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Tischbein: Der Maler als Poet , Schlossmuseum Weimar, bis 11. Juni 2006

Knapp 200 Jahre nachdem der Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829) seine »Idyllen« zur Begutachtung an den Dichter Goethe nach Weimar sandte, sind die Blätter wieder in die Klassikerstadt zurückgekehrt. Um 1820 regten sie Goethe zu seinem umfangreichsten Werk über zeitgenössische Kunst »Wilhelm Tischbeins Idyllen« an. Ab 8. April sind viele dieser Arbeiten zusammen mit weiteren neu erworbenen Zeichnungen des Künstlers in einer Ausstellung der Klassik Stiftung im Weimarer Schlossmuseum erstmals öffentlich zu sehen. Unsere Autorin Anna Seidel hat sich für PKG die Ausstellung angesehen.

1786 berichtet Johann Wolfgang von Goethe in seinem Tagebuch der italienischen Reise von den »sehr angenehmen idyllischen Gedanken«, die der junge Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein ihm im Jahr ihrer ersten Begegnung über eine Kooperation von Dichter und Maler unterbreitet habe. »Er hat mir davon auf unsern Spaziergängen erzählt, um mir Lust zu machen, dass ich mich darauf einlassen möge. Das Titelkupfer zu unserm gemeinsamen Werke ist schon entworfen; fürchtete ich mich nicht, in etwas Neues einzugehen, so könnte ich mich wohl verführen lassen.«

Tatsächlich bedurfte es des langwierigen, hartnäckigen Werbens des Malers, um das gemeinsame Projekt Jahrzehnte später und lange nachdem die zunächst so enge Künstlerfreundschaft in eine große Entfremdung umgeschlagen war, zu realisieren. Der erwähnte erste Entwurf eines Titelblattes für die »Idyllen« gehört zu Goethes Kunstsammlung in der Stiftung Weimarer Klassik. Doch erst im Jahr 2003 konnten die zu dem Zyklus gehörigen farbigen Zeichnungen als Teil von insgesamt 222 neu erworbenen, bis dahin unbekannten Blättern Tischbeins nach Weimar zurückgeholt werden.
Ergänzt von weiteren Zeichnungen des Malers und wenigen Gemälden der Tischbein-Familie aus dem Altbestand der Weimarer Kunstsammlungen stellen die aktuelle Ausstellung und die begleitende Publikation dieses Konvolut der Öffentlichkeit erstmals vor.

Die für die Grafische Sammlung Weimar angekauften Aquarelle, Gouachen und Zeichnungen entsprechen einem Drittel des Tischbein-Bestandes aus dem vormaligen Privatbesitz der Großherzöge von Oldenburg, in deren Diensten der Maler nach 1808 stand. Die Neuankäufe sind zu einem großen Teil in Klebebänden vereint und teilweise durch Kommentare des Künstlers und seines Umkreises bereichert. Angekauft wurden vorrangig Serien, die in einem besonderen Bezug zu der Weimarer Kunstlandschaft stehen.
Unter den Exponaten werden die eingangs erwähnten Zeichnungen zum Idyllen-Zyklus besonders hervorgehoben. In diesen Arbeiten entfaltete Tischbein in irisierender Farbigkeit die friedlichen Visionen, die bereits während seiner Italienreisen angeregt, jedoch erst im Auftrag seines letzten großen Förderers, des Herzogs von Oldenburg, ausgeführt wurden. Tischbein traf 1786 in Rom erstmals persönlich mit Goethe zusammen. Dieser wusste den Maler als Kenner des Landes, der Kunst und der archäologischen Stätten sehr zu schätzen. Während ihres intensiven Austauschs wurde auch die Idee der gemeinsamen Arbeit an einem Idyllen-Zyklus geboren. Doch kam es schon 1788 zu einem Bruch, den Tischbein wohl verursacht hatte, jedoch stets zu überbrücken suchte. Goethe reagierte teilweise verbittert auf die Entscheidung des Malers, ihre gemeinsame Reise gen Süden nicht fortzusetzen, sondern in Neapel die eigenen beruflichen Ambitionen voran zu treiben. Obgleich ihre wechselseitigen Erinnerungen von der vergangenen Vertrautheit zeugen und trotz des steten Bemühens Tischbeins konnte diese nicht wiederhergestellt werden. Als dieser im Jahr 1821 Zeichnungen zu jenem Projekt an den Dichter nach Weimar sendete, das sie knapp vier Jahrzehnte zuvor gemeinsam überdacht hatten, konnte er sich eines Abschlusses des Unterfangens sicher sein. Doch diese Sendung beantwortete Goethe mit den erhofften Versen. Nun sind die Bilder, die den Dichter inspirierten erneut nach Weimar gelangt und in der laufenden Ausstellung zahlreich vertreten.
Auch die ausgestellten Fragmente der »Sibyllinische Bücher« gehören zu einem Werkkomplex Tischbeins, der bereits zu Lebzeiten des Künstlers in Weimar kursierte und im Umfeld der Herzogin Anna Amalia bewundert wurde: Reflektionen zu diesen Blättern finden sich beispielsweise in Arthur Schopenhauers Schriften wieder.

In der Ausstellung werden diese beiden zentralen Werkgruppen von Tischbeins Natur- und Tierstudien, von Illustrationen zu Goethes »Reinecke Fuchs« und von Kopien niederländischer Meister des 17. Jahrhundert begleitet. Eindrucksvoll sind Einzelblätter wie das Aquarell mit einer Baumstudie zur »Großen Idyllenlandschaft«, oder der »Rat der Tiere«, ein großformatiges Beispiel der Illustrationen zu »Reineke Fuchs«. Doch handelt es sich bei der Bilderfülle nur um eine Auswahl aus der nunmehr größten deutschen Sammlung von Tischbein-Zeichnungen. Sie umfasst auch eine Gruppe von Antikenzeichnungen, darunter großformatige Köpfe von Helden und Göttern, die in zarten Farben und mit lebhaftem Blick in menschlicher Fleischlichkeit vorgestellt werden. Der heutige Betrachter mag sich hin und her gerissen fühlen zwischen der zeitlosen Bewunderung für die Virtuosität des Zeichners und der epochetypischen Interpretation der Motive. Eindeutiger und impulsiver waren noch die Reaktionen der neapolitanischen Zeitgenossen, die Tischbein beim Zeichnen eben solcher Figuren 1787 beobachteten und ihrerseits von Goethe kommentiert wurden: » Die Beiwohnenden schauten mit Verwunderung, wie das so leicht ablief, und breiten sich recht herzlich darüber. Nun kam es ihnen in die Finger, auch so malen zu wollen; sie fassten die Pinsel und – malten sich Bärte wechselsweise und besudelten sich die Gesichter. Ist darin nicht etwas Ursprüngliches der Menschengattung?«
Beim Verlassen der Ausstellung sind erneut die schnell skizzierten Motive aus dem privaten Umfeld Tischbeins zu passieren. Der Blick auf den die Kissen zurecht klopfenden Goethe entlockt auch den heutigen Vertretern jener Menschengattung ein heiteres Schmunzeln.

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