exilanten selbst oblag.

So wird im Buch Daniel berichtet, dass Jojakim, der Mann Susannas, sehr reich war und „einen schönen Garten an seinem Hause [hatte]. Und die Juden kamen stets bei ihm zusammen, weil er der Angesehenste von allen war.“ Dazu gehörten auch zwei Älteste, die „als Richter bestellt“ waren. „Die kamen täglich in Jojakims Haus; und wer eine Streitsache hatte, musste dorthin vor sie kommen. […] Und als die beiden Ältesten [dort Susanna] sahen, entbrannten sie in Begierde nach ihr und wurden darüber zu Narren und warfen die Augen so sehr auf sie, dass sie nicht mehr zum Himmel aufsehen konnten und nicht mehr an gerechte Urteile dachten.“ (Lutherbibel 2017) Um sich der jungen Schönen nähern zu können, lauerten sie ihr eines Tages um die Mittagszeit im Garten des Jojakim auf. Nicht ahnend, dass sich die beiden Richter im Gebüsch versteckt hielten, verlangte Susanna von ihren Mägden: „Holt mir Öl und Salben und schließt die Türen des Gartens zu, damit ich baden kann! […] Als nun die Mägde hinausgegangen waren, kamen die beiden Ältesten hervor, liefen zu ihr und sagten: Siehe, die Türen sind verschlossen, niemand sieht uns, und wir begehren dich; darum lege dich zu uns und sei uns zu Willen! Willst du aber nicht, so werden wir dich beschuldigen, dass ein junger Mann bei dir war und dass du deine Mägde deshalb hinausgeschickt hast.“ Zwar gelang es Susanna, sich der Zudringlichkeiten der beiden Richter zu erwehren, doch bezichtigten diese ihr Opfer nun, fremd gegangen zu sein, was mit der Todesstrafe geahndet werden sollte. „Susanna aber schrie mit lauter Stimme: Ewiger Gott, […] du weißt, dass sie falsches Zeugnis gegen mich vorgebracht haben. […] Und der Herr erhörte ihr Rufen.“ Indem Daniel die beiden rachsüchtigen Ältesten des Meineids überführen konnte, die daraufhin ihrerseits anstelle von Susanna gesteinigt wurden, fand dieses Drama von sex and crime sein happy end.

Kathleen Gilje, Susanna and the Elders, Restored, 1998, Foto © Rainer K. Wick
Kathleen Gilje, Susanna and the Elders, Restored, 1998, Foto © Rainer K. Wick


Kontext MeToo
Seit Jahrhunderten bot diese Erzählung bildenden Künstlern reichlich Stoff für Gemälde, Grafiken und Skulpturen. Die aktuelle, von Anja K. Sevcik und Roland Krischel kuratierte Ausstellung im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zur biblischen Susanna ist keine rein historisch-ikonographisch konzipierte Schau. Vielmehr operiert sie vor dem Hintergrund des MeToo-Diskurses der letzten Jahre und besitzt insofern eine ganz besondere Aktualität. Denn indem in Köln das Susanna-Thema in den Kontext der Debatte um Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt eingebettet wird, leistet die Ausstellung auch einen Beitrag zu der Frage, was öffentlich gezeigte Kunst in diesen Zeiten kann und darf und wie Museen damit umgehen können. Zu den seltsamsten Blüten, die die MeToo-Bewegung getrieben hat, gehörte die Forderung, Bilder mit Darstellungen als sexistisch angeprangerter nackter Gestalten, vornehmlich Frauen, aus den Museen zu verbannen, also abzuhängen und in den Depots verschwinden zu lassen. Schon zu Beginn der MeToo-Debatte haben sich prominente Museumsdirektoren dezidiert gegen Zensurdruck und Gesinnungstyrannei positioniert. Der Kunsthistoriker und Bildwissenschaftler Horst Bredekamp diagnostizierte angesichts derartiger Tendenzen sogar eine besorgniserregende Nähe zum „gedanklichen Rahmen“ der Säuberungen, die im Dritten Reich unter dem Diktum „Entartete Kunst“ stattfanden. Und Marcus Dekiert, Direktor des Kölner Wallraf-Richartz-Museums, beklagte in diesem Zusammenhang einen völlig ahistorischen Zugriff auf Werke früherer Epochen, die „mit ganz anderen Absichten und unter ganz anderen gesellschaftlichen Bedingungen entstanden“ sind. „Diese auszublenden, ist keineswegs aufklärerisch.“ (General-Anzeiger Bonn, 03/04.02.2018) Durchaus aufklärerisch sind dagegen die aktuelle Kölner Susanna-Ausstellung und erst recht das dazugehörige Katalogbuch, wird hier doch jenseits ideologischer Scheuklappen und moralisch grundierter politischer Korrektheit mit großem Sachverstand ein traditionsreiches Bildthema in seinen unterschiedlichsten Facetten ausgelotet.

