Rezensionen

Susanna Partsch: Artemisia Gentileschi. Die Biografie. Molden Verlag

Artemisia Gentileschi: Kämpferische Barockmalerin, kompromisslose Geschäftsfrau, Künstlerin zwischen Florenz und Rom. Der Molden Verlag scheut nicht vor plakativen „Sublines“ im Stil eines Illustrierten-Covers zurück, um die Protagonistin dieses 239 Seiten umfassenden Bandes seiner neuen Biografie-Reihe vorzustellen. Was Leser:innen zwischen den leuchtendgelben Buchdeckeln geboten bekommen, ist dann aber beste solide Kunstgeschichte. Susanna Partsch führt detailreich durch die über sechzig Lebensjahre von 1593 bis 1654 von Artemisia Gentileschi und räumt mit gängigen Klischees männlicher Fantasien und feministischer Idealisierungen auf.

Cover ©Molden Verlag
Cover ©Molden Verlag

Direkt auf den ersten Seiten formuliert Susanna Partsch ihre zentrale These: Zur „frivolen Schönheit“ wurde Artemisia Gentileschi erst in der Betrachtung männlicher Forscher, deren Korrektur durch Fachkolleginnen drängte die Malerin in eine Opferrolle, die genauso wenig der Faktenlage entspricht. Bei Partsch soll es deshalb um die historisch belegte Akteurin auf dem italienischen sowie europäischen Kunstmarkt des 17. Jahrhunderts gehen.
Dazu führt die Autorin ihre Leser:innen zunächst in die römische Kunstszene um 1600, die von der Überwindung des Zunftsystems gezeichnet war. Die Maler:innen – es gab mehr Künstlerinnen als sich bis heute aus Kunstlexika herauslesen lässt – verstanden sich als Gelehrte, sie bewegten sich auf einem zunehmend freien, europäischen Markt, auf dem es galt, durch Originalität zu beeindrucken. Beispielhaft führt Susanne Partsch die Konkurrenz zwischen Caravaggio und Annibale Carracci an. Während sich der eine „nicht nur [als] ein Meister im Chiaroscuro“ auszeichnete, sondern die Heiligen auch nach wiedererkennbaren „Modellen, die er auf der Straße“ traf, malte, waren die Markenzeichen des anderen ganz entgegengesetzt: „klare, strahlende Farben“ sowie eine „seinen Gestalten innewohnende andächtige Frömmigkeit“.

In Artemisias Familie gehörten künstlerische Arbeit, die Diskussionen um neue Bildfindungen sowie derbe Konkurrenzkämpfe unter den Werkstätten, die nicht selten zu juristischen Auseinandersetzungen führten, zum Alltag.
Artemisias Mutter, Prudenzia Montoni, war zunächst mit dem Maler Sebastiano Guerra verlobt, der ihr seine Werkstatt bereits vererbt hatte, als er noch vor der Heirat starb. Darauf ging Prudenzia die Verbindung mit einem weiteren Maler ein: Orazio Gentileschi stammte ursprünglich aus Pisa und war um 1578 nach Rom gekommen, wo er nun durch seine Heirat erstmals über eine eigene Werkstatt verfügen konnte.
Verwandtschaftliche Verbindungen stellt Susanna Partsch verschiedentlich ausführlich dar, denn so kann sie zeigen, dass Frauen der Zugang zu einer eigenen künstlerischen Betätigung eher möglich war, wenn sie aus einer Malerfamilie stammten. Dort zählte jede Hand und es ergab sich für begabte Mädchen ganz selbstverständlich eine allgemein akzeptierte, jedoch formal nicht gültige Ausbildung.

Auch Artemisia kam auf diese Weise zu ihren handwerklichen Fähigkeiten. 1610 malte sie ein „Gesellenstück“. Ihre „Susanne und die beiden Alten“ verwandelte sich später zu einer Ikone feministischer Bildbetrachtung, da das Bild mit einer aktenkundigen Gewalttat aus Artemisias Biografie in Verbindung gebracht wurde: 1612 zog Artemisias Vater vor Gericht und beschuldigte Agostino Tassi, ebenfalls ein Maler, der Entjungferung seiner Tochter. Gerichtswürdig war dabei nicht die Gewalttat, sondern allein der Schaden, der sich aus der erschwerten Verheiratung einer nicht mehr jungfräulichen Tochter ergab. Als Tatzeit findet sich in den Akten der 6. Mai 1611. Daher kann Partsch jeden Bezug zwischen der Vergewaltigung und dem im Vorjahr entstandenen Susanna-Bild ausschließen.

