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Tagung: Formgebung im Nationalsozialismus, am 25. und 26. Juni 2017 in Leipzig

Der Umgang des Nationalsozialismus mit der Kunst wird in der Regel auf die Diffamierung sogenannter »Entarteter Kunst« sowie auf den groß angelegten Kunstraub und auf megalomane Architekturen reduziert. Dabei geht aber zuweilen der Blick für das Kunstschaffen der Zeit verloren. Die Tagung des Instituts für Kunstgeschichte der Uni Leipzig will hierzu einen Beitrag leisten.

Die Vielfalt an Forschungsansätzen, an Fragestellungen und vor allem an neuen Erkenntnissen zur NS-Zeit ist kaum noch zu überblicken. Dennoch gibt es nach wie vor Forschungslücken, so im Bereich der Kunst- und Kulturpolitik, im besonderen auf dem Gebiet der bildenden und der angewandten Künste. Die Grundlagenforschung muß einerseits auf eine breitere Basis gestellt werden, andererseits besteht dringender Bedarf an einer verstärkten Kontextualisierung der Kunst- und Kulturpolitik im Gefüge der zentralen Herrschaftsinstrumente des Systems. Besonderer Stellenwert kommt zudem einer aus der ständig wachsenden Fülle an Fakten und Erkenntnissen resultierenden Notwendigkeit zur permanenten Überprüfung der methodischen Ansätze zu.

Die Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst hat sich vor allem auf die Themen »Entartete Kunst«, Kunstraub, Enteignung und Restitution, Große Deutsche Kunstausstellung sowie auf das Medium der Großplastik und auf Künstler- und Werkbiographien konzentriert. Die Forschung zur angewandten Kunst hat außer in Fallstudien nur selten Beachtung gefunden (Amt 'Schönheit der Arbeit', Deutsche Warenkunde etc.), Kunsthandwerk ist weitgehend unter der Aufmerksamkeitsschwelle geblieben. Analysen, die beide künstlerischen Gestaltungsaufgaben verknüpfen, sind in der Forschung die Ausnahme, obgleich oftmals behauptet wurde, daß die staatlicherseits propagierte Kunst allenfalls in die Kategorie Handwerk falle. Das verwundert umso mehr, als bekanntlich beide Bereiche in der »Reichskulturkammer« zusammengefaßt, damit dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unterstellt waren, folglich per definitionem gleichermaßen im Propagandadienst für das System standen. Das wiederum verbindet sie, über personelle Zusammenhänge hinaus, mit der vorrangigen Propagandaaufgabe der Dekoration und Ausgestaltung von Staats- und Parteifeiern, Großkundgebungen und Großveranstaltungen, die bisher allenfalls im Zusammenhang mit Architektur thematisiert worden sind. Daß diese drei Gestaltungsaufgaben mit künstlerischem Anspruch im »Dritten Reich« tatsächlich zusammengehören, verdeutlicht der auf sie gleichermaßen angewendete Begriff der »Formgebung«. Hatte Oscar Mothes [Illustriertes Bau-Lexikon, II, 41882] ihn noch im Sinne einer Gestaltung von Architekturdekor definiert, so schien er fünfzig Jahre später geeignet, die aktive Rolle des NS-Staates hinsichtlich einer umfassenden künstlerischen Gestaltung von Propaganda und Kultur zum Ausdruck zu bringen.

Symptomatisch für den Umgang mit NS-Kunst und -Kunstgewerbe ist der schon seit Jahren diskutierte Umstand, daß bildende und angewandte Kunst dieser Zeit nur höchst selten Eingang in die Präsentationen von Kunst- und Kunstgewerbemuseen gefunden haben. Daher sind die methodischen Grundlagen für Aufarbeitung und Präsentation der entsprechenden Werke noch weitgehend ungeklärt und ihre kritische Einordnung und Bewertung erreicht nicht die Öffentlichkeit. Der Umgang mit der künstlerischen und kunsthandwerklichen Hinterlassenschaft der NS-Zeit darf nach wie vor als befangen gelten. Die von historischer Seite schon vor Jahrzehnten eingeforderte und schrittweise erfolgte Historisierung [Broszat] steht in diesen Bereichen noch weitgehend aus. In das kunsthistorische Entwicklungsmodell der Stilgeschichte lassen sich die künstlerischen Produkte, die in diesen Jahren propagiert und von offizieller Seite präsentiert wurden, bekanntlich nicht einfach einordnen, da die zugrundeliegenden Kategorien unhistorisch sind. Zudem werden diverse auf verschiedenen Ebenen angesiedelte Argumente vorgebacht, um Kunst der NS-Zeit nicht auszustellen und Kunstgewerbe/Kunsthandwerk der NS-Zeit nicht als Politikum zu thematisieren: das den Werken vermeintlich innewohnende Gefährdungspotential, ihr vorgeblich mangelnder künstlerischer Wert, ihre problematische Einordnung in das gängige Stil- und Entwicklungsmodell, die Unschärfe der Kategorie NS bezüglich Kunst und Kunstgewerbe, die Kürze der NS-Periode etc. Überspitzt formuliert reduziert sich diese problemscheuende Argumentation für die bildende Kunst auf die immer wieder aufgeworfenen Fragen: Kann Kunst im alleinigen Dienst eines totalitären Systems überhaupt als Kunst bezeichnet werden? Lassen sich die zwei grundlegenden Anforderungen des NS-Systems an Kunst, die nach technischem Können und die nach einer überpersönlichen Umsetzung deutscher Bildthemen mit unserem Kunstbegriff vereinbaren oder bezeichnen sie nicht eher ein Handwerk? [Hinz] Für die angewandten Künste steht andererseits die unausgesprochene Frage im Raum: Können Kunstgewerbe und Kunsthandwerk überhaupt politisch sein? [Mittig]

