Ausstellungsbesprechungen

2. FotoFestival Mannheim_Ludwigshafen_Heidelberg 2007 »Reality Crossings«

Gerade ist das 2. FotoFestival Mannheim_Ludwigshafen_Heidelberg 2007 »Reality Crossings« zu Ende gegangen. Rund 17.000 Besucher, so der Mannheimer Morgen am 25.10.07, haben in den letzten vier Wochen die Ausstellungen besucht und damit alle Erwartungen an das junge Event übertroffen.

 An sieben verschiedenen Festivalorten im Rhein-Neckar-Delta, darunter die Kunsthalle Mannheim und das Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen, wurden Arbeiten von mehr als 80 zeitgenössischen Fotografen aus aller Welt gezeigt, die das Festival zu einem der größten Ereignisse dieser Art in Deutschland machten und die Metropolregion an Rhein und Neckar um ein weiteres bedeutendes Großereignis im ohnehin umfangreichen Festivalkalender bereicherten.


Unter dem Motto Reality Crossings hat Festivalkurator Christoph Tannert vom Künstlerhaus Bethanien, Berlin, Künstler ausgewählt, die einen bestimmten Blick auf die Wirklichkeit, eine besondere Art der Wahrnehmung vertreten. Bereits erfolgreiche Namen wie Tacita Dean (UK), Peter Friedl (D) und Mariele Neudecker (D) waren ebenso auf der Teilnehmerliste zu finden wie viel versprechende Newcomer. Die gezeigten Werke reichten von klassischer Fotografie über Experimente mit dem Medium bis hin zu Videoarbeiten und Installationen und boten ein breites Spektrum der Gegenwartsfotokunst.
 

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Die zahlreichen unterschiedlichen Positionen der Künstler formten ein spannungsreiches Netzwerk, das den Besucher anregen, abstoßen, provozieren, beeindrucken, schockieren, aber mit Sicherheit nicht kalt lassen konnte. Im Schnittpunkt von sich kreuzenden Realitätsebenen – Reality Crossings – wurde der Betrachter mit Themen und Bildern konfrontiert, die er sonst nicht ohne weiteres zu sehen bekam oder bekommen wollte. So konnte das Fotofestival den selbst gestellten Anspruch der Ausstellungsmacher, ihr Publikum in irgendeiner Form zu berühren, in Dialog zu bringen, zu emotionalisieren, erfüllen.
 

Viele der vertretenen Positionen hatten politische Untertöne, etwa die aufrüttelnde Videoinstallation von Paradox/Geert van Keesteren (NL) zur aktuellen Krisensituation im Irak, die Doku-Fotos aus Darfur/Sudan von Spiegel-Korrespondent Thilo Thielke (D) oder die nüchternen, fast abstrakt wirkenden und gerade dadurch umso eindrucksvolleren Fotografien Paula Luttringers (RA) zum Terrorregime der argentinischen Militärdiktatur in den 1970ern und ’80ern, von denen im FotoFestival nur einige ausgewählte zu sehen waren.

Auch die konfliktbeladene Beziehung zwischen den Kulturen von Orient und Okzident wurde thematisiert. Die provokanten Arbeiten der deutsch-türkischen Performance-Künstlerin Nezaket Ekici (TR) gehen der heiklen Frage nach der Rolle der Frau im Islam nach. Dabei setzt die Künstlerin gezielt auf Tabubruch wie in der zweiteiligen Fotoarbeit »My Pig« (2004), für die sie sich selbst im Tschador mit einem Ferkel, dem im Islam unreinen Tier, zeigt – für den gläubigen Muslim eine Provokation sondergleichen, für den Westler dagegen nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Ekici war darüber hinaus auch mit zwei Videoarbeiten, »Veil Fight« (2004) und »Hullabelly for Turkish Women« (2003) auf dem Fotofestival vertreten.

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Das Thema Frau im Orient behandelt auch Shirin Damerji (D), jedoch aus einem ganz anderen Blickpunkt. Die Fotoreihe der Halbirakerin dokumentiert Damerjis eigene Erfahrungen bei einem Besuch bei ihrer arabischen Familie, wo ihr westlich-nüchterner Kleidungsstil von den weiblichen Verwandten stark kritisiert und fast schon als peinlich empfunden wurde. Entgegen dem westlichen vorurteilsbehafteten Bild von der verhüllten muslimischen Frau legen die Orientalinnen großen Wert auf Schönheit und verstehen es, sich (privat) betont feminin zu kleiden. Damerji lässt sich auf ein Umstyling zur »West-östlichen Diva« (2007) ein, das von einem Fotografen festgehalten wird, und gewährt dem Betrachter so Einblick in eine Welt, die fremden Blicken sonst nicht zugänglich ist.

