Thomas A. Lange (Hg.): Stephan Balkenhol - Duett. Wienand Verlag

Duett – schon der Titel des im Wienand Verlag erschienenen Werkes sagt es, da gehen zwei im Takt. Ob ein Gleichklang entsteht, bleibt abzuwarten. Das Rot, das Weiß und das Schwarz strahlen die Betrachter an und ziehen damit den Blick auf das Exponat. Steht das Piano für die Plattform eines Theaterplatzes? Auf jeden Fall ist das Piano extravagant und elegant in Szene gesetzt wie es auch die Aufmachung des Pianisten und die Dame in roter Robe zeigen. So geht ein Signal an die Betrachter, welches bisweilen so ausgelegt werden darf, dass auch das Publikum aufgefordert ist, am Piano Platz zu nehmen und einer Melodie zu lauschen, gar selbst das Piano in Klang zu setzen oder wie die Dame in Rot die Szene auf eigene Weise zu nutzen. Melanie Obraz ließ die Pianowelt von Stephan Balkenhol auf sich wirken.

Cover © Wienand Verlag
Cover © Wienand Verlag

Kunst im öffentlichen Raum: Essen ist ein Mittelpunkt der Metropole Ruhr und zeichnet sich durch einige Besonderheiten aus. Ein spezielles Exponat der Kunst ist hinzugekommen. Es ist ein Kunstwerk des Bildhauers und Zeichners Stephan Balkenhol, welches an einer stark befahrenen Hauptstraße ausgestellt wird und zwar in Permanenz! Jeder und jede am Straßenverkehr teilnehmende Person hat damit zugleich die Möglichkeit, Blicke auf das bildhauerische Werk zu werfen. Die imposante Bronzeplastik – „100 Zentimeter Höhe und 430 Zentimeter Länge, sogar schwerer als ein 500 Kilogramm schwerer Konzertflügel“ - teilt sich gleichsam als Werk direkt mit. Das „Duett“ wiegt 1,6 Tonnen und steht auf einem Sockel. Die Bronzeskulptur wurde im November 2022 aufgestellt und – wie könnte es anders sein – kontrovers diskutiert. Eine bestimmte Arbeit für ein Museum darf, soweit es sich um eine Installation oder Skulptur handelt, nur so schwer und nur so groß sein, dass sie in das Museum passt und vom dortigen Grund getragen werden kann. Im öffentlichen Raum ergeben sich hier ganz neue Möglichkeiten. Hier ergibt sich ein soziologischer Blick, welcher nicht nur auf den einzelnen Menschen gerichtet ist. Damit verdeutlicht sich die Ebene der Sozialität, die als eine verbindende Kraft zwischen Werk und Publikum vermittelt.

Blick ins Buch © Wienand Verlag
Blick ins Buch © Wienand Verlag

Was ist zu sehen: Ein Konzertflügel, ein Pianist in ungewöhnlicher Haltung und eine Dame. Sogleich ist damit eine Spannung aufgebaut, da sich dem Publikum mehrere Fragen stellen. Stehen die Personen in einer Beziehung und wenn ja in welcher? Warum liegt der Pianist auf dem Konzertflügel („der einem D-Flügel entspricht“) und versucht in akrobatisch anmutender Weise die Tastatur zu betätigen? Der gesamten Szenerie ist eine bestechend ungewöhnliche Aura eigen. So illustriert es auch das Buch. Die Schöne in Rot und der Pianist in Schwarz-Weiß, ganz akrobatisch am Piano tätig, lädt die Besucher ein, die Aura am Konzertflügel zu genießen. Das Buch stellt gleich mehrere Ausführungen bzw. Modelle der großen Plastik vor. So gibt es auch eine Dame in Blau, womit sich zugleich die Frage ergibt, warum die große Plastik die Dame in Rot ausstellt. Den Lesern:innen wird so auch Einblick in die aufwendige Arbeitswelt des Künstlers gegeben. Ein Gespräch mit Stephan Balkenhol gibt zudem Hinweise auf die Motivation und Gedankenwelt während des Arbeitsprozesses und verweist auch auf weitere Kunstwerke des Meisters. Besonders erwähnt sei hier auch die Haptik, die man erfährt, sobald man den Umschlag des Buches berührt. Fast ist es so, als würde man die Skulptur und die skulpturale raue Oberfläche berühren. Pianist und Dame in Rot sind greifbar. Das Rot ihres Kleides wirkt zudem erotisierend auf die Betrachter. Vor allem aber ist es eine Szene im Jetzt und dieser gegenwärtige Augenblick bildet die Brücke zum Publikum.
Das Kunstwerk Balkenhols wirkt in sich ruhend und dennoch verhalten illusionistisch, vielleicht sogar mit einem Hauch des Symbolischen. Es eröffnet vielseitige wie vielschichtige Interpretationen und macht die Betrachter neugierig auf weitere Werke des Künstlers. Auch einen echten Konzertflügel aufzustellen bedarf ja eines beträchtlichen Platzes und einer speziellen Raumakustik, um den hohen Schalldruck perfekt an das Ohr der Lauschenden zu bringen. Dieser Tatsache zollt das Werk in prägnanter Weise eine Sorgfalt, die das Publikum innehalten lässt, ja geradezu andächtig den Blick auf das Exponat lenkt. Andererseits kann es ebenso leicht beschwingt wahrgenommen werden, eben weil der Pianist wie ein Akrobat die Szenerie als Entertainer managt. Das Publikum denkt vielleicht auch an einige bekannte Klavierakrobaten. Da ereignen sich mannigfaltige Assoziationen – so an Jerry Lee Lewis wie auch an Béla Bartók? Bach, Chopin, Rachmaninow sind hier zu hören und auch Beat, Pop, und Rock’n Roll.

