Einst begann die Kooperation von Wissenschaften und Künsten mit der Kunst- und Wunderkammer, dem theatrum naturae et artis im Sammeln, Anschauen und Visualisieren. Was daraus geworden ist, kann man in »Wissenskünste« nachlesen. Der Sammelband bündelt unterschiedliche Ansichten von Wissenschaftlern und Künstlern zu gemeinsamen Themen, Fragen, Obsessionen und Besorgnissen. Rowena Fuß hat reingelesen.
Die Publikation ist im Anschluss an das gleichnamige Projekt des Berliner Zentrums für Literaturforschung, das von 2008 bis 2010 lief, entstanden und kumuliert sämtliche Ergebnisse. Es wird jedoch nicht das Ziel verfolgt, Brücken zwischen Kunst und Wissenschaft zu schlagen. Vielmehr geht es darum offenzulegen, wie der Wissenstransfer zwischen den Disziplinen entsteht. Die Beiträge beschränken sich allerdings auf die Gegenwart. Verbindungen zwischen den Künsten und Wissenschaften in der Neuzeit tauchen als Referenzen immer wieder in den Aufsätzen auf, sind aber nicht das eigentliche Thema. Fünf größere Komplexe widmen sich den Beziehungen von »Bild – Kunst – Wissenschaft«, »Mensch – Maschine – Raum«, sowie Transformationen, Metamorphosen, Netzwerken und dem Unbewussten. Das ist ein ziemliches Programm. Doch lädt die Struktur des Sammelbandes zum Stöbern in einzelnen Abschnitten ein.
Wissenskunst als Informationsgeflecht
Die Herausgeberinnen starten mit einem Text zum Bild. Angelehnt an Mitchels Bildbegriff, der das Bild als einen Begriff versteht, der die Welt mit Figuren des Wissens zusammenhält, beschreiben Sabine Flach und Sigrid Weigel die Entwicklung des modernen Bildes und des Bildbegriffs. Sie halten fest, dass Bilder der Gegenwartskunst nicht mehr vorwiegend zweidimensionale, statische Werke sind, sondern unterschiedlichste Materialien und Räume einbeziehen. Die Stichworte prozessuale Verfahren und Installation fallen. Rhetorisch geschickt wird Velazquez‘ Werk »Las Meninas« (1656), das seinerzeit zum Eintritt ins Bild aufforderte, in der Mitte des Textes dann zum Ausgangspunkt für den Austritt aus dem zweidimensionalen Tafelbild. Wir sind jetzt in der technisch-digitalen Bilderwelt, wo ein Bild ein bestimmtes Datenvolumen meint, das an der Benutzeroberfläche in eine ikonografische Darstellung übertragen wird. Es ist klar, dass zur Erforschung dessen ein kunsthistorischer Bildbegriff allein nicht mehr greift, sondern auch Überlegungen zu Semiotik und Ästhetik eine Rolle spielen. Was sich an der »Unterseite der Ikonografie« befindet, muss eine interdisziplinär agierende Bildwissenschaft erforschen. Wie schwer manchmal die Zusammenarbeit von Forschern unterschiedlicher Disziplinen sein kann und welche Hindernisse sich auftürmen, zeigte jedoch der Kunsthistorikertag letztes Jahr in Greifswald, wo das Thema zur Sprache kam.
Trotz allem stellt die Öffnung des konventionellen Bildes natürlich eine wichtige Voraussetzung für künstlerische Praktiken dar, die mit naturwissenschaftlichen Verfahren experimentieren. Als Beispiel dient im Aufsatz »Kunst als andere Wissenschaft« Mona Hatoums Installation »Deep Throat« (1996). Auf dem Teller eines spartanisch gedeckten Tisches erblickt der Betrachter statt einer Speise Bilder ihrer Verdauung – eine endoskopische Kamerafahrt durch den menschlichen Körper macht dies möglich. Aus dem medizinischen Kontext gelöst werden die endoskopischen Aufnahmen zu Spiegelbildern der Selbstwahrnehmung. Was einst innen war, ist nun außen, Subjekt wird zu Objekt, privat zu öffentlich.
Ein weiteres Beispiel ist der französische Künstler César, der sich in seinen »Expansionen« der Herstellung von Kunststoff widmete. Durch das Zusammengießen zweier Flüssigkeiten entstand während seiner Performances in den 60ern ein Polyurethan, ein sich in kürzester Zeit ausdehnender und härtender Schaumstoff. Seine Entstehung kam dem Schöpfungsakt gleich. César knüpfte mit seinen Vorführungen an jene populärwissenschaftlichen Demonstrationen des 18. und 19. Jahrhunderts an, wo mittels Zucker und Natron sogenannte Pharaoschlangen entstanden.
An den beschriebenen Werken wird deutlich, dass es in den Bildkünsten nicht mehr vornehmlich um Repräsentation geht. Es findet eine Verschiebung von Repräsentation zur Präsentation von Materialien, Dingen und Prozessen statt, hält Monika Wagner fest. In den veränderten Kontexten stellen die Darstellungsverfahren ein anderes Wissen her als im ursprünglichen Referenzsystem.