Massimo Stanzione, Susanna und die beiden Alten, um 1630–1635, Foto © Rainer K. Wick
Massimo Stanzione, Susanna und die beiden Alten, um 1630–1635, Foto © Rainer K. Wick


Interessant ist, dass die Susanna-Erzählung in zwei erheblich voneinander abweichenden Fassungen auf uns gekommen ist. Einmal in der sogenannten Septuaginta, der griechischen Bibelübersetzung aus der Zeit um 250 vor Christus, und dann in der jüngeren sogenannten Theodotion-Fassung aus dem 2. Jahrhundert nach Christus (drei originale Papyrusfragmente in der Ausstellung). Während in der Septuaginta der Fokus auf der Gerichtsszene liegt, in der die beiden als glaubwürdige Autoritätspersonen und ehrenwerte Amtsträger angesehenen Richter der Lüge überführt werden, nimmt in der Theodotion-Version die Garten- und Badeszene mit dem Belauschen und der Nötigung Susannas durch die Ältesten den breitesten Raum ein. Und obwohl Susanna in diesem Text an keiner Stelle explizit als badend oder gar als nackt beschrieben wird, hat die Vorstellung einer schönen unbekleideten Frau seit der frühen Neuzeit über Jahrhunderte die schöpferische Phantasie bildender Künstler befeuert, wie die Kölner Ausstellung mit ihren mehr als neunzig, zum Teil hochkarätigen Exponaten und internationalen Leihgaben eindrucksvoll belegt.
Mit dem Heraufziehen der Renaissance in Italien und der damit verbundenen Übernahme antiken Formenguts kam in der bildenden Kunst auch das im christlichen Mittelalter als verpönt geltende Aktbild zu neuen Ehren, so dass seit dem 15. Jahrhundert geradezu von einer Feier, ja einer Apotheose der Nacktheit die Rede sein kann. Anlässe für die Darstellung des Nackten boten insbesondere Stoffe aus der Mythologie der Griechen und Römer, aber auch Themen aus der Bibel. Neben der Geschichte von Bathseba im Bade oder von Joseph und der Frau Potiphars lieferte die Susanna-Erzählung Malern, Grafikern und Bildhauern ein ideales Szenario, um die körperlichen Reize einer schönen jungen Frau im Kontrast zu den beiden alten Männern zu visualisieren. Doch entgegen dem von einer feministisch orientierten Kunstgeschichte vorgetragenen Argument, manche Darstellungen seien in erster Linie auf die Bewunderung femininer Schönheit durch ein männliches Publikum berechnet, kommt das Kuratorenteam zu dem Schluss, dass „Susanna“ „nie […] ein exklusiv von Männern für männliche Augen gestaltetes Motiv“ gewesen sei.

