Rezensionen

Weltgrößte Franz West Ausstellung in Wien

Auf mehr als 800 Quadratmetern zeigen im Sinne eines bürgerschaftlichen Engagements vier Wiener Großsammler im 1. Bezirk der österreichischen Hauptstadt mehr als 400 Franz West Werke aus dem Eigenbestand. Herausgekommen ist mit „Gebrauchsanleitung mit Aktionismusgeschmack“ eine Schau der Superlative, die zuletzt selbst die großen Überblicksausstellungen im Belvedere und Centre Pompidou in den Schatten stellt und bei der alle Werkphasen des Künstlers repräsentativ abgebildet sind, bisher nie gezeigte West-Preziosen das Licht der Öffentlichkeit erblicken und Schlüsselwerke sich wie Perlen an einer Kette in die Fülle von Arbeiten aufreihen, als wäre dies längst selbstverständlich. Kunstkritiker Sebastian C. Strenger wagte einen Blick in dieses außergewöhnliche Projekt. Prädikat: Unbedingt sehenswert!

Franz West Ausstellung, © SCS Bilcharchiv, Berlin
Franz West Ausstellung, © SCS Bilcharchiv, Berlin

Franz West starb am 26. Juli 2012. Etwas mehr als ein Jahr zuvor hatte der Österreicher den goldenen Löwen für sein herausragendes Lebenswerk bei der Biennale in Venedig in Empfang genommen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt, bei der sich der von bereits langer Krankheit gezeichnete Künstler mit seinem Werk präsentierte, war auch dem letzten namhaften Sammler klar, dass seine Kunst zu den wichtigsten Positionen der internationalen Postmoderne zählt. Schon zu Lebzeiten war er zudem einer der teuersten Künstler seiner Zunft.

© SCS Bilcharchiv, Berlin
© SCS Bilcharchiv, Berlin

Begonnen hatte alles im Atelier von Rudolf Polanszky, der den damals jungen West in seinem Atelier aufnahm, wo dieser ihm zunächst jahrelang assistierte. Nach seiner Entdeckung durch den Wiener Galeristen Peter Pakesch in den Achtzigern begab sich der Künstler durch zahlreiche internationale Ausstellungen auf die Erfolgsspur.
Seine großen Galerien seit den 1990ern waren David Zwirner, der gerade in New York und Paris eine Ausstellung des Künstlers zeigt – darüber hinaus Gagosian (New York), Hauser & Wirth sowie Eva Presenhuber in Zürich, aber auch Skarstedt in London, Bärbel Grässlin in Frankfurt, Tim van Laere in Antwerpen sowie Philipp Konzett als Galerist und einer der Großsammler in Wien, der federführend für das Kollektiv von Sammlern diese Ausstellung initiiert hat. Wests Geflecht an Galerist:innen, die der Künstler oft als „Lebensabschnittspartner“ bezeichnete, verhalf dem Künstler zu seinem nachhaltigen Erfolg. West hinterließ ein Gesamt-Oeuvre von derzeit etwa 5.700 registrierten Werken. Ganze acht Prozent seines Gesamtwerks sind nun auf verschiedenen Ebenen in einem Gewirr von Räumen mit einer teils Deckenhöhe von mehr als fünf Metern in Wiens Weihburggasse 26 zu sehen.

© SCS Bilcharchiv, Berlin
© SCS Bilcharchiv, Berlin

Betritt man die Räume der ehemals Galerie Mario Mauroner offenbart sich bereits im ersten Raum zur Rechten ein Schlüsselwerk des Ausnahmekünstlers: Es führt den Betrachter zurück in die Zeit der 1970er Jahre. Zu eben jener Zeit entstanden seine ersten Skulpturen - 1974 befestigte er etwa ein Paar rotbraune Gummischuhe auf einer grob ausgerissenen, blassgelb lackierten Holzplatte. Der Betrachter beziehungsweise die Betrachterin sollte, so stellte West sich das vor, auf die Platte steigen, in die Schuhe schlüpfen und sich der Erfahrung des Isoliert-in-Gummischuhen-auf-einer-Farbinsel-Stehens aussetzen.

