Mikrobiologie ist ein spannender Forschungsbereich. Durch ihre Fülle an physiologischen Leistungen sind Mikroorganismen an allen biogeochemischen Stoffkreisläufen wesentlich beteiligt, besitzen eine große genetische Vielfalt und haben mit Abstand die längste Evolutionsgeschichte aller Lebewesen. Kein Wunder also, dass sich auch die Künstlerin Anna Dumitriu für das Thema erwärmen konnte. Ihre aktuelle Ausstellung im Art Laboratory Berlin zeigt, wie sie sich den Kleinstlebewesen genähert hat. Absolut sehenswert, meint Rowena Fuß!
Weiß – Violett – Violett – Violett. Wenn Bakterien miteinander kommunizieren wird es bunt. Eigentlich ist der für das »Communicating Bacteria Dress« verwendete Stamm von Chromobacterium Violaceum (CV026) stumm. Seine Farbe verändert er nur, wenn es Signale von anderen Bakterien empfängt. Inwiefern das eine Form von sozialer Intelligenz ist, wird aktuell erforscht. Man würde es kaum für möglich halten, aber Bakterien verfügen über komplexe Kommunikationsfähigkeiten. Sie tauschen sich über die Präsenz anderer Stämme aus, stimmen über die Kolonie betreffende Themen ab, weisen auf schädliche Substanzen in der Umgebung hin oder transferieren antibiotikaresistente Gene. In der Petrischale ist richtig was los. Und die britische Gegenwartskünstlerin Anna Dumitriu macht es sichtbar.
In den Räumen des Art Laboratory Berlin werden rund zwanzig Arbeiten gezeigt, darunter Textilien, Grafiken, Objekte und ein Video. Alle haben etwas mit Bakterien zu tun, ob es die Form ist, wie ihre »Chair Flora«, wo eine schwarze Häkeldecke die Gestalt der dort von der Künstlerin gefundenen Bakterien wiedergibt oder mit Mikroben getränkte Kleider. (Es besteht allerdings keine Ansteckungsgefahr mehr, da die Stücke vor der Ausstellung natürlich sterilisiert wurden.)
»Personally I am very against the idea that some form of knowledge would be the territory of a specific discipline« sagt sie. Dementsprechend komplex ist auch das Verweiskonstrukt ihres Œuvres. Es schlägt eine Brücke zwischen Kunst(handwerk) und Mikrobiologie und spart auch nicht an Verweisen auf die Kultur- und Medizingeschichte. Die Verquickung von traditionell weiblich konnotierter Textilkunst und männlich dominierter naturwissenschaftlicher Praxis bringt auch einen Gender-Aspekt zum Tragen. Reichlich viel Stoff. Das geben auch die Kuratoren Regine Rapp und Christian de Lutz zu. Damit der Besucher folgen kann, gibt es gleich zu Beginn einen Hefter mit Texten zu den Exponaten in die Hand. Anna Dumitriu forscht seit 2011 als Artist in Residence gemeinsam mit Biologen und Medizinern im Projekt »Modernising Medical Microbiology« der Universität Oxford, wo man sich besonders arzneimittelresistenten Keimen widmet.
Bakterien und Mikroben prägen unseren Alltag. Auf und in unserem Körper, an unserer Kleidung, unserem Kopfkissen oder im Garten – überall sind sie zu finden. Viele davon sind jedoch nicht bedrohlich. In der Tat gibt es nur wenige Bakterien, die für den Menschen wirklich gefährliche Infektionskrankheiten hervorrufen. Gefürchtet waren bis zur Entdeckung von Antibiotika v.a. Pest, Diphtherie, Ruhr oder Cholera. Hinzu kommt die Tuberkulose (TB). Mit jährlich 1,3 Mio. Todesfällen, laut WHO Report 2013, führt sie auch heute noch die Opferstatistik bei den bakteriellen Infektionskrankheiten an. Vergleichbar ist diese Rate, global gesehen, nur mit der Virus-Krankheit AIDS. (Zum Vergleich: Das Ebola-Virus forderte in Afrika nach Angaben der WHO seit März »lediglich« 3000 Tote).
