Alles auf einmal. Die Postmoderne. 1967-1992

Während es derzeit in der aktuellen Ausstellung „Immanuel Kant und die offenen Fragen“ im Obergeschoss der Bonner Bundeskunsthalle – Huldigung an einen der bedeutendsten Philosophen der europäischen Aufklärung – überaus streng geordnet zugeht, scheinen gleichzeitig im Erdgeschoss des von dem österreichischen Architekten Gustav Peichl entworfenen Baus die Dinge außer Rand und Band geraten zu sein. Gezeigt wird dort die Ausstellung „Alles auf einmal. Die Postmoderne. 1967-1992 “. Zwiespältig wie die Postmoderne selbst es gewesen ist, entlässt auch diese um Auffrischung der Erinnerung bemühte Retro-Schau die Besucher:innen mit gemischten Gefühlen. Rainer K. Wick hat die Ausstellung besucht und sich den Katalog angeschaut.

Cover © Hirmer Verlag
Cover © Hirmer Verlag

Durchschreitet man das Foyer der Bonner Bundeskunsthalle und betritt den großen Schauraum im Parterre, so hat man den Eindruck, als feiere hier die Postmoderne fröhliche Urstände. Kaum etwas, was nicht hinlänglich bekannt wäre, sei es durch die Lektüre zahlloser Publikationen zum Thema, durch den Besuch einschlägiger Sammlungen in Museen und/oder durch die Besichtigung architektonischer Schlüsselwerke vor Ort. Dennoch gelingt der Bonner Ausstellung – schrill und bunt, heterogen und hochkomplex, von überbordender Materialfülle und ohne zwingenden Parcours – das Kunststück, alles das in höchster Konzentration, gleichsam als Extrakt, darzubieten und damit einzulösen, was „in der Zeit der Postmoderne passierte, [und zwar] alles gleichzeitig, alles auf einmal“, wie die Intendantin der Bundeskunsthalle Eva Kraus es formuliert.

links: Ausstellungsplakat (© Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH); rechts: Ausstellungsansicht, im Vordergrund Alessandro Mendinis Sessel ‚Proust‘, 1978 (Foto Rainer K. Wick)
links: Ausstellungsplakat (© Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH); rechts: Ausstellungsansicht, im Vordergrund Alessandro Mendinis Sessel ‚Proust‘, 1978 (Foto Rainer K. Wick)