Anthonis van Dyck, Susanna und die beiden Alten, um 1622-23, © Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek, München
Anthonis van Dyck, Susanna und die beiden Alten, um 1622-23, © Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek, München


Beispiel Gentileschi
Bester Beweis für diese These sind die fulminanten Bilder der italienischen Barockkünstlerin Artemisia Gentileschi, die das Susanna-Thema mehrfach bearbeitet hat und von der in Köln zwei Fassungen, die von 1622 aus der Burghley House Collection bei Stamford in England und die späte von 1649 aus der Mährischen Galerie im tschechischen Brünn, gezeigt werden. Gentileschi wurde als Siebzehnjährige selbst Opfer sexueller Gewalt, und es ist sicherlich nicht abwegig, ihre Vorliebe für Bildmotive, die explizit mit Gewalt zwischen den Geschlechtern zu tun haben – neben der Susanna-Thematik etwa auch in den Bildern, die die Enthauptung des Holofernes durch Judith darstellen -, als den Versuch zu deuten, ihr Trauma der Vergewaltigung durch einen Mitarbeiter ihres Vaters, des Malers Orazio Gentileschi, abzuarbeiten. Mal präsentiert sie Susanna als wehrloses Opfer der beiden Ältesten, als Schamhafte, die ihre Blößen zu bedecken sucht (das aus der Antike tradierte Motiv der Venus pudica) und ihren Blick himmelwärts wendet, um Gottes Hilfe zu erflehen (es handelt sich um eine Bildformel, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts vorzugsweise von Guido Reni verwendet wurde und als „Reni-Blick“ in die Kunstgeschichte eingegangen ist), mal zeigt sie die Protagonistin in einer dezidierten Abwehrhaltung – so nicht nur im erwähnten Spätwerk von 1649, sondern auch in ihrer frühesten Susanna-Fassung von 1610, die sich in der Gemäldegalerie von Schloss Pommersfelden befindet. In der Kölner Ausstellung ist dieses Frühwerk als Kopie von der Hand der amerikanischen Künstlerin Kathleen Gilje zu sehen. In Italien als Restauratorin ausgebildet, ist Gilje mit Arbeiten hervorgetreten, die durch „Korrekturen“ klassischer Kunstwerke alternative Interpretationen nahelegen. So besteht im Fall ihrer „Susanna an the Elder, Restored“ von 1998 die Pointe darin, dass sie von ihrer eigenen Kopie des Originalwerks eine Röntgenaufnahme anfertigen ließ, die in den unteren Malschichten als verborgenes (und von Artemisia vermeintlich verworfenes) Detail (Pentiment) eine aufrecht sitzende, schreiende und messerschwingende Susanna erkennen lässt, die es nicht beim bloßen Abwehrgestus belässt, sondern männlicher Gewalt mit Gegengewalt begegnet – ein feministisches Statement par excellence.
Nicht nur die Bildern Artemisia Gentileschis zeugen von ausdrücklicher Gegenwehr, sondern auch zahlreiche Gemälde anderer Künstler der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, so etwa die „Susannen“ von Massimo Stanziones aus dem Frankfurter Städel (um 1630/35) oder von Anthonis van Dyck aus der Alten Pinakothek in München (um 1622/23), der Ausdrucksgehalt zwischen Selbstbehauptung und Ausgeliefertsein osziliert.

Jacopo Tintoretto, Susanna und die Alten, um 1546, Foto © Jens Ziehe
Jacopo Tintoretto, Susanna und die Alten, um 1546, Foto © Jens Ziehe


