Ausstellungsbesprechungen

Thomas Raschke. Zwei Positionen plastischer Gestaltung in Schwäbisch Gmünd: Passionen – neue Arbeiten von Thomas Raschke | Mädchen und Frauen – Jakob Wilhelm Fehrle

Es lebe die Vielfalt! Freilich, die beiden Gmünder Ausstellungen mit Werken von Jakob Wilhelm Fehrle (1884–1974) und Thomas Raschke (1961) haben nichts miteinander gemeinsam: Der ältere Bildhauer, Fehrle, gehört einer Künstlergeneration an, die ungeachtet aller gewagter Blicke über die Grenzen des Gegenständlichen hinweg der klassischen Darstellung verpflichtet blieb und sich sogar mit der fragwürdigen Ästhetik des Nationalsozialismus arrangieren konnte.

Der jüngere, Raschke, wuchs in einer Zeit heran, die heftig um den Stellenwert abstrakter und figürlicher Plastik ringen musste, in der sich auch eine Beliebigkeit breit machte und im Hinblick auf die figurative Kunst sich die Grenze zum Kitsch aufweichte. Das Menschenbild war dem einen das bewährte Thema der Skulptur, das Bild menschlichen Tuns dem anderen ein Anliegen. Das heißt aber auch, dass Fehrle auf ein (menschliches) Modell angewiesen war, während Raschke allenfalls (dingliche) Modelle schuf. Und doch: Außer dass beide Künstler in Schwäbisch Gmünd zur Welt kamen, haben deren so grundverschiedenen Arbeiten die Passion zum Sujet und die Lust am Gegenständlichen gemeinsam. Und erst mit dem Miteinander bzw. dem Parallel-Lauf wird erkennbar, wie selbstbewusst und zugleich unbekümmert sich die Gattung präsentiert, die allzu oft im Schatten der Malerei und Medienkunst steht. Was die beiden Werke angeht, erwartet den Betrachter Feinstes aus der ersten Hälfte und der Mitte des 20. Jahrhunderts sowie außerordentlich Originelles an der Wende zum neuen Jahrtausend.

Rund 50 Werke hat Thomas Raschke (geb. 1961) in der Galerie im Prediger zu einem an den Räumlichkeiten des ehemaligen Kirchenschiffs orientierten Gesamtensembles zusammengeführt, das erstmals einen Überblick über sein Schaffen der vergangenen zehn Jahre bietet. Raschke ist ein Bastler mit Passionen. Aus Holz, Pappe, Styropor und diversen anderen Materialien (von Eisen über Fingernägel bis zur Bierflasche) erstellt der Künstler Alltagsmodelle, die zum Spielen anregen: Burgen und Kirchen, Flugzeuge, Schiffe oder Panzer, eine Wohnzimmereinrichtung oder Krimskrams. Dabei verfremdet er, nicht ohne Ironie, die Objekte unsrer vertrauten Wirklichkeit: als Kuriosität präsentiert er zum Beispiel einen »Rennwagen«, der aus einem Brötchen und vier Scheiben Harzer Roller bestehen, oder »Essen auf Rädern«, das einem Brotlaib das Rollerskaten beibringt. Allerdings geht es Raschke um mehr als um bloßen Modellbau – wie man etwa an der »Arche« sieht, einem Pappschiff mit einer Fabrik auf/als Deck. Wenn sich ein weiterer schnittiger Rennwagen als Pappweichling herausstellt, entlarvt Raschke den Schnelligkeitswahn unsrer Zeit; und wenn sich der Sperrholzpanzer als neckisch im Häkelmuster dekorierte »Handarbeit bosnischer Hausfrauen« zeigt, ertappt man sich auch mal beim allzu vorschnellen Schmunzeln. Raschke sucht, so Ralf Christofori im Katalog, »nach kulturellen Prototypen und entdeckt darin die Symptome einer Ästhetik, von der man sich für gewöhnlich keinen Begriff macht«. Auf wunderbare Weise, mit sprühender Phantasie löst Raschke hier die Erwartungen an den Menschen als homo ludens ein, den Menschen, der einen wesentlichen Impuls für sein Dasein und sein Schaffen aus dem Spiel bezieht.

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Der in Schwäbisch Gmünd geborene Raschke absolvierte zunächst eine Goldschmiedelehre, bevor er in Stuttgart bei Moritz Baumgartl – dessen ironische Hintergründigkeit sicherlich prägend waren – und Inge Mahn studierte. 1993 gründete er mit Sebastian Rogler die Künstlergruppe »Das Deutsche Handwerk«, außerdem stellte er bis 2004 zusammen mit der Gruppe »Die Weissenhofer« (Mandernach, Rogler u.a.) aus.

Eine andere Art der Passion gibt die zweite Gmünder Ausstellung zum Besten: Rund 100 Arbeiten aus sieben Jahrzehnten des Bildhauers Jakob Wilhelm Fehrle (1884–1974) gehen dem Thema Mädchen und Frauen nach – in dieser Fülle und technischen Vielfalt ist die Bedeutung des Aktes für Fehrles Schaffen noch nie herausgearbeitet worden. In beeindruckender Stetigkeit hat der Plastiker allen Lockungen seitens der Abstraktion widerstanden, und doch das ganze 20. Jahrhundert reflektiert. Prägend waren für Fehrle seine frühen Paris-Aufenthalte, die ihn nicht nur mit Albiker, Kolbe und Lehmbruck, sondern auch mit Maillol und Picasso zusammenbrachten. Diese Bekanntschaften bewahrten den Bildhauer später, in den 30er- und 40er-Jahren ebenso vor manchen zeitverhafteten Entgleisungen – man denke an die martialisch aufgeblasene Gummipuppenästhetik eines Arno Breker – wie die ihm eigene, fast zarte Geistigkeit. So vermeidet Fehrle in seinen Mädchen- und Frauendarstellungen auch vordergründig erotische Anspielungen, wohingegen er einen ausgesprochen sinnlichen Zugang sucht. Das ist kein Widerspruch, versteht man die Sinnlichkeit eben als geistigen Reiz: Die Plastiken, allen voran die Holzarbeiten, vermitteln durchweg eine Nachdenklichkeit, die keinen Raum für Voyeurismus seitens des Betrachters zulassen. Allerdings gelingt es Fehrle nicht, diese Sensibilität über die Jahrhundertmitte hinaus aufrechtzuerhalten; sein spätes Werk entgleitet ihm leider ein wenig ins Posenhafte.

Selten hat man die Gelegenheit, ein derart breites Band an plastischen Gestaltungsmöglichkeiten kennenzulernen – nicht nur die Malerei hat ihr Terrain zurückgewonnen, auch die Skulptur hat nicht wirklich etwas von ihrer Faszination eingebüßt. Zumindest ziert die Kunst im Doppelpack Museum wie Galerie im Gmünder Prediger ganz ordentlich.

 

 

Weitere Informationen

 

Öffnungszeiten
Di, Mi, Fr 14–17 Uhr
Do 14–19 Uhr
Sa, So 11–17 Uhr

Eintritt (nur Wechselausstellung)
2,50 €, ermäßigt 1,50 €, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren frei

Gruppenführung
Anmeldung unter Tel. 0721/92633-70 oder
E-Mail muse@kunsthalle-karlsruhe.de

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