Nun ist das Bild dessen, was die sogenannte Postmoderne sei, auch nach Jahrzehnten und trotz intensiver Debatten immer noch unkonturiert (wie ja auch der Begriff der Moderne unscharf geblieben ist). Dazu mag beigetragen haben, dass, ausgehend von den Bereichen Architektur und Design, das „postmoderne Bewusstsein“ Eingang in zahlreiche andere sozio-kulturelle Bereiche wie etwa Film und Mode gefunden und darüber hinaus das breite Denken erfasst hat, wie der Co-Kurator der Ausstellung Kolja Reichert in seinem elaborierten Essay zur Einführung in das Katalogbuch darlegt (und, recht gewagt, aktuell sogar eine „zweite Postmoderne“ diagnostiziert). Im Mittelpunkt der Bonner Ausstellung stehen dagegen repräsentative Artefakte aus der „heroischen“ Zeit der Postmoderne, die das Kurator:innenteam auf den Zeitraum zwischen 1967 und 1992 datiert – wohlwissend, dass derart scharfe Grenzziehungen eher willkürlicher Natur sind.
Tatsächlich formierte sich in den 1960er und mehr noch in den 1970er Jahren Widerstand gegen das „Projekt der Moderne“ mit seinem formalen Purismus und funktionalistischen Rigorismus, grundiert mit einem dezidiert aufklärerischen Pathos beziehungsweise mit der auf Rationalität gründenden Utopie einer „besseren Gesellschaft“. Schrittmacherin dieser Entwicklung war die Architektur, und den Auftakt machte im Jahr 1966 der amerikanische Architekt Robert Venturi mit seiner einflussreichen Programmschrift „Complexity and Contradiction in Architecture“. In diesem Grundlagenwerk der postmodernen Architekturtheorie vertrat Venturi die These, dass eine eindeutige, in sich widerspruchsfreie Architektur der „reinen“ Form, wie sie das Signum etwa des Neuen Bauens der Zwischenkriegszeit oder des sogenannten Internationalen Stils war, unterkomplex sei. Ihr sei eine „in sich widersprüchliche und zweideutige“ Architektur vorzuziehen sei, denn nur eine solche sei imstande, der Vielfalt und „Vieldeutigkeit moderner Lebenserfahrung“ gerecht zu werden – so Venturi 1966. Im Jahr 1972 veröffentlichte er zusammen mit Denise Scott Brown und Steven Izenour das die architektonischen Glaubenssätze der Moderne auf den Kopf stellende Buch „Learning from Las Vegas“, eine Analyse der Ikonographie und architektonischen Symbolik dieser amerikanischen Spieler- und Entertainmentmetropole. Obwohl deren anonyme Banalarchitektur allen damaligen Kriterien des sogenannten guten Geschmacks zuwiderlief – Stichwort „dekorierter Schuppen“ –, erkannten die Autor:innen, dass deren Komplexität und Heterogenität, deren Stilmischungen und Formkollisionen, deren Motivvielfalt und Mehrsprachigkeit für eine Architektur jenseits der klassischen Moderne durchaus zukunftsfähig sein könnten. Hatte Mies van der Rohe, einer der Säulenheiligen der Moderne, das Motto „weniger ist mehr“ ausgegeben, wurde nun die Devise „weniger ist langweilig“ zum Credo der Postmoderne. Dazu gehörten die Wiederkehr des Ornaments und vor allem die Wiederbelebung historisch längst überwunden geglaubter Bauformen wie Säulen, Bögen und tempelartiger Giebel.

links: Ausstellungsansicht mit Blow-up des Covers des Buches „The language of post-modern architecture“ von Charles Jencks (Foto Roman März, 2023, © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH); rechts: SITE (James Wines), Indeterminate Façade, Houston TX, 1974, Foto Courtesy of James Wines of SITE)
links: Ausstellungsansicht mit Blow-up des Covers des Buches „The language of post-modern architecture“ von Charles Jencks (Foto Roman März, 2023, © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH); rechts: SITE (James Wines), Indeterminate Façade, Houston TX, 1974, Foto Courtesy of James Wines of SITE)

Als ikonisch gilt in diesem Zusammenhang Charles Moores Platzgestaltung „Piazza d’Italia“ in New Orleans von 1977/78 – ein kulissenhaftes, eklektizistisches Kolonnaden-Pasticcio, bestehend aus architektonischen Versatzstücken, die dem Steinbruch der römisch-antiken Vergangenheit entstammen, munter kombiniert mit Neonlicht, das an die Leuchtreklame von Spielcasinos, Bars und Shopping Malls erinnert. Eine Ahnung vom Aussehen dieses Ensembles, das ganz der Maxime „anything goes“ des österreichischen Philosophen Paul Feyerabend entspricht, bietet in der Bonner Ausstellung ein Blow-up des Covers des Buches „The language of post-modern architecture“ des Architekturhistorikers und -kritikers Charles Jencks, das 1977 erschien und seinerzeit breit rezipiert wurde. Andere Arbeiten postmoderner Architekten werden in der Schau fotografisch dokumentiert (von Robert Venturis Guild House aus den frühen 1960er Jahren bis hin zu Philip Johnsons AT&T Building von 1982) oder in Form von Modellen präsentiert, etwa des hypertrophen Gebäudekomplexes Espaces d’Abraxas von Ricardo Bofill im Großraum Paris (1982) oder James Stirlings in Teilen historisierender Neuen Staatsgalerie in Stuttgart (1984).
Der postmoderne Generalangriff gegen die Moderne manifestierte sich aber nicht nur in der Renaissance historischer Bauformen und -motive, sondern auch im ironisch-spielerischen Umgang mit einer auf das Niveau simpler Boxen heruntergekommenen kommerziellen Massenarchitektur. Die Bonner Schau zeigt dazu eine Reihe farbiger Fotos heute nicht mehr existierender Bauten der von James Wines mitbegründeten Gruppe SITE (Abkürzung für „Sculpture In The Environment“). Indem Wines sich in den 1970er Jahren den Gag erlaubte, die Fassaden der Einkaufshallen der US-amerikanischen Einzelhandelskette BEST scheinbar bröckeln oder gar kippen zu lassen, schuf er für dieses Unternehmen einerseits markante visuelle Chiffren, andererseits verwies er zugleich in kritischer Absicht auf den aus seiner Sicht ruinösen Niedergang der Architektur der Moderne.