Tintorettos Susannen
Zu den bekanntesten, gleichsam ikonischen Susanna-Darstellungen gehört Jacopo Tintorettos grandiose, überaus delikat gemalte „Susanna“ von 1555, ein Gemälde, das zum Bedauern des Kurators Roland Krischel weder für die Kölner Tintoretto-Ausstellung vor fünf Jahren, noch für die aktuelle Susanna-Ausstellung aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien ausgeliehen werden konnte. Kompensiert wird dieser Umstand durch eine frühere Susanna-Version des venezianischen Malers aus der Zeit um 1446, die sich in Privatbesitz befindet und bis vor kurzem unbekannt war. Mit drei Metern Breite handelt es sich um ein regelrechtes Cinemascope-Format. Links im Bild befindet sich halb sitzend, halb liegend eine nahezu nackte Susanna, die sich von einer tief dekolletierten Dienerin einen Strumpf ausziehen lässt, während in der Mitte eine weitere Magd im Begriff ist, den Garten durch einen Laubengang zu verlassen. In der rechten Bildhälfte nähert sich im Schatten einer hohen Hecke einer der beiden Ältesten dem Tatort, der andere lauert, schon im Gebüsch liegend, der Schönen auf. Susanna mit ihrer makellosen Haut und ihrer kunstvollen Frisur wird hier als verführerisches Luxusgeschöpf charakterisiert, und die erotische Aufladung der Szene wird durch das offenherzige Kleid der Dienerin noch unterstrichen. Insofern lässt sich im Unterschied zu Artemisia Gentileschis Susanna-Bildern aus diesem Gemälde nach Auffassung Roland Krischels „aus heutiger Sicht ein Anzeichen von victim blaming“ herauslesen, also eine bedenkliche Tendenz zur Täter-Opfer-Umkehr in dem Sinne, dass die Attraktivität der jungen Frau und ihr gleichsam einladender Habitus für das Begehren und das verbrecherische Handeln der beiden Ältesten verantwortlich gemacht werden.
Mit Tintoretto und Gentileschi sind Positionen angedeutet, zwischen denen sich eine große Spanne unterschiedlichster künstlerischer Formulierungen und inhaltlicher Akzentuierungen entfaltet, die in der Kölner Ausstellung mit Werken von Malerstars des Barock wie Guido Reni (dem zurzeit das Frankfurter Städel eine große Retrospektive widmet), Sebastiano Ricci, Peter Paul Rubens, Anthonis van Dyck, Jacob Jordaens, Rembrandt van Rijn und anderen bis hin zu „Salonmalern“ des 19. Jahrhunderts wie Jean-Jacques Henner und Hans Makart oder einem noch akademisch beeinflussten Lovis Corinth sowie mit Werken weniger bekannter, gleichwohl außerordentlich qualitätvoller Künstler belegt werden. Häufiger als in der Malerei finden sich in der Druckgrafik, die dem Blick der Öffentlichkeit eher entzogen ist, Darstellungen, die die Ältesten explizit als sexuell übergriffige Akteure zeigen, indem sie ihr Opfer etwa an den Brüsten oder in der Schamgegend berühren. Ins Burleske gewendet erscheint die Thematik körperlicher Grenzüberschreitung in Jacob Jordaens‘ Susanna-Gemälde von 1653. Der Maler zeigt in Seitenansicht eine fettleibige Nackte, der einer der beiden, über eine Brüstung steigenden Ältesten mit dem Pantoffel einen Tritt ins Gesäß verpasst. In den besonders hässlich gestalteten, fratzenhaft übersteigerten Gesichtern der zudringlichen alten Männer erkennt das Kuratorenteam ein Beispiel für „judenfeindliche, bisweilen sogar unverhohlen antisemitische“ Tendenzen, wie sie im Zusammenhang mit dem Susanna-Sujet „seit dem 16. und vermehrt im frühen 20. Jh.“ auftraten.

Lovis Corinth, Susanna im Bade, II. Fassung, 1890,  © Museum Folkwang, Essen ARTOTHEK
Lovis Corinth, Susanna im Bade, II. Fassung, 1890, © Museum Folkwang, Essen ARTOTHEK