© SCS Bilcharchiv, Berlin
© SCS Bilcharchiv, Berlin

Auch West pflegte einen erweiterten Skulpturbegriff, ähnlich wie Beuys. Im Gebrauch seiner Kunst sollte es nicht nur um das physische und psychische Erlebnis mit dem Kunstwerk selbst gehen, sondern es sollte damit gestaltend auf die Gesellschaft insgesamt eingewirkt werden.
Eine in dieser Zeit gefertigte Skulptur ist „Immobiles Passstück (Polizeikappen)“. Es besteht aus einem fast 2,30 Meter langen und 47 Zentimeter hohen Holzbrett, das an der Wand fixiert wird und an dem zwei Polizeimützen hängen. Dieses Passstück war zuletzt ein Highlight in der Überblicksausstellung „The Beginning. Kunst in Österreich 1945 bis 1980“ in der Eröffnungsausstellung der Albertina Modern.
Mit der hier abgebildeten Skulptur war vom Künstler offensichtlich ein größeres emotionales Erlebnis intendiert. Die Betrachter:innen sollten noch exponierter und entsprechend befangener als sonst auftreten, da von Franz West vorgeschlagen wird, sich zu entkleiden, um dann eine oder beide Polizeikappen vom Nagel der „amtsgrün“ lackierten Holzplatte zu nehmen, sie aufzusetzen und sich so vor die Platte zu stellen. Hier direkt gegenüber dem großen West-Spiegel ebenso als Passstück.

© SCS Bilcharchiv, Berlin
© SCS Bilcharchiv, Berlin

Die Arbeiten entstanden zu einer Zeit, in der Franz West noch durch die Kaffeehäuser Wiens tingelte, um seine Zeichnungen für 100 Schilling – heute 7,27 Euro – je Exemplar zu verkaufen. In dieser Zeit war er häufig mit dem Gesetz in Konflikt geraten, daher kann diese in der aktuellen Ausstellung präsentierte Wandskulptur aus der Sammlung Konzett auch als Statement gewertet werden.
Mit dem Brett vor dem Kopf erscheint der Mensch hier, wie Gott ihn schuf, also vor der Staatsmacht nackt; nur mit der Polizeikappe ist er auf Augenhöhe der Verwaltung, dabei zugleich „beschränkt“. Seine Persönlichkeit ordnet sich mit der Polizeikappe, dem Symbol des Staatsapparats, unter, wobei der Gebrauch dieses Objekts Scham in ihm aufsteigen lässt. West kommentierte selbst einmal vieldeutig: „Ich behaupte, wenn man Neurosen sehen könnte, sähen sie so aus.“
Gleichzeitig war Franz West der Auffassung, Amtsträger mögen sich nackt machen, denn 1974 erschien den Menschen als ein korruptes Jahr. Die Tristesse Wiens dieser Tage war vor allem geprägt von den Auswirkungen der Ölkrise des Vorjahres. Im Norden Zyperns begann der Zypernkrieg mit dem Einmarsch und der Besetzung durch türkische Truppen, in Washington trat aufgrund der Watergate-Affäre, Richard Nixon als US-Präsident zurück, und in Deutschland gab es einen Regierungswechsel, nachdem Bundeskanzler Willy Brandt durch die Spionageaffäre um seinen persönlichen Referenten Günter Guillaume sein Amt niederlegte.
Wests Werke entstanden vielfach mit der Idee des Künstlers, dass sie einzusetzen seien. Leider sind seine Arbeiten heute so teuer geworden, dass sie oft aus konservatorischen und versicherungstechnischen Erwägungen zu reinen Vitrinenobjekten degradiert wurden.

© SCS Bilcharchiv, Berlin
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Aber was diese Ausstellung einzigartig macht, ist: Sie geht neue Wege und ermöglicht vielfach sogar, mit den Werken des Künstlers auf Tuchfühlung zu gehen. Eben im wahrsten Wortsinn dann beispielsweise, wenn man sich für eine Ruhepause auf eine seiner vielen Möbelskulpturen mal kurz niederlässt, denn für den Besuch sollte man mindestens zwei Stunden einplanen. Am West-Tisch sitzen und eine der 50 ausgestellten internationalen Buch-Monografien des im Alter von 65 Jahren verstorbenen West wälzen, dürfte hier ebenso möglich sein.

Dabei fällt auf, dass viele der Buchtitel das Cover mit Werken aus dieser hervorragend kuratierten Ausstellung zieren. Allgemein gilt, je aufwendiger die Collagen übermalt und umso früher entstanden, desto höher stehen die Werke im Kurs von Sammler:innen. Dies dachten sich wohl auch die Großsammler Reza Akhavan, Heinz Neumann und Gernot Schauer, die sich Konzetts Initiative angeschlossen haben und in den Ausstellungsräumen zusammen nun die gesamte West-Klaviatur bespielen, inklusive nie gezeigter frühester Schwarz-Übermalungen von Persönlichkeiten in Anlehnung an den Einfluss durch Arnulf Rainers informelle Malerei oder das Manuskript von West´s erstem Katalog zu seinen Passstücken.