links: Gaetano Pesce, Sessel ‘Donna’ aus der Serie UP5_6, 1969 (Foto Rainer K. Wick); rechts: Studio 65, Sessel ‚Capitello‘, 1971 (Foto Rainer K. Wick)
links: Gaetano Pesce, Sessel ‘Donna’ aus der Serie UP5_6, 1969 (Foto Rainer K. Wick); rechts: Studio 65, Sessel ‚Capitello‘, 1971 (Foto Rainer K. Wick)

Spektakuläre Ausformungen zeitigte die Postmoderne im Design, und zwar insbesondere im italienischen Design, was sich in der Bonner Ausstellung anhand zahlreicher Exponate anschaulich nachvollziehen lässt. Mit dem ökonomischen Aufschwung Italiens nach dem Zweiten Weltkrieg ging auch der Aufstieg des italienischen Designs zur Weltspitze einher. Dabei folgten die italienischen Entwerfer allerdings nur bedingt der seit dem frühen 20. Jahrhundert allgemein akzeptierten Devise „form follows function“, also der Maxime, dass sich die Form gleichsam konsequenzlogisch aus der Funktion ergebe bzw. die Form das anschauliche Korrelat der Funktion sei. Oft gelangten sie, individuelle Spielräume auslotend, zu kreativen Formlösungen von hoher Eleganz, manchmal auch von außerordentlicher Extravaganz. Dogmatischer Ernst war ihnen ebenso fremd wie das in Deutschland lang nachwirkende Werkbund-Ethos von der Form als „Gestalt gewordener Gesinnung“ beziehungsweise die an der Ulmer Hochschule für Gestaltung propagierte Idee von der „Moral der Gegenstände“. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre begann man in Italien dann mit Designkonzepten zu experimentierten, die stärker die affektive Ebene einbezogen und/oder den symbolischen Nutzen eines gestalteten Gebrauchsgegenstandes betonten. Stellvertretend erwähnt sei Gaetano Pesces in Bonn prominent platzierter, tiefroter Sessel „Donna“ aus der Serie „Up“ (1969), dessen anthropomorphe, durch einen fülligen Frauenkörper inspirierte Formgebung in schärfstem Gegensatz zur emotionalen Kälte eines Stahlrohrklassikers steht und sinnfällig die Idee eines behaglichen Geborgenseins auszudrücken sucht. Wie „Donna“ betont auch das Sofa „Bocca“ des Turiner Designbüros „Studio 65“ aus dem Jahr 1970 in Form eines rot geschminkten Mundes (siehe das Plakat zu Beginn des Beitrags) das Moment des Sinnlichen, während – ebenfalls von „Studio 65“ – das Sitzobjekt „Capitello“ (1971) in Form eines ionischen Kapitells optisch hart wirkt, tatsächlich aber, da aus Polyurethanschaumstoff gefertigt, weich und angenehm zum Sitzen ist. Bemerkenswert ist hier, wie in im postmodernen Bauen, der direkte Rückgriff auf die historisch nobilitierte Form der Säule, die, von ihrer genuinen Funktion befreit, zu etwas nutzbringend Neuem umfunktioniert worden ist.