Mit dem Schwerpunkt auf den Life Sciences folgen die Beiträge einem Trend, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzte. Schon damals befassten sich die Künstler intensiv mit Medizin, Biologie und verwandte Bereiche wie Biochemie, Biophysik und Biodiversitätsforschung. Die Interaktion von Kunst und Wissenschaft zeigte sich v.a. in der Nutzung neuer Medien. Mit Fotografie und Film ließen sich sowohl Verfahren der Gegenstandsreduktion bis zur Abstraktion, als auch solche der Experimentalisierung verbinden.
Ganz selbstverständlich integriert heutzutage die Medienkunst neue Informations- und Kommunikationstechnologien in ihre Reflexion über System, Kunst, Technik und Gesellschaft. Stichwort: Schnittstellenforschung. Auch das klingt in der bereits vorgestellten Arbeit von Hatoum an. Denn ihr Video bietet mehrere Möglichkeiten des Zugangs zur Information über unser Körperinneres. Man kann die Fahrt durch die Speiseröhre sowohl als Erzählung, wie auch als Entdeckung oder ungewöhnliche Betrachtung sehen. Eventuell ändert sich bei dem ein oder anderen Betrachter danach sogar die Selbsterfahrung des eigenen Körpers. Künstler wie Hatoum oder César sind damit nicht mehr nur Schöpfer, sondern gewähren mit ihren Arbeiten eine andere Sicht auf bekannte Dinge, was wiederum zur Reflexion einlädt. Darin liegt auch eine der Stärken der bildenden Künste.
Künstler als Diskursivitätsbegründer
Der französische Künstler Louis Bec geht in seinem Beitrag »Kunst am Lebendigen. Lektion in fabulatorischer Wissenschaftstheorie Nr. 27« noch weiter. Er sieht eine Parallele zwischen Domestikation und dem Schöpfungsakt bei der Entstehung eines Kunstwerks. Er begründet dies mit der funktionalen Ähnlichkeit. Durch Rassekreuzung und künstliche Besamung werden Arten manipuliert, um neue Arten und Verhaltensweisen hervorzubringen. Dies sei, so Bec, vergleichbar mit jeder Art von künstlerischen Produktion. Es stellt sich dabei die Frage, warum die Herstellung dieser »Konstrukte«, d.h. genetisch veränderter Lebewesen, die einem Anforderungskatalog entsprechen, Kunst ist. Sicherlich ist das erfolgreiche Zusammenführen verschiedener Genome und darin codierter Eigenschaften eine Kunst, aber das ist doch trivial. Nicht trivial ist dagegen die mit Becs Ausführungen aufgeworfene Frage nach der moralischen Integrität des Schöpfers. Wenn Katzen ohne Haare gezüchtet werden, damit auch Allergiker sich dieses Haustier halten können, ist das richtig? Ist es richtig ein Tier zu züchten, das ohne zusätzliche Jacke erfriert, nur damit jemand sich den Wunsch einer Katze erfüllen kann? Muss wirklich jede Nachfrage bedient werden?
Bec spricht in seinem Aufsatz auch die Züchtung von Haut und Geweben sowie künstlichen Prothesen an, die natürlich ein Einschnitt in vorgesehene biologische Prozesse sind. Durch die Verknüpfung von Mensch und Maschine fürchtet er in Zukunft eine Manipulation desselben. Das klingt zunächst nach den Ängsten, die auch Science-Fiction-Autoren bei ihren Lesern schüren. Als Argument dienen ihm Forschungen zu Ratten. Mithilfe eines Computerchips, der einer lebenden Ratte ins Gehirn gepflanzt wurde, gelang es amerikanischen Forschern in New York, das Tier durch ein Labyrinth fernzusteuern. Die direkte Interaktion von neuronalen Systemen und künstlichen Maschinen liefert nicht nur neurobiologische Belege für Verhaltensweisen, sondern auch einen Bauplan für deren Manipulation. Wenn man etwa die Signalfrequenzen von Herzschrittmachern oder auch Gehirnschrittmachern stört, kann man die betroffenen Menschen manipulieren.
Fazit: »Wissenskünste« macht deutlich, dass Künstler nicht nur Verfahren aus den Wissenschaften übernehmen, sondern auch reflektieren. Dennoch geht es weniger um ein moralisches Korrektiv, denn um den Denkanstoß. Statt Vordenker, Ingenieur der Seele, Seismograf, Mahner, Warner, Prophet ist die Aufgabe des Künstlers heute die ständige Diskussion verschiedener Modelle und Hypothesen. »Möglichkeitssinn« (Robert Musil), die Bereitstellung von Szenarien und »Denkbildern« (Walter Benjamin) zur Lösung anstehender Probleme werden heute von der Kunst erwartet. Um einen Überblick über verschiedene Ansätze zu erhalten, eignet sich das Buch hervorragend.