Entsprechend skeptisch gegenüber voreiligen Interpretationen liest sich das gesamte Kapitel über den Gerichtsprozess. Dort ist zu erfahren, dass voreheliche Beziehungen in Rom um 1600 geduldet waren, solange im späteren Verlauf die Heirat vollzogen wurde. „Wenn das nicht der Fall war, reichten die Väter die Klage ein.“ Deshalb vermeidet Partsch jede Wertung und schließt den väterlichen Plan einer Künstlerehe nicht aus, der dann im Streit zerbrach und zum Prozess führte, um die soziale Rolle von Artemisia zu stützen. Zugleich bleibt bei Partsch jedoch klar erkennbar, dass Frauen in dieser Zeit sicher nicht frei leben konnten, auch wenn ihre Aktionsmöglichkeiten eine reine Opferrolle überstiegen.
Die sachliche Darstellung des Prozesses, der schließlich mit der Verurteilung von Tassi endete, gibt den Grundton der folgenden Kapitel vor. Partsch begleitet Artemisia, die bereits zwei Tage nach Urteilsverkündung verheiratet wurde, in die Heimatstadt ihres Mannes, nach Florenz. Dort richteten ihr die Schwiegereltern eine Werkstatt ein. In den folgenden sieben Jahren wurden fünf Kinder geboren, von denen nur eine Tochter das Erwachsenenalter erlebte. Während ihrer Schwangerschaften blieb Artemisia künstlerisch produktiv, es gelang ihr zur „etablierten Malerin“ aufzusteigen und Mitglied der „Accademia del Disegno“ zu werden. In Florenz entstanden Artemisias beiden heute vielleicht populärsten Bilder mit demselben Thema: „Judith enthauptet Holofernes“ (zwischen 1612-14). Partsch bemüht sich wiederum, den Legenden pragmatische Fakten gegenüberzustellen. Die Versuche in den Bildern, Ausdrücke einer künstlerischen Rache oder eines Traumas zu sehen, haben in ihrer Darstellung „nichts mit den damaligen Bedingungen, unter denen die Bilder entstanden zu tun. Die Geschichte von Judith und Holofernes gehörte seinerzeit schlicht und ergreifend zu den beliebtesten Themen, und sie verkaufte sich gut.“

Orazio Gentileschi / Agostino Tassi, Konzert mit Apoll und den Musen
Orazio Gentileschi / Agostino Tassi, Konzert mit Apoll und den Musen

Trotz ihrer Erfolge kehrte Artemisia 1620 mit Mann und zwei Kindern nach Rom zurück, wo sie sich ebenfalls als Künstlerin durchsetzen konnte. Seit 1523 lebte sie von ihrem Mann, der zunehmend die Rolle eines Managers übernommen hatte, getrennt. Sie hatte bereits in Florenz die Beziehung zu dem erst seit 2011 nachweisbaren Edelmann Francesco Maringhi begonnen (Francesco Solinas: Lettre di Artemisia, Rom 2021; 1. Auflage 2011), diese Verbindung ist heute durch Briefe über viele Jahre nachweisbar und zeigt, dass für Artemisia ein selbstbestimmtes Leben mit Einschränkungen möglich war.
Auf die römischen Jahre folgten Stationen in Venedig und Neapel (wahrscheinlich ab 1626 bzw. 1630). Die Gründe dieser Umzüge lassen sich heute kaum noch rekonstruieren. Es liegt jedoch nahe, von finanziellen Motiven und dem stetigen Bemühen um lukrative Aufträge auszugehen. In Neapel eröffnete die Künstlerin eine Werkstatt und unterrichtete dort ihre Tochter Prudenzia, die während Artemisias Aufenthalt in London (ca. 1639-40) das Unternehmen weiterführte.

In der britischen Metropole lebte bereits seit 1626 Orazio Gentileschi. Artemisias Vater arbeitete dort im Dienst des Könighauses. Möglicherweise hat die Malerin ihrem Vater bei der Ausmalung des Deckengemäldes von The Queen’s House in Greenwich geholfen. Daneben sind weitere Aufträge belegt, darunter die „Allegorie der Malerei“, die heute zur Royal Collection gehört und 1638/39 entstand. In diesem Bild, das eine junge Malerin zeigt, die gerade ein Gemälde beginnt, weist Partsch nicht nur ikonographische Muster wie die krausen Haare als Zeichen von Kreativität nach, sondern spekuliert auf Basis biographischer Hinweise darüber, dass für die allegorische Figur eine weitere Tochter Artemisias Modell gestanden haben könnte. 1639 starb Orazio und Artemisia verliess London im Jahr darauf, ab 1649 ist sie wieder in Neapel nachweisbar, wo sie bis zu ihrem Tod, der auf das Jahr 1654 datiert wird, in ihrer Werkstatt arbeitete.

Trotz Lücken im Lebenslauf und vieler Wendungen, die nur mit Mutmaßungen begründet werden können, ergibt sich ein geschlossenes Bild. Artemisia wird als genau die kämpferische Malerin beschrieben, die das Buch-Cover verspricht. Ihre Erfolge stellen die meisten männlichen Karrieren in den Schatten. Artemisia war mit bedeutenden Auftraggebern ihrer Zeit in Kontakt und rang als durchsetzungsstarke Geschäftsfrau diesseits und jenseits legaler Mittel um den für ein wohlhabendes Leben nötigen Profit. So wird Artemisia bei Susanna Partsch zu einer Person ihrer Zeit, deren Handlungen, Erfolge und Limitierungen innerhalb der historischen Realität betrachtet werden müssen.
Zu dieser differenzierten Sicht gehört auch Partsch‘ Kritik am Fach Kunstgeschichte, das im Verlauf des 19. Jahrhunderts zuvor durchaus beachtete Künstlerinnen aus dem Barock in Vergessenheit geraten ließ.
Nach einer ebenfalls von Vorurteilen getriebenen Idealisierung der Malerinnen, scheint die Zeit nun bereit für einen faktengestützten, neugierigen Blick auf ein Jahrhundert von überraschender Modernität. Das Buch von Susanna Partsch leistet dazu einen weitgehend gut lesbaren und sehr detailreichen Beitrag.


Titel: Susanna Partsch: Artemisia Gentileschi. Die Biografie
Verlag: Molden Verlag Wien Graz
239 Seiten, Farbig und s/w
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3222150807

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