Viele weitere Arbeiten setzen sich mit dem Frauenbild und der Frage nach Schönheit unter verschiedenen Vorzeichen auseinander, so z. B. Debbie Han (USA), Noel Jabbour (IL/Palästina), Anastasia Khoroshilova (RUS) oder Bastienne Schmidt (D), Via Lewandowsky (D) oder Noritoshi Hirakawa (JAP).

Dagegen wendet sich die Nachwuchsfotografin Verena Jaekel (D), die jüngste Teilnehmerin des Fotofestivals, dem Männerbild zu. Ihre »Väter« (2007) zeigen Portraits von stolzen, jungen Vätern – die porträtierten Männer sind alle Anfang 20 – mit ihrem neugeborenen oder wenige Monate alten Nachwuchs. Ein eher ungewohnter Anblick, der nicht nur dokumentiert, wie sich gegenwärtig das Familienbild und die Rollenaufteilung in Deutschland allmählich verändern – dem Elterngeld sei Dank?! –, sondern auch die ikonografische Tradition erweitert: In der langen Geschichte der abendländischen Kunst ist die Darstellung der Mutter mit dem Kind eines der häufigsten und immer wiederkehrenden Motive, Vater und (kleiner) Sohn-Szenen dagegen finden sich nicht.

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Eine ähnliche Stoßrichtung verfolgen auch die provokanten Fotografien von Sigrid Jakob (D). Ihre »Bears« (2004) zeigen Akte von gewichtigen, behaarten homosexuellen Männer, die in der stark körper- und maskulinitätsbewussten schwulen Subkultur eine Außenseiterrolle einnehmen. Und nicht nur dort. Jakob gelingt es, dem Betrachter einen Spiegel vorzuhalten über seine mediengeprägten Schönheitsideale. Was ist schön? Wie hat ein idealer Männerkörper zu sein? Wer sagt mir, was schön ist? Wo und wie kann ich überhaupt noch unvoreingenommen andere Menschen betrachten, ohne sie durch eine medial anerzogener Schablone zu sehen?

Neben den inhaltlich orientierten Arbeiten finden sich Positionen, die sich mit dem Medium Fotografie und der Art der menschlichen Wahrnehmung beschäftigen: Die junge portugiesische Nachwuchskünstlerin Inès d’Orey (POR) mit ihrer ausgezeichneten Reihe »Porto Interiors« (2007) ebenso wie Stefan Heyne (D), dessen Arbeiten mit starken Vergrößerungen, unscharfen Einstellungen und Verzerrungen die Erwartung, dass Fotografie klar und deutlich die Wirklichkeit abzubilden habe, bewusst in Frage stellt. Beide haben, wie auch Peter Friedl (D) für seine »Theorie of Justice«-Reihe (2006) und Tacita Dean (UK) für »Russian Ending« (2001), mit Fundbildern gearbeitet, die in der Mediengesellschaft überall verfügbar sind – in der Zeitung, im Internet, auf dem Flohmarkt.

Darüber hinaus wurden drei Fotografen zu Artist-in-Residence-Projekten eingeladen. Beth Yarnelle Edwards (USA), Michelle Sank (ZA) und Kim Yunho (ROK) lebten und arbeiteten im Frühjahr 2007 für einige Zeit im Rhein-Neckar-Delta. Entstanden sind Foto-Reihen von Edwards und Sank, die das Leben in Mannheim und Ludwigshafen portraitieren, sowie eine Videoarbeit von Kim, die sich mit dem Tourismus in dieser Region auseinander setzt (Stichwort Heidelberg: die romantischen Burgenstraße führt von Prag über Mannheim nach Paris). Alle Arbeiten wurden im Rahmen des Fotofestivals erstmals öffentlich präsentiert.Ein weiteres Highlight des Festivals war die Verleihung des Dr.-Erich-Salomon-Preises 2007 der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh), der seit 1971 die »vorbildliche Anwendung der Photographie in der Publizistik« auszeichnet, an die sizilianische Fotografin Letizia Battaglia, die ihr Leben und Werk dem Kampf gegen die Mafia gewidmet hat. Ihre Fotografien sind aufrüttelnde Dokumente des Alltags in Sizilien im Schatten der allgegenwärtigen Verbrecherorganisation, deren Macht auch die Künstlerin mehr als einmal zu spüren bekam. Ihre Laudatio hielt Leoluca Orlando, ehemaliger Oberbürgermeister von Palermo von 1985-2000 und selbst aktiv engagiert im Kampf gegen die Mafia.

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Darüber hinaus wurde das FotoFestival von zahlreichen Sonderaktionen begleitet, darunter Filmvorführungen, Workshops für Kinder und Erwachsene sowie ein Reviewing bei renommierten Fotografie-Fachleuten.


Noch steckt das Festival in den Kinderschuhen, doch die Anfänge sind vielversprechend. Freuen wir uns auf das nächste Mal in zwei Jahren!

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