Die Gerichtsszene
Deutlich seltener als die stark erotisch gefärbte Garten- bzw. Badeszene, die Künstlern natürlich die Gelegenheit bot, gerade in der Gestalt Susannas ihr artistisches Vermögen, ihre Virtuosität, das, was im Italienischen als Sprezzatura bezeichnet wird, unter Beweis zu stellen, fand in der Kunstgeschichte die sogenannte Gerichtsszene als Bildthema Berücksichtigung. Zu den Ausnahmen gehört das großformatige, fast drei Meter fünfzig breite Bild „Susanna vor den Richtern“ des niederländischen Malers Nicolaas Roosendael von 1637 aus dem Bestand des Wallraf-Richartz-Museums. Es illustriert textgetreu die entsprechenden Passagen im Buch Daniel: „Und am andern Tag, als das Volk im Hause Jojakims […] zusammenkam, da kamen auch die beiden Ältesten in der schändlichen Absicht, Susanna dem Tod zu überliefern; und sie sagten vor allem Volk: Schickt nach Susanna […]. Und sie kam mit ihren Eltern und Kindern und ihrer ganzen Verwandtschaft. Susanna aber war sehr schön von Gestalt und Angesicht; darum befahlen die Übeltäter, ihr den Schleier abzunehmen, mit dem sie verhüllt war, um sich an ihrer Schönheit zu ergötzen. Und alle, die bei ihr standen und sie sahen, weinten um sie.“ Obwohl Susanna also tief erniedrigt wurde, da sie sich auf Geheiß der (rach)lüsternen Richter in aller Öffentlichkeit entblößen musste, nimmt die – hell beleuchtete – Protagonistin in Roosendaels Gemälde die Demütigung schicksalsergeben, „mit gesenktem Blick“ und in „statuarischer Ruhe“ (Anja K. Sevcik) hin. Im Schatten, in der Nähe des Sockels, auf dem der Oberrichter Platz genommen hat, steht Daniel. Noch ein Kind, schaut er ebenfalls nach unten, wird aber im nächsten Moment hervortreten und in die Gerichtsverhandlung eingreifen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen und dem Geschehen die entscheidende Wendung zu geben. Es handelt sich um ein sogenanntes Gerechtigkeitsbild, wie es im Holland des „Goldenen Zeitalters“ in einem Rathaus gehangen haben könnte und den Bürgern in durchaus erzieherischer Absicht vor Augen geführt haben dürfte, das achte Gebot – „Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen“ – zu respektieren.

Jacob Jordaens, Susanna und die Alten, 1653, Foto © Jakob Skou-Hansen
Jacob Jordaens, Susanna und die Alten, 1653, Foto © Jakob Skou-Hansen


Mit ihren zum Teil selten oder noch nie gesehenen, oftmals emotional berührenden Exponaten ist die Kölner Ausstellung unbedingt sehenswert. Dass einige Arbeiten, mit denen der Anschluss an die Moderne gesucht wird, kaum überzeugen, so etwa die kubistische, in ihrer facettenartigen Geometrisierung rein formalistische „Susanna“ des tschechischen Malers Vincenc Beneš von 1910/11, oder dass die Auswahl von Fotos anatomischer Modelle der zeitgenössischen amerikanischen Künstlerin Zoe Leonard von 1992/92 als Verweis auf das generelle Problem des Voyeurismus etwas an den Haaren herbeigezogen erscheint, schmälert den hohen Rang dieser Schau nicht. Hochgradig spannend sind das Kabinett und der darauf Bezug nehmende Katalogbeitrag von Roland Krischel, in denen es um ein Susanna-Gemälde in Alfred Hitchcocks legendären Film „Psycho“ von 1960 geht. Das fragliche, 1731 datierte und heute verschollene Bild des niederländischen Malers Willem van Mieris verdeckt im Film das Guckloch, durch das der psychopathische Norman Bates sein Opfer Marion Crane in einem Motel beobachtet, bevor er es in einer Dusche ermordet – eine zutiefst pessimistische Variante des alten Themas „Susanna im Bade“. Das opulent bebilderte Katalogbuch mit kenntnisreichen Aufsätzen mehrerer Autoren sowie aufschlussreichen Einzelanalysen sämtlicher Exponate mit hochinteressanten ikonographischen, formgeschichtlichen und kulturhistorischen Details ist für den interessierten, für ein tieferes Eindringen in das Thema aufgeschlossenen Leser eine echte Bereicherung.

Nicolaas Roosendael, Susanna vor den Richtern, 1673, Foto © Rheinisches Bildarchiv Köln, Sabrina Walz
Nicolaas Roosendael, Susanna vor den Richtern, 1673, Foto © Rheinisches Bildarchiv Köln, Sabrina Walz

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