© SCS Bilcharchiv, Berlin
© SCS Bilcharchiv, Berlin

Zu sehen sind von zahlreichen Plakat-Übermalungen bis zu Kunstwerken aus den Anfangstagen des Künstlers aus den Siebzigern mit Graphitzeichnungen zu den Sujets der französischen Existentialisten aus dem Bestand des Sammlers Neumann bis in die Mitte der Achtziger Jahre mit übermalten Collagen, teils die größten ihrer Art aus den Beständen der Sammler Akhavan und Schauer sowie Stempelcollagen mit teilweise verschiedenen Signaturen von verschiedenen Künstlern auf Klebezetteln und unterschiedlich auf einem von West signierten Blatt aufgebracht, bis hin zu einem aus Alublech geschweißten überdimensionierten und in brauner Farbe lackierten Kringel als eine seiner insgesamt 300 entstandenen Außenskulpturen sowie zahlreiche Möbelskulpturen.

© SCS Bilcharchiv, Berlin
© SCS Bilcharchiv, Berlin
© SCS Bilcharchiv, Berlin
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Solitäre Werke wie die etwa zwei Meter große Kugel des Sammlers und Künstlers Gernot Schauer in einem eigenen Ausstellungsraum macht die Ausstellung zudem besonders. Aber auch die für sein Freiluftkino auf der documenta 9 verhängten staksbeinigen Sofas mit alten Perserteppichen als Möbelskulpturen, ebenso wie zahlreiche Tisch- und Stuhlskulpturen in allen Variationen, vom Uncle chair bis hin zum Nacktstuhl aus der Sammlung von Philipp Konzett, bei der die Betrachter:innen dazu ermuntert werden sollen, ihre Kleidung abzulegen, um durch Kunst ebenso an neuen Erfahrungen zu gewinnen.
Noch höher stehen bei Sammler:innen und Kunstfreunden die sogenannten Lemurenköpfe im Kurs, von denen vier auf der Stubenbrücke am Museum für angewandte Kunst (MAK) lange Zeit installiert waren und für die von privater Seite derzeit ein Nutzungskonzept erarbeitet wird, an dem sich die Stadt Wien für eine erneute Aufstellung beteiligen soll.
Neben Clubsesseln und Sofas sind es Diwane und West´s Entwürfe für Möbelskulpturen, wie etwa das berühmte Rundum-Sofa „Pouf“, die der Künstler in einer sogenannten ersten Serie sich zu Lebzeiten von verschiedenen Mitarbeitern im Atelier fertigen ließ. Die Franz-West- Privatstiftung hat hierzu zuletzt einen Katalog herausgegeben, mit der diese eine posthume Produktion der Möbel-Klassiker von Franz West in einer offenen Edition anbietet.
Bei den Skulpturen für den Innenraum entstanden insgesamt etwa 1.600 Werke an der Zahl. Sie besitzen häufig das unnachahmliche Aussehen, das an West´s typische Arbeiten erinnert. Aus Papiermaché gefertigte kleine und große Skulpturen, Passstücke als Skulptur für die Hosentasche, mit Draht und Mull in Dispersion gefertigte Maulschellen oder auch Watsch'n und Ohrenschläger, Labstücke und kleine Lemurenköpfe. Allesamt begehrt und in der Ausstellung in allen Variationen zu sehen - meist von einer internationalen Klientel, das diese Arbeiten schon in den 1990er Jahren bei Auktionen in den USA kaufte, als West in seinem Heimatland Österreich als Künstler noch weitgehend unbekannt war und das diese bereits seit Jahren wieder in den internationalen Auktionshandel zurückgibt. Hier oft erkennbar durch Auktionsdatenbanken der Distributionsweg, bei dem sich unter anderem die Großsammler dieser Ausstellung für ihren Sammlungsblock West teils eindecken konnten und mit viel kuratorischer Umsicht die bedeutungsvollen und besonderen Stücke auswählten.

© SCS Bilcharchiv, Berlin
© SCS Bilcharchiv, Berlin

„Ohne Marcel Duchamp und Beuys hätte es Franz West in der Kunstgeschichte nicht gegeben. Von allen drei Künstlern geht eine Erweiterung des Kunstbegriffs aus. Und dies macht für die Gegenwartskunst Franz West auch so bedeutsam. Sein Werk wird noch auf Generationen nach uns ausstrahlen,“ so der Kunstsammler Philipp Konzett.
Noch bis zum 22. April können Interessierte die gesamten Schaffensphasen (1970-2012) des Künstlers im Rahmen der Ausstellung kennenlernen. Für die, die es zeitlich nicht schaffen, gibt es bei Interesse anschließend einen Katalog, der in Zusammenarbeit mit der Franz-West Privatstiftung in Vorbereitung ist.

© SCS Bilcharchiv, Berlin
© SCS Bilcharchiv, Berlin

Retrospektive Franz West | „Gebrauchsanleitung mit Aktionismusgeschmack“
POP-UP-LOCATION | Weihburggasse 26 | 1010 Wien
Bis zum 22. April
Öffnungszeiten: Donnerstag - Samstag von 12 – 18 Uhr

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