Es ist unmittelbar evident, dass eine derartige Gestaltungsauffassung radikal mit den Prinzipien des historischen Funktionalismus der klassischen Moderne bricht, der vor allem im Sinne technischer, ökonomischer und auch ergonomischer Utilität gefasst war. Die Überwindung beziehungsweise Erweiterung eines derart engen Funktionsbegriffs war ab etwa 1970 das erklärte Ziel einer Reihe rebellischer italienischer Designer, die als Protagonisten des sogenannten Radical Design auf den Plan traten und zu deren Galionsfiguren Ettore Sottsass und Alessandro Mendini zählten, die in Bonn in großer Zahl mit repräsentativen Exponaten präsent sind, auf die hier nur in einer sehr begrenzten Auswahl eingegangen werden kann.

links: Ettore Sottsass, Raumteiler ‘Carlton’, 1981 (Foto Rainer K. Wick); rechts: Ettore Sottsass, Tischleuchte 'Tahiti', 1981 (Foto Rainer K. Wick)
links: Ettore Sottsass, Raumteiler ‘Carlton’, 1981 (Foto Rainer K. Wick); rechts: Ettore Sottsass, Tischleuchte 'Tahiti', 1981 (Foto Rainer K. Wick)

Sottsass, international zunächst bekannt geworden als Stardesigner für Olivetti (zur Design-Ikone wurde seine „poppige“ Reiseschreibmaschine „Valentine“ von 1969) und als Entwerfer für Alessi, gilt als Nestor des italienischen Möbel- und Interior-Designs der Postmoderne. In seinen zum Teil bis heute exzentrisch anmutenden Entwürfen hat er Anregungen aus den unterschiedlichsten Ismen des 20. Jahrhunderts aufgenommen und zu einem neuartigen Stilkonzept amalgamiert – all dies mit einem explizit humanen Anspruch: Nach seiner Überzeugung dürfe die vom Menschen geschaffene Objektwelt nicht zu dessen Konditionierung, Beherrschung und Unterwerfung führen, sondern sie habe umgekehrt zur menschlichen Befreiung beizutragen. Möbel, so Sottsass, sollten aufhören, Prestigeobjekte oder Statusabzeichen zu sein, sie sollten weder kostbar noch begehrenswert erscheinen, und sie sollten frei im Raum arrangiert werden (so zum Beispiel das Regal „Carlton“ von 1981) und den Raum so artikulieren, dass sich der Mensch hier innerlich sammeln, selbst finden und geistig entfalten kann (dass dafür bisher jede empirische Evidenz fehlt, steht auf einem anderen Blatt). Ergonomische Kriterien spielten keine Rolle, stattdessen dominierten billige Materialien (Laminat), dekorative Muster und bunte Oberflächen. Für das Mailänder „Studio Alchimia“ schuf Sottsass 1979 die Kollektion „bau-haus“, die sich ironisch, ja antinomisch auf das historische Bauhaus bezog. 1980 gründete er in Mailand die bis 1988 existierende Designgruppe „Memphis“, zu deren prominentesten Mitgliedern Alessandro Mendini gehörte.

links: Alessandro Mendini, ‚Lassù Chair‘, 1974 (Foto Rainer K. Wick); rechts: Alessandro Mendini, Sofa 'Kandissi', 1978 (Foto Rainer K. Wick)
links: Alessandro Mendini, ‚Lassù Chair‘, 1974 (Foto Rainer K. Wick); rechts: Alessandro Mendini, Sofa 'Kandissi', 1978 (Foto Rainer K. Wick)

