Wilfried Rogasch: Franken in 24 Kapiteln. Hirmer Verlag

Der Historiker und Kunsthistoriker Wilfried Rogasch hat es für den Münchner Hirmer-Verlag unternommen, das in sich reiche und widersprüchliche Frankenland als kulturgeschichtliche Region zu porträtieren. Auch wenn es deutlich mehr sein könnten, er hat sich dabei auf 24 Kapitel beschränkt. Eine vielseitige Anregung, die Lust macht, mal wieder hier- oder dorthin zu fahren, findet unser Rezensent Walter Kayser.

Cover © Hirmer Verlag
Cover © Hirmer Verlag

Das Wort »Franken« lässt an Chlodwig und die Karolinger im Frühen Mittelalter denken, an jene schwer zu lokalisierenden Volksstämme, welche die Römer in der Spätantike mit Respekt »die Mutigen« nannten. Vielleicht gehört auch zum Assoziationsraum des Begriffs das westlich gelegene »Frankreich« oder die Städtenamen »Frankfurt«, wo sich bevorzugte Flussübergänge für diese Franken anboten. Das Adjektiv »fränkisch« klingt schon anders. Erst recht »altfränkisch«. Da denkt man an Wohnzimmer mit schweren historistischen Eichenmöbeln und großen Bierkrügen oder an den Duft einer »Broudworschd«. Manchen mag vielleicht auch eine uralte Studentenverbindungen einfallen, oder verwinkelte Städte an der ach so beliebten »Romantischen Straße«, die irgendwie aus der Zeit gefallen scheinen wie Rothenburg oder Dinkelsbühl, in denen amerikanische oder chinesische Touristen das suchen, was sie mit dem unmöglich zu übersetzendem Wort »Gemütlichkeit« verbinden wollen.

Die heutige Region Frankenland ist historisch wie geografisch als östlichstes Siedlungsgebiet des Volksstammes schwer eingrenzbar. Es ist der Norden vom Süden Deutschlands und, von außen betrachtet, haftet ihm das Klischee an, die deutscheste aller deutschen Landschaften zu sein. Der Weinanbau ist hier genauso zu Hause wie eine reichhaltige Tradition des Bierbrauens. Dabei ist sie politisch nicht klar definiert. Vielmehr ist ihr genau das beschieden gewesen, was man von Deutschland insgesamt sagte: eine Mittellage mit vielen Nachbarn, die an Dichte und Vielfalt viele Widersprüche in sich vereint.
Seine großen Wasserstraßen von Main und Altmühl gehen unterschiedliche Wege, mündet der Main doch in den Rhein und schließlich in die Nordsee, die Altmühl dagegen in die Donau, mithin ins Schwarze Meer. Der Wiener Kongress und dann noch einmal die in Potsdam beschlossene Nachkriegsordnung schlugen es dem Königreich beziehungsweise dem »Freistaat« Bayern zu, auf dass dieser ein Gegengewicht zu einem drohenden preußischen Zentralismus bilde. Das funktioniert bis heute, lässt man hier mal den beliebten und oft bewitzelten Gegensatz zwischen den »Franken« und den »Altbayern« beiseite. Die Region hebt sich mit kulturellen und vor allem sprachlichen Eigenheiten von seiner Umgebung ab (angeblich soll es zwanzig verschiedene Bezeichnungen für das geben, was im Hochdeutschen »Brötchen« heißt), sie ist aber kein politisches Gebilde mit fest eingegrenztem oder definiertem Gebiet, denn neben den bayerischen Teilen Frankens gibt es auch welche, die den Bundesländern Thüringen, Hessen und Baden-Württemberg angehören.

Blick ins Buch © Hirmer Verlag
Blick ins Buch © Hirmer Verlag

Es hätte vielleicht nahegelegen, einen fest verwurzelten fränkischen Heimatgeschichtler mit solch einem Buch zu betrauen. - Aber Wilfried Rogasch stammt aus Niedersachsen und er wohnt seit Jahrzehnten in Berlin. Was ihn empfahl war allein sein schriftstellerisches Können, das er bereits mit zwei ähnlichen Büchern desselben Verlages unter Beweis gestellt hatte: Bayern in 24 Kapiteln (2015) und Die 100 schönsten Kirchen in Oberbayern (2016). Und in der Tat, Rogasch versteht es die richtige Balance zwischen den Formaten Reisebuch und kunstgeschichtlicher Führer zu finden. Sein kulturgeschichtlicher Ansatz ist integrativ und multiperspektivisch. Er umfasst Land und Leute, Kunst und Musik, immaterielles Erbe, Kulinarik, Wein- und Bierbraukunst, die Schlösser und Gärten, die Unternehmer und die Dichter. Und bedürfte es einer Rechtfertigung, dass er als Nichtfranke diese Region porträtiert, so könnte er auf viele Persönlichkeiten verweisen, die als Nichtfranken eng mit ihr verquickt waren: Die Romantiker Wackenroder und Ludwig Tieck waren beide Preußen, Ludwig Richter, der Maler der altfränkischen Idyllen, kam aus Sachsen, sogar das »Frankenlied« stammt aus der Feder des badischen Erfolgsschriftstellers Victor von Scheffel. Franken war anscheinend gerade für Menschen, die von außen kamen, das Land der romantischen Sehnsucht. Der Rheinländer Karl Leberecht Immermann brachte es schon vor 200 Jahren auf den Punkt: »Franken ist ein Zauberschrank; immer neue Schubfächer tun sich auf und zeigen bunte, glänzende Kleinodien, und das hat kein Ende. Wer Deutschlands geheimste, jungfräulichste Reize genießen will, muss nach Franken reisen.«