Blick ins Buch © Wienand Verlag
Blick ins Buch © Wienand Verlag

Die Dame in Rot steht hier in ruhiger Pose und nimmt einen Gegenpart ein, der dennoch dem des Pianisten gleichwertig ist. Ist sie etwa die wahre Hauptperson? Regiert sie die Szene? Die Protagonisten sehen einander nicht, sie kehren sich gegenseitig den Rücken zu. Ist dies eine bewusste Entscheidung oder lediglich der Tatsache geschuldet, dass sie als Sängerin auftritt und er als turnender Pianist und Tastenlöwe? Es ereignet sich eine interessante Interaktion zwischen Pianist und Dame in Rot. Sie im eleganten, aber vor allem konventionellen Abendkleid, er der Pianist als das Gegenteil, ohne Jackett, ohne Krawatte oder Fliege– „pfeift“ er auf jegliche Konvention? Doch auf jeden Fall erinnert die Skulptur an das "Klavierfestival Ruhr" und wurde von der Nationalbank zum 100 jährigen Bestehen des Bankhauses allen Essenern:innen gestiftet. Das Werk wendet sich an die Fantasie der Betrachtenden und fordert nicht nur eigene Gedanken heraus, sondern auch Taten. Macht auch etwas, versucht etwas Neues im Leben und seht es als Chance eine soziale Idee umzusetzen. Seid einander zugewandt, selbst wenn ihr euch nicht im Blick habt. Man versteht einander, selbst wenn man sich nicht (an-)sieht. Darin zeigt sich ein Aspekt des Mitmenschlichen, der in heutiger Zeit aktueller nicht sein kann. Toleranz und Respekt sind im Kunstwerk des Stephan Balkenhol vehement zugegen.

Blick ins Buch © Wienand Verlag
Blick ins Buch © Wienand Verlag

Das Werk Balkenhols entfaltet damit künstlerisch-ästhetische wie auch soziale Komponenten, die jeden Menschen ansprechen können. Damit konstituiert sich allmählich ein Feld des Verstehens und Staunens. Hier wird etwas in die Öffentlichkeit gebracht, was Dynamik auslöst und den Blick erweitert. Da es an einem exponierten Platz in der Öffentlichkeit anberaumt ist, werden viele Menschen oft an dem Werk vorbeifahren, laufen, verweilen und dann sogleich oder nach einer längeren Zeit eine innere Verbindung zum „Duett“ aufbauen. Die Betrachter erweitern das Duett zu einem Quartett, Quintett und so weiter. Idealerweise treffen sich alle Beteiligten auf einer Party. Für Musik und eine charmante Atmosphäre ist ja gesorgt.

Titel: Duett
Heraugeber: Thomas A. Lange
Beiträge von: Thomas A. Lange, Heinz-Norbert Jocks, Benedetta Saglietti, Wolfgang Ullrich, Mario-Andreas von Lüttichau
Verlag: Wienand
Umfang: 144 Seiten
mit 105 farbigen und 30 s/w Abb.
ISBN 978-3-86832-731-1

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