Im Werk von Anna Dumitriu nimmt sie daher eine besondere Stellung ein. Erst 1943 gab es ein wirksames Antibiotikum gegen TB. Bis dahin sollten u.a. Liegekuren an der frischen Bergluft die Kranken heilen. Dieser Praxis setzte Thomas Mann in seinem Roman »Der Zauberberg« (1924) ein Denkmal. Bei Dumitriu gibt es ein kleines Krankenbett auf einem Sockel. Darüber hängt eine alte Verordnung, die den Patienten Ruhe, Ruhe und noch mal Ruhe vorschreibt (engl. »Rest, Rest, Rest!«). Geholfen hat es nicht viel. Geschadet hat es aber auch nicht.
Wie sehr die Krankheit zum Alltagsbild des 19./20. Jahrhunderts gehörte, versinnbildlicht der daneben ausgestellte »Blaue Heinrich«, ein Taschenspucknapf, der aus den Lungen gehustetes infektiöses Sputum auffangen sollte. Sein Erfinder Peter Dettweiler, ein deutscher Lungenfacharzt, wollte dadurch hygienische Standards in den Sanatorien verbessern. Vielfach schämten sich die Menschen jedoch seiner Benutzung. Hinzu kam eine Verklärung der Krankheit. Wegen der frühen TB-bedingten Tode einiger Dichter und Künstler der Romantik (genannt seien Keats, Novalis und Runge), galt sie als »Romantic Disease«, was Dumitriu in einem gleichnamigen Werk aufgreift. Es handelt sich um ein besticktes Umstandskleid, das der damaligen Mode gemäß geschnitten ist und mit Walnussschalen, Krappwurzel und Safflor braun gefärbt wurde. Die Vorderseite ist mit toter TB-Myobakterien-DNS getränkt. Dumitriu verweist damit einerseits auf die in der Vergangenheit übliche Vorgehensweise, TB-Patientinnen zur Abtreibung zu nötigen, da man dachte, Tuberkulose sei vererbbar. Andererseits deutet die Arbeit auf die Verwendung von natürlichen Färbestoffen bei der Bekämpfung von bakteriellen Infektionen hin.
In den 1930er Jahren forschte etwa das Unternehmen Bayer (damals IG Farben) an solchen Färbemitteln. Man wurde auch fündig und brachte das Präparat »Prontosil« auf den Markt, synthetisiert aus rotem Azofarbstoff (Steinkohleteer). Allerdings hatte das Produkt einen unschönen Nebeneffekt: Es färbte die Haut des Patienten orange.
Der Weg zum Heilmittel für Tuberkulose war steinig und gepflastert mit allerhand absurden Annahmen. Die Mär, dass sputumverseuchter Hausstaub TB übetrage, nimmt Dumitriu in einer weiteren Arbeit aufs Korn. »Where there’s dust there’s danger« muss man nicht fürchten, wenn der ein oder andere Besucher die kleinen Filzlungen berührt, die die Künstlerin aus Wolle und Staub geschaffen hat. Sie zeigen verschiedene Stadien der Krankheit und Behandlungsformen. Wie Staphylococcus aureus und seine resistente Form MRSA auf Antibiotika reagiert haben, zeigt ihr »MRSA Quilt«. Die weißen Muster – Polka-Dots und Striche – in den blauen Stoffquadraten respektive Bakterienkolonien weisen auf Anfälligkeiten hin. Ob die Bakterien Gelegenheiten hatten, darüber mit ihren Nachbarn zu sprechen, ist leider nicht bekannt. Dass sich der Besuch der ungewöhnlichen Schau lohnt, sollte aber in jedem Fall die Runde machen.
»[micro]biologies I: the bacterial sublime « ist die dritte Ausstellung der Reihe »[macro]biologies & [micro]biologies. Kunst und Lebenswissenschaften im 21. Jahrhundert«. Ziel ist, eine vielfältige theoretische Plattform zu schaffen, auf der Wissenschaftler, Künstler und die Öffentlichkeit einen Diskurs über Begriffe wie Welt, Natur, Organismen und unsere Verortung darin führen, getragen von den Lebenswissenschaften. Die erste Schau widmete sich der Biosphäre, ihren Strukturen und ihrer Entstehung sowie Zerstörung, die zweite beschäftigte sich mit Organismen. Die vierte Ausstellung läuft ab Januar 2015 unter dem Titel »[micro]biologies II: πρωτεο / proteo - Joanna Hoffmann«.
Mehr über die Arbeiten von Anna Dumitriu kann man in einem Interview auf Youtube erfahren.