Rogasch baut das Buch so auf, dass er in einem ersten Kapitel die Komplexität dieser Kulturlandschaft historisch aufdröselt. Danach geht es um die bis heute reformatorisch geprägte »Hauptstadt« Nürnberg und ihren größten Sohn Albrecht Dürer. Eine ähnliche Koppelung von Städteportrait und herausragender Persönlickeit folgt mit der katholischen Mainmetropole Würzburg und dem Baumeister ihrer Residenz Balthasar Neumann. Dieses Prinzip, zwischen allgemeinen Charakterisierungen und konkreten Lebensgeschichten zu variieren, sorgt für angenehme Abwechslung. Im 9. Kapitel werden beispielsweise die beiden größten Bildschnitzer um 1500, Tilman Riemenschneider und Veit Stoß, die auch in ihrem Naturell in gewisser Hinsicht als Antipoden anzusehen sind, gegenübergestellt. Auch die Stadtpfarrkirche St. Maria Magdalena im unterfränkischen Münnerstadt, wo die beiden Künstler auf abenteuerliche Weise mit zwei Aufträgen zusammenkamen, wird berücksichtigt.

Blick ins Buch © Hirmer Verlag
Blick ins Buch © Hirmer Verlag

Sozusagen locker eingestreut sind dann Kapitel mit einer Länge von etwa 15 bis 20 Seiten, die etwas summarisch verschiedene Schlösser, Gärten oder Kirchen behandeln. Durchweg bewegt sich die Darstellung auf einem soliden Niveau, größtenteils Handbuchwissen, aber sprachlich und inhaltlich gut zusammengefasst, - nicht mehr, aber keineswegs weniger. Das Gleiche gilt für die Abbildungen: Anders als in den Prachtbänden, für die der Münchner Verlag seit Jahrzehnten berühmt ist, muss hier der gängige Blickfang zu Beginn eines Abschnitts genügen. Die Bilder setzen wie Ansichtskarten auf den Wiedererkennungseffekt. Erfreulich ist, dass auch Persönlichkeiten wie die Fürstin Wilhelmine, Lieblingsschwester des Preußenkönigs Friedrich II., und aus Gründen der Staatsraison nach Bayreuth verheiratete Markgräfin, einen eigenen Abschnitt eingeräumt bekommen, kann man doch ihr Wirken mit dem Park der »Eremitage« oder dem »Markgräflichen Opernhaus« auch heute noch nicht hoch genug einschätzen. Die Tragik ihres Lebens und Sterbens am 14. Oktober 1758 mit 49 Jahren spitzte sich zu, als dem Markgraf im Siebenjährigen Krieg einerseits ein preußisches Dragonerregiment übertragen wurde und er zugleich auf der anderen Seite dem Kaiser mit einem eigenen Regiment Heerfolge zu leisten hatte.

»Du liebes Bayreuth, […] man sollte sich einbohren in Dich, um nimmer heraus zu können«, war auch die Meinung des Dichters Jean Paul. Denn »In der Stadt fand Jean Paul die 'drei B', die für sein Wohlbefinden wichtig waren: Bücher, Bier und Berge« (227). Rogasch schildert nicht nur die Stationen und Werke des seinerzeit ungeheuer populären ersten »freien Schriftstellers«, durch welchen »das 'typisch Fränkische' in die Weltliteratur Einzug gehalten« habe, er zeigt auch auf, wo sich heute noch welche Spuren dieses Exzentrikers zu finden sind.
Ein anderes Kapitel folgt der Schweinfurter Firmengeschichte Fichtel&Sachs durch alle Höhen und Tiefen, angefangen von den ersten Kugellagern und Fahrradnarben für Hochräder des Firmengründers Ernst Sachs, über die Verstrickungen seines einzigen Sohnes Willy mit dem NS-Regime bis in die Gegenwart. Dasselbe gilt für eine ganze Reihe von kurz gehaltenen Unternehmer- und Firmenporträts, die zum Teil in den mit »Personalia« I und II überschriebenen Kapitel kurz und bündig abgehandelt werden: für Adolf »Adi« Dassler aus Herzogenaurach und seinen verfeindeten Bruder Rudolf, der die Konkurrenzmarke zu »Adidas«, nämlich »Puma« im selben Ort Herzogenaurach gründete; für die Firmengeschichte von Max Grundig oder Georg Schäfer in Schweinfurt.
Dabei ist es der Tenor des Autors, Franken gegen den Strich des biederen, altdeutschen Klischees zu kämmen. Wenn es um die braune Vergangenheit geht, wird nichts beschönigt. Ähnlich kritisch setzt sich ein Kapitel mit dem jüdischen Leben in Franken, insbesondere in Fürth auseinander. Kurzbiografien wie die des nach Kalifornien ausgewanderten Levi Strauss, Sohn eines armen Hausierers aus dem oberfränkischen Buttenheim, fehlen ebenso wenig wie knappe Ausführungen zum »Karpfenernten« im Aisch-Tal. Erwähnung finden die kulturellen Repräsentanten einer reichen Tradition, angefangen von Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach bis hin zu Richard Wagner oder dem an seinem Landsmann Dürer geschulten Karikaturisten Michael Mathias Prechtl. - Insgesamt ein in seiner Vielseitigkeit und Dichte sehr anregendes und gescheites Buch, das Lust macht, den Besuch einer schönen Landschaft, gutes Essen und Trinken zu verbinden mit einer Freude an Begegnungen und Sehenswürdigkeiten allenthalben.

Wilfried Rogasch
Franken in 24 Kapiteln
Hirmer-Verlag, München 2023
416 Seiten
86 Abbildungen in Farbe
15 x 23,3 cm, gebunden
ISBN: 978-3-7774-4219-8
Preis 29,90 €

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