Mehr noch als Sottsass zelebrierte Mendini die radikale Demontage der Moderne. Im Jahr 1974 entwarf er einen maximal einfachen, streng rektangulär konzipierten, extrem minimalistischen Stuhl, mit dem er das Prinzip der „reinen Form“ der Moderne auf die Spitze trieb. Diesen Stuhl platzierte er auf einem Sockel in Form eines Pyramidenstumpfs – deshalb auch sein Name „Lassù“ von italienisch „dort oben, dort hinauf“ – und ließ ihn dann in einer exemplarischen Aktion in Flammen aufgehen. Mit diesem happeningartigen Autodafé, das in der Bonner Bundeskunsthalle dokumentiert ist, inszenierte er den Tod der Moderne (kein Zufall, dass der Sockel an die Grabbauten der ägyptischen Pharaonen denken lässt) und schlug damit zugleich ein neues Kapitel in der Designgeschichte auf. Es begann mit respektlosen, formal skurrilen und farblich extravaganten Metamorphosen einiger Klassiker des modernen Möbeldesigns (sogenanntes Re-Design), etwa des Bugholzstuhls Nr. 14 der Gebrüder Thonet aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, des „Hill House 1“ (1902) von Charles Rennie Mackintosh, Marcel Breuers „Wassily Chair“ aus dem Jahr 1925 oder Gerrit Rietvelds „Zick-Zack-Stuhl“ von 1934. In seinem Diwan „Kandissi“ (1978) nahm Mendini die Grundform eines um 1913 von dem tschechischen Künstler, Architekten und Designer Josef Gocár entworfenen „kubistischen“ Sofas auf und kombinierte es mit Anlehnungen an das Formenrepertoire Wassily Kandinskys. Damit unterzog Mendini nicht nur das hochkulturelle Design der Ironisierung und Trivialisierung, sondern er trivialisierte und banalisierte auch die sogenannte hohe Kunst, wie neben dem Diwan „Kandissi“ auch sein neo-barocker Sessel „Proust“ von 1978 zeigt, dessen Polster mit pointillistischen Farbtupfern überzogen ist.

Mit seinem Re-Design beabsichtigte Mendini selbstverständlich keine Optimierung des Gebrauchswertes der von ihm umfunktionierten Möbelklassiker, sondern es ging ihm – nicht auf der theoretischen Diskursebene, sondern auf der Objekt- und Handlungsebene – darum zu signalisieren, dass die Zeit reif sei, um die Macht des Nur-Funktionalen und Nur-Utilitären im Design zu brechen und stärker als bislang emotionale, ästhetische und metaphorische Qualitäten zur Geltung zu bringen. Insofern waren seine Umgestaltungen keine Prototypen für die industrielle Produktion, sondern sie dienten als Speerspitzen im Kampf gegen die Ideologie der „guten Form“, gegen den Funktionalismus und das etablierte Design der klassischen Moderne. Vor dem Hintergrund einer solchen ästhetischen Praxis war sein Plädoyer für ein „Banaldesign“, das – angeblich – den trivialen Sehnsüchten der Mehrheit der Bevölkerung, ihrem ungebrochenen Streben nach Kitsch entgegenkomme, nur konsequent. Dazu O-Ton Mendini: „Dem Kitsch-Menschen Kitsch-Objekte und -Häuser: paradoxe Verherrlichung der Konventionen, Triumph des Unechten, Überbordwerfen des guten Geschmacks.“

links: Hans Hollein, Schminktisch 'Vanity', 1982 (Foto Rainer K. Wick); rechts: Hans Hollein, Österreichisches Verkehrsbüro, 1978 (Foto Jerzy Survillo © Privatarchiv Hollein)
links: Hans Hollein, Schminktisch 'Vanity', 1982 (Foto Rainer K. Wick); rechts: Hans Hollein, Österreichisches Verkehrsbüro, 1978 (Foto Jerzy Survillo © Privatarchiv Hollein)

