Im Oldenburger Edith-Russ-Haus für Medienkunst geben Tamás Kaszás und Krisztián Kristóf Einblicke in die fiktive Sekte der Luziden. Ihre Ausstellung „A Dream on Lucids“ fragt nach Möglichkeiten und Grenzen gesellschaftlichen Handelns und stellt kollektive Prozesse – nicht nur in der künstlerischen Zusammenarbeit – in ihr Zentrum. Eine Besprechung von Timo Merten.
Kollektives Klarträumen
Wer den etwas versteckten Eingang des Edith-Russ-Hauses einmal durchschritten hat, befindet sich schon inmitten einer neuen Welt – die Luziden, man wird sie noch kennenlernen, haben gekapert, was zu kapern war. Klarträumer sind sie, die Mitglieder der von Tamás Kaszás und Krisztián Kristóf geschaffen fiktiven Sekte, und also solche darauf bedacht, den Besucher:innen ihre eigene Lebenswelt näherzubringen. Rund um die Frage „Warum können wir nicht leben, wie wir wollen?“ ermöglicht die seit dem 26. Oktober laufende Ausstellung individuelle Auseinandersetzungsprozesse, die aus den Darstellungen der Luziden geprägt wird.
Klarträumen, also einen träumerischen Zustand einnehmen, in dem man aber das volle Bewusstsein über die eigenen Träume hat und diese auch nach eigenen Entschlüssen steuern kann, können nicht nur die Luziden, das kann vermutlich jeder, so weit ist sich die Traumwissenschaft sicher. Knapp die Hälfte aller Menschen hat einen solchen Traum bereits erlebt. Und das Geschäft boomt, Klartraumworkshops sind heiß begehrt.
Ob die Sektenmitglieder, die Kaszás und Kristóf in ihrem gemeinsamen Kollektiv Randomroutines geschaffen haben, solche Kurse auch besuchten, dazu werden keine Angaben gemacht. Für die Ausstellung jedenfalls nimmt das gemeinsame Handeln der Luziden eine besondere Bedeutung ein. Sie teilen ihre Klarträume miteinander: „Indem sie aus den privaten Ecken der Traumlandschaft heraustreten, können die Träumer ihre verschiedenen Traumlandschaften miteinander verbinden und eine neue gemeinsame Landschaft bilden“, schreibt dazu etwa das Kuratorenteam der OFF-Biennale in Budapest.
Dystopische Ausstellungsansichten
Gänzlich ungewöhnlich präsentiert sich das Edith-Russ-Haus für Medienkunst, welches sonst fast ausschließlich Video- und Soundarbeiten zeigt, insbesondere im Untergeschoss des Gebäudes, der bei dieser Schau zuerst in Betracht genommen werden sollte. Zwischen pseudo-dokumentarischen Bildern und ebenso anmutenden ethnografischen Objekten bewegen sich die Werke der Randomroutines, die in fünf Räumen einen Platz gefunden haben: Skulpturale Strukturen, Lichtinstallationen und Gemälde stellen die Lebenswelten der Luziden dar. So werden beispielsweise dystopisch anmutende Rohbauten besetzt, eigene Lebensrealitäten in gewachsene Strukturen hineinversetzt, während nur wenige Meter weiter eine Auseinandersetzung mit extraterrestrischen Welten und einer kolonialen Besiedlung des Weltalls stattfindet.
Ihre utopischen Vorstellungen äußern die Luziden aber nicht nur in den Besetzungen von dystopischen Strukturen, insbesondere die „Sculpture for the Nearsighted“ (Krisztián Kristóf, 2021) lädt zur Auseinandersetzung mit den eigenen Vorstellungen von Lebenswelten ein. Durch den hohlen Kopf eines Luziden auf eine weiße Wand blickend, entwickelt sich zwischen Skulptur und Betrachter:innen eine Verbindung, die den eigenen Blick fokussiert und dadurch Fragen an das eigene Selbst stellt, dessen Existenz in solchen Beobachtungssituationen in den Hintergrund rückt.
Luzide Erlebnisse
Im Erdgeschoss des Ausstellungshauses werden Besucher:innen unmittelbar visuell mit den Luziden konfrontiert. Die einstündige Videoinstallation „A Dream on Lucids“ (2016-2023) verleiht der Ausstellung ihren Titel, bildet ihr Herzstück und ist inmitten des Raumes auf einer rund einen Meter hohen Holzkonstruktion und Sitzsäcken insbesondere im Liegen zu verfolgen. Auf allen Seiten der quadratischen Plattform werden Videoausschnitte, Dias und anderes Bildmaterial gezeigt, die zusammen mit einer auditiven Erzählung der Erlebnisse der Luziden ein breites Spektrum an Sinneswahrnehmungen berühren.
Ganz besonders hier werden die kollektiven Schaffungsprozesse einer Gesellschaft deutlich. Kaszás und Kristóf zeigen, wie kollektive Zusammenarbeit entstehen kann, wie Individuen sich darin verhalten und welche Hindernisse im Wege stehen und regen mit diesen Fragestellungen auch bei Besucher:innen eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Strukturen an. Ihre Arbeit geht zusammen mit der Sammlung an Objekten in den weiteren Räumen über die gewohnten Medien des Edith-Russ- Hauses hinaus, lässt dieses zu einem Ort der kritischen Auseinandersetzung mit ethnografischer Ausstellungspraxis und kollektiven Praktiken werden und erlaubt Erfahrungen in den luziden Traumwelten.
Tamás Kaszás / Krisztián Kristóf / Randomroutines: A Dream on Lucids
Edith-Russ-Haus für Medienkunst Oldenburg
kuratiert von Edit Molnár und Marcel Schwierin
26.10.2023 – 07.01.2024