Diese Fragen führen allerdings auf dem Weg zur Historisierung nicht weiter. Vielmehr sind neue Ansatzpunkte, neue Verknüpfungen und eine breitere Forschungsbasis notwendig. Dazu möchte die Leipziger Tagung "Formgebung im Nationalsozialismus" einen Beitrag leisten.

Programm

Sonntag, 25.06.
Institut für Kunstgeschichte, Universität Leipzig, Wünschmanns Hof, Dittrichring 18–20, 04109 Leipzig, Raum 5/15, 5. Etage

13:30 Uhr
Begrüßung
Michael Lingohr (Universität, Leipzig)

13:45 Uhr
Michael Lingohr (Leipzig): Formgebung – zur Einführung

14.00-15.30 Uhr

  • Gudula Mayr (Jesteburg): Johann Bossards »Eddasaal« (1932-1935) in Jesteburg – ein Beitrag zu einer »germanischen Renaissance«
  • Felix Steffan (München): Über die Bedeutung regionaler Kunstszenen im Dritten Reich. Das Künstlersozialgefüge Rosenheims zwischen Tradition und Propaganda

15.30-16.00 Uhr Kaffeepause

16.00-18.15 Uhr

  • Kristina Lemke (Marburg): Dr. Paul Wolff: eine Fotografenkarriere im Nationalsozialismus
  • Renate Voget (Köln): Halbschatten und Unschärfen: Förderung kommunistischer Künstler im Nationalsozialismus am Beispiel von Fritz Cremer
  • Michael Lingohr (Leipzig): Sonderfall NS-Zeit? Methodische Überlegungen zur Erforschung der materiellen Kultur

19.15 Uhr
Eröffnung der studentischen Posterausstellung »Der Deutsche Pavillon auf der Weltausstellung Paris 1937«

19.30 Uhr
Öffentlicher Abendvortrag
Magdalena Droste (Berlin): Lydia Driesch Foucar - Überleben mit Formgebäck

Montag, 26. 06. 2016
GrassiMuseum für Angewandte Kunst Leipzig, Johannisplatz 5–11, 04103 Leipzig

10.00-12.15 Uhr

  • Christoph Wowarra (Stuttgart): Das Kunsthandwerk auf den Architektur- und Kunsthandwerkausstellungen 1938 und 1939 in München
  • Ingrid Holzschuh (Wien): Das Wiener Kunsthandwerk im Nationalsozialismus
  • Gabriella Cianciolo (München): »Wunder aus Glas«. Mosaik und Glasmalerei im Nationalsozialismus und der heutige Umgang mit einem schwierigen Erbe

12.15-13.45 Uhr Mittagspause

13.45-16.00 Uhr

  • Ruth Heftrig (Halle): Zielgruppenmarketing. Die Burg Giebichenstein 1933–1945
  • Christian Lechelt (Fürstenberg): Aus funktional wird national: Aspekte des Porzellandesigns und dessen Rezeption im »Dritten Reich«
  • Marlen Topp (Berlin): Reichsmarschall Hermann Göring und die französische Porzellanmanufaktur Sèvres – ein unbekanntes Kapitel nationalsozialistischer Repräsentationspolitik zwischen 1940 und 1944

16.00-16.30 Uhr
Abschließende Plenumsdiskussion

Eintritt frei, Anmeldung erforderlich bis zum 04.06.2017 bei:
PD Dr. Michael Lingohr
Institut für Kunstgeschichte der Universität Leipzig
Dittrichring 18-20, 04109 Leipzig
michael.lingohr@uni-leipzig.de

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