Vorbehaltslos hat sich dem im deutschsprachigen Raum etwa der österreichische Architekt und Designer Hans Hollein angeschlossen, von dem in Bonn nicht nur Ausschnitte aus seinem vielfältigen architektonischen Schaffen gezeigt werden (unter anderem Innenaufnahmen des Wiener Verkehrsbüros, in dem das postmoderne Lieblingsmotiv der Säule nicht fehlen darf), sondern auch der Schminktisch „Vanity“ von 1982, zu dem sich umstandslos eine aufgedonnerte Diva mit krassem Make-up imaginieren lässt.
Der Rundgang durch die Bonner Ausstellung mit ihren mehreren hundert Exponaten lässt kurzzeitig eine Epoche auferstehen, in der nicht nur im Design und in der Architektur bewusste Tabuverletzungen, provozierende Gesten und radikale Grenzerweiterungen an der Tagesordnung waren. Sie zeigt Facetten jener Komplexität, die Robert Venturi schon früh eingefordert hatte, und erinnert an die große Schar kreativer Gestalter, denen die Freiheit des Experiments und die Entfesselung der Phantasie mehr galten als die Glaubenssätze und Ordnungskriterien des Funktionalismus. Dass diese Epoche längst Geschichte ist, signalisiert das Cover des umfangreichen, bei Hirmer in München erschienenen Katalogbuchs, zeigt es doch einen grauen Grabstein mit der eingemeißelten Inschrift „Alles auf einmal ǀ Die Postmoderne ǀ 1967-1992“. Schlägt man den Katalog auf, reibt man sich die Augen: Frei nach der Devise „anything goes“ hat das Berliner Designstudio YUKIKO ein hinsichtlich Layout und Typografie sehr gewöhnungsbedürftiges, auf den ersten Blick geradezu chaotisches Opus abgeliefert, das klassischen Gestaltungsprinzipien entschieden zuwiderläuft – und insofern in kongenialer Weise dem Thema der Ausstellung gerecht wird. Gleichwohl wären im Interesse der Lesbarkeit beziehungsweise, allgemeiner, der Benutzerfreundlichkeit weniger Kapriolen und etwas mehr Sachlichkeit gewiss nicht ganz abwegig gewesen. Um, neben der unübersichtlichen Bildanordnung, nur ein Beispiel herauszugreifen: Dass die Schrift der Hauptbeiträge nur etwa die halbe Größe der dazugehörenden Anmerkungen hat oder die Fragen der Kurator:innen an ihre Interviewpartner:innen im Satz doppelt so groß sind wie die Antworten, also Hierarchien gleichsam gekippt und umgekehrt werden, mag als Reverenz der Macher:innen an die subversiven Potentiale der Postmoderne verstanden werden – ob hier ein Katalog vorliegt, der zu Recht das von der Süddeutschen Zeitung verliehene Prädikat „hervorragend gemacht“ verdient hat, mag indes dahingestellt bleiben. Inhaltlich bietet das materialreiche Katalogbuch reichlich interessanten und anregenden Lesestoff, unter anderem mit Beiträgen namhafter Zeitzeug:innen wie der neunzigjährigen Architektin und Publizistin Denise Scott Brown, die mit ihrem zweiten Ehemann Robert Venturi 1972 das erwähnte Buch „Learning from Las Vegas“ veröffentlichte, oder des ebenfalls neunzigjährigen James Wines, von dessen Arbeiten für die amerikanische Firma BEST oben kurz die Rede war. Eine kritische Aufarbeitung der Postmoderne aus der historischen Distanz von mehreren Jahrzehnten, ihrer Exzesse und Irrungen, sucht man in dem Katalogbuch allerdings vergeblich.


Katalogbuch „Alles auf einmal. Die Postmoderne. 1967-1992“
hrsg. von der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
Konzept und Redaktion: Eva Kraus, Kolja Reichert
Broschur, 24 x 28 cm
288 Seiten, ca. 500 Abbildungen
in deutscher und englischer Sprache
Museumsausgabe 39 EUR, Buchhandelsausgabe 49 Euro
Hirmer Verlag, München

Ausstellung: „Alles auf einmal. Die Postmoderne. 1967-1992“
Bundeskunsthalle Bonn
Noch bis